Erste Parlamentarische Geschäftsführerin | Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rede zum Islamismus nach den Anschlägen in Dresden, Paris und Nizza

Aus der Niederschrift vom 30.10.2020

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Attentat von Nizza erschüttert uns zutiefst, und wir trauern mit unseren französischen Nachbarn und den Hinterbliebenen dieser schrecklichen Tat. Ich möchte an dieser Stelle auch noch mal allen Mitgliedern dieses Hauses ganz, ganz herzlich danken, die sich gestern Abend um 18 Uhr vor der französischen Botschaft versammelt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD und des Abg. Karsten Hilse (AfD))

Dieser Anschlag und ebenso die Taten von Paris und Dresden zeigen: Die islamistische Gefahr in Europa ist höchst virulent und sehr konkret. Wir dürfen nicht darin nachlassen, dem Terror entschlossen entgegenzutreten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stephan Thomae (FDP))

Die Muster wiederholen sich doch. Die Täter nutzen einfachste Tatmittel und sind oft Kleinkriminelle. Den Sicherheitsbehörden sind sie oft als Gefährderbekannt, und doch laufen sie immer wieder knapp unter dem Radar. Ja, wie kann das eigentlich sein?

Wir Grünen haben schon vor fast vier Jahren nach dem schlimmen Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz gesagt: Wir wollen die Muster des Terrors besser verstehen, und wir wollen uns nicht zufriedengeben mit den üblichen Bekundungen und symbolischen Versprechungen nach solchen Anschlägen, ganz zu schweigen von dem zynischen Spiel, das die AfD und ihre rechtsextreme Parallelgesellschaft mit solchen Anschlägen betreibt.

(Thomas Ehrhorn (AfD): Werden Sie nicht unverschämt!)

Herr Curio, Sie versuchen, auf dem Rücken der Opfer solcher Anschläge die Gesellschaft mit Hass und Hetze zu infizieren. Dieses Spiel ist widerlich, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN – Thomas Ehrhorn (AfD): Wir benennen Realitäten! Und das hat nichts mit Hass und Hetze zu tun!)

Nein, wir Grünen haben gesagt: Wir brauchen einen Untersuchungsausschuss, der die Schwachstellen der Sicherheitsarchitektur schonungslos aufdeckt und vor allem abstellt. Wir haben zwar bisher jede Menge aufdecken können, aber verbessert hat sich leider nur sehr wenig.

(Frank Pasemann (AfD): Ja, das ist schade!)

Wenn wir uns zum Beispiel Dresden anschauen, dann müssen wir feststellen: Schon wieder ging es um einen bekannten Gefährder. Schon wieder weiß man praktisch nichts zu seinem Umfeld, zu seinen Netzwerken, zu den Strukturen, die dahinterstehen, und mit der Einschätzung hat man meilenweit danebengelegen.

(Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist unglaublich! – Thomas Ehrhorn (AfD): Dieselbe Unfähigkeit überall! Dort wie hier!)

Man kann sich nur wundern, wenn das Bundeskriminalamt, so wie gestern im Untersuchungsausschuss Breitscheidplatz, sagt, die Aufklärung von Netzwerken habe keine Priorität. Aber wer die Netzwerke und Unterstützerstrukturen nicht konsequent ausleuchtet, entspricht genau den Strategien der Terroristen, weil sie immer wieder Handlanger finden und die Behörden nicht zu den Anstiftern, zu den Vernetzungen und zu den Anführern vordringen.

So hat man auch in Dresden die konkrete Gefahr eben nicht erkannt, und das obwohl zum Beispiel der Bundesnachrichtendienst laut Presseberichten bereits vor über einem Jahr Informationen gehabt haben soll, dass der mutmaßliche Attentäter einen Anschlag in Deutschland plant. Meine Damen und Herren, dieser Hinweis wurde wohl nicht an die zuständigen Behörden weitergegeben. Sollte sich das bewahrheiten, wäre das ein handfester Skandal, und das muss dringend auch parlamentarisch aufgeklärt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Auch hier wiederholen sich die Muster. In der fragmentierten Sicherheitsarchitektur versickern immer wieder relevante Informationen, und am Ende übernimmt niemand dafür die Verantwortung. Auch der Umgang mit Gefährdern, egal welcher Couleur, lässt einen manchmal fassungslos zurück. So versteht doch niemand, wie im Mordfall Lübcke ein rechtsextremistischer, terroristischer Gefährder auf freiem Fuß ist,

(Thomas Ehrhorn (AfD): Das musste ja kommen! Wir reden jetzt hier über Islamismus und nicht über Lübcke!)

obwohl er dringend verdächtigt ist, an diesem Attentat beteiligt gewesen zu sein. Solche Schwachstellen müssen endlich überwunden werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Denn Terroristen, egal mit welchem Hintergrund, richten sich in den Rückzugsräumen, die diese Schwachstellen bieten, bestens ein. Das dürfen wir nicht zulassen. Das bedeutet: Neben Maßnahmen der Prävention und der Deradikalisierung brauchen wir – erstens – eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Gefährdern, egal ob Rechtsextreme, militante Coronaleugner, Linksextreme oder Islamisten. Wir müssen die Gefahrenbewertung verbessern, Gefährderengmaschiger überwachen und alles tun, um sie so wenig wie möglich zur Entfaltung kommen zu lassen. Dazu gehört auch, dass man kleinere Delikte im Strafverfahren bündelt, um scharf und gegebenenfalls auch im beschleunigten Verfahren gegen Gefährder vorgehen zu können. Wir müssen alle rechtsstaatlichen Möglichkeiten nutzen, um sie aus dem Verkehr zu ziehen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stephan Thomae (FDP))

Zweitens. Wir müssen dringend besser darin werden, Netzwerke aufzuklären, Unterstützerstrukturen zu erkennen und daraus auch die richtigen Konsequenzen zu ziehen.

Drittens. Wir müssen endlich die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden verbessern. Hier hilft schon lange, lange, lange keine Kosmetik mehr, meine Damen und Herren. Wer es ernst meint mit der Terrorabwehr, der muss endlich die föderale Zusammenarbeit grundsätzlich reformieren. Unsere Vorschläge dazu liegen seit Langem auf dem Tisch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen uns nicht damit begnügen, Anschläge wie die in Nizza, Dresden, Paris und Berlin – diese Aufzählung ist bei Weitem unvollständig – hilflos und wortreich zu bedauern. Wir müssen endlich die notwendigen Konsequenzen ziehen und dem Terror die Zähne des Rechtsstaats zeigen.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

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