Aus dem Protokoll vom 10.6.2016
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Vor 60 Jahren wurde im Zuge der Gründung der Bundeswehr auch die Position eines Wehrbeauftragten beim Deutschen Bundestag verankert. Damals ging die Initiative von der SPD aus, genauer gesagt vom Abgeordneten Ernst Paul.
Natürlich gab es anfangs auch kritische Stimmen – das ist ja völlig klar – von allen Seiten, unter anderem aus der Union, aber auch von einigen Generälen, der Wehrbeauftragte sei ein Ausdruck des tiefen Misstrauens gegenüber dem Militär; er sei ein unnützes Institut und würde den ohnehin vorhandenen Papierkrieg noch weiter verstärken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch im Zusammenhang mit einem Polizeibeauftragten kommen mir diese Argumente irgendwie bekannt vor.
Natürlich steht der Wehrbeauftragte – das ist unstrittig – historisch in einem völlig anderen Kontext. Aber ich denke, heute herrscht große Einigkeit darüber, dass der Wehrbeauftragte eine bundesrepublikanische Erfolgsgeschichte ist. Es ging von Anfang an ein wichtiges Signal von dieser Institution aus: Bei der Bundeswehr zählen nicht nur Befehl und Gehorsam, sondern sie ist Teil dieser Gesellschaft, und Soldatinnen und Soldaten sind Bürgerinnen und Bürger, wenn auch in Uniform.
Eine solche vertrauensstiftende Maßnahme wünschen wir uns auch für die Polizei. Aber es fehlt im Bund ein Äquivalent zum Wehrbeauftragten für die Kontrolle des Gewaltmonopols im Innern. Genau deshalb schlagen wir Grünen die Schaffung der Stelle eines Polizeibeauftragten beim Deutschen Bundestag vor.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Als die Ergebnisse des ersten NSU-Untersuchungsausschusses vorgelegt wurden, wurde in diesem Hause mit großer Geschlossenheit eine mangelnde Fehlerkultur auch bei den Polizeibehörden festgestellt. Dabei sind wir uns sicher einig, dass die pure Forderung „Steht zu euren Fehlern!“ de facto nichts verändern wird. Nein, wir brauchen dazu Instrumente, die einen angemessenen Umgang mit Fehlern ermöglichen, um auch für die Zukunft daraus zu lernen.
Deshalb brauchen wir eine unabhängige Instanz außerhalb polizeilicher Hierarchien, bei der sowohl Bürgerinnen und Bürger als auch Polizistinnen und Polizisten Hinweise und Kritik, gegebenenfalls auch vertraulich, vorbringen können.
Der Polizeibeauftragte hat dann die Möglichkeit, die Eingaben völlig unabhängig zu prüfen. Er arbeitet dabei selbstverständlich immer eng mit den Personalvertretungen zusammen, die schon heute eine enorm wichtige Arbeit leisten, und vor dem Bundestag soll er regelmäßig über seine Arbeit berichten, sodass wir im Parlament die Gelegenheit haben, wenn es nötig ist, politisch nachzusteuern.
Wie wichtig ein solcher unabhängiger Polizeibeauftragter wäre, sehen wir in der aktuell angespannten Sicherheitslage immer wieder. Ich erinnere zum Beispiel an die Vorfälle bei der Bundespolizeidirektion in Hannover, bei denen es um Folter- und Nötigungsvorwürfe ging. Diese sollen nun zum Glück aufgeklärt sein. Aber hier erfolgten viel zu spät Hinweise eines Polizisten, vermutlich aus Angst vor Konsequenzen für die eigene Berufslaufbahn. Oder nehmen wir die Kölner Silvesternacht als Beispiel, wo sich Beamte der Bundespolizei aus Mangel an unabhängigen Ansprechpartnern mit ihrer Einsatzkritik lieber gleich an die Bild-Zeitung gewandt haben.
Es fällt mir schwer, diese Leerstelle in der Sicherheitsarchitektur zu akzeptieren. Das sage ich auch und gerade als ehemalige Polizistin. Ich weiß, dass fraktionsübergreifend einige Kolleginnen und Kollegen ähnlich denken und dass viele Polizistinnen und Polizisten, mit denen ich in den letzten Jahren gesprochen habe, das genauso sehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Sowohl die Linke als auch die SPD-Fraktion bewerten eine solche Institution schon länger als grundsätzlich positiv, auch wenn es im Detail sicherlich noch einige Differenzen gibt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie haben sich zwar bisher eher skeptisch gegeben. Aber in Baden-Württemberg richten wir nun eine solche Stelle gemeinsam ein. Von der Union in Niedersachsen kam bereits eine ähnliche Forderung. Ich denke, Sie unterstellen nicht, dass Ihre Kolleginnen und Kollegen in den Landtagen kein Vertrauen zur Polizei haben. Der Polizeibeauftragte jedenfalls schafft Vertrauen sowohl bei der Polizei als auch bei den Bürgerinnen und Bürgern.
Heute ist die erste Lesung unseres Gesetzentwurfs. Wir wollen uns Zeit nehmen, diese Vorlage ordentlich zu beraten. Wir wollen eine gute Expertenanhörung durchführen sowie alle Details und mögliche Differenzen ganz genau besprechen. Ich wünsche mir, dass daraus am Ende eine gemeinsame Initiative wird und dass wir einen interfraktionellen Antrag oder Gesetzentwurf daraus entwickeln, der hier im Haus eine breite Zustimmung findet. Es wäre doch ein starkes Signal des Parlaments, wenn wir noch vor Ende der 18. Legislaturperiode – 60 Jahre nach Einsetzen des Wehrbeauftragten – gemeinsam die Stelle eines unabhängigen Polizeibeauftragten auf den Weg bringen. Ich freue mich auf einen konstruktiven Beratungsprozess.
Ganz herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)