Erste Parlamentarische Geschäftsführerin | Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rede zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz

Irene Mihalic im Bundestag

Aus dem Protokoll vom 18.1.2018

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat die Kollegin Irene Mihalic für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Über ein Jahr nach dem schlimmsten islamistischen Anschlag in Deutschland soll nun – ich muss sagen: endlich – auch ein Untersuchungsausschuss auf Bundesebene eingesetzt werden. Ich muss leider sagen: Das hätten wir auch deutlich früher haben können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Fraktion hat schon im Frühjahr 2017 einen entsprechenden Antrag vorgelegt. Herr Grosse-Brömer von der CDU/CSU-Fraktion fand es damals laut „Bild am Sonntag“ peinlich, dass wir diesen Antrag vorgelegt haben.

(Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): Wir haben doch im Januar 2017 Ihnen das Angebot gemacht, aber Sie hatten keine Ressourcen!)

– Ja, genau. Ich finde es zutiefst peinlich – das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen -, dass auf Bundesebene bis heute keine öffentlichen und transparenten Aufklärungsschritte in dieser Sache unternommen worden sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der AfD und der FDP)

Jetzt sind Sie endlich auf den Aufklärungszug aufgesprungen. Genau wie Grüne, FDP und Linke haben Union und SPD jetzt auch einen Antrag vorgelegt. Aber bei der Lektüre fragt man sich schon, ob Sie nur auf diesen Zug aufgesprungen sind, um ihn gleich wieder abzubremsen.

Herr Harbarth, Sie haben vorhin gesagt, dass Sie in Ihrem Antrag bewusst auf Detailfragen verzichtet haben. Es könnten ja vielleicht zu viele unangenehme Details dabei ans Licht kommen.

(Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): Das ist Unsinn!)

Insofern kann ich die Motivation schon nachvollziehen. Das erklärt wahrscheinlich auch die Forderung in Ihrem Antrag, die Untersuchungen auf den Zeitraum bis zu dem Todestag von Anis Amri zu begrenzen.

(Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): Sie haben es nicht verstanden!)

Alles soll sich auf diese eine Person konzentrieren. Ich weiß nicht, ob es Ihnen klar ist, aber damit erweisen Sie ihm posthum genau die Ehre, die er sich für sich durch seinen schrecklichen Anschlag gewünscht hat. So eine PR können wir doch nicht ernsthaft wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau!)

Eine noch viel gravierendere Folge dieses Enddatums ist aber, dass damit das Handeln der Bundesregierung und der Sicherheitsbehörden nach dem Attentat völlig außen vor bleibt, aber genau hier wird es doch interessant.

(Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja!)

Die Bundesregierung hat zwar damals mit dem Finger in alle Richtungen gezeigt, doch immer, wenn es um die Verantwortung auf Bundesebene ging, ging es ab in den Graben. Ich kann mich noch sehr gut an das laute Schweigen des Bundesamtes für Verfassungsschutz erinnern. Der Bundesinnenminister hat Verfassungsschutzpräsident Maaßen sogar ausdrücklich abgeraten, im Dezember 2016 im Innenausschuss überhaupt zu erscheinen und Fragen zu beantworten; wir hatten damals darüber diskutiert, Herr de Maizière. Wir wollen natürlich genau wissen, warum Sie solche Ratschläge geben und welche Rolle der Verfassungsschutz tatsächlich gespielt hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir wollen selbstverständlich wissen, ob die Bundesregierung das Parlament und die Bürgerinnen und Bürger zum Beispiel hinsichtlich der Chronologie, die überall zitiert worden ist, jederzeit korrekt informiert hat. Und wir wollen wissen, ob nach dem Tod von Amri in seinem Umfeld nach Komplizen gesucht wurde oder warum eine Person, mit der Amri zum Beispiel sehr engen persönlichen Kontakt hatte, Anfang 2017 plötzlich abgeschoben wurde. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD: Machen Sie bitte keine Politik mit dem Enddatum der Untersuchungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es muss uns doch um maximale Aufklärung und nicht um Regierungs- oder Behördenschutz gehen. Wir müssen doch der Frage nachgehen, welche Rolle islamistische Netzwerke und deren Beobachtungen im In- wie im Ausland beim Attentat gespielt haben. Auch wollen wir die Rolle des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums ganz genau klären und herausarbeiten, wie sich Mängel an der Sicherheitsarchitektur abstellen lassen. Es ist vorhin schon einmal gesagt worden: Das GTAZ existiert seit 2004, doch die Lage hat sich bis heute gravierend verändert. Man muss überlegen, ob es überhaupt noch in unsere Zeit passt oder ob wir nicht dringend notwendige Veränderungen vornehmen müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir müssen Verantwortlichkeiten klar benennen, egal wo diese vielleicht liegen. Das müssen wir herausarbeiten. Lassen Sie uns im Geschäftsordnungsausschuss deshalb nach einer tragfähigen Lösung suchen, die unserem Aufklärungsanspruch tatsächlich gerecht wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie des Abg. Jörg Cezanne (DIE LINKE))

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