Erste Parlamentarische Geschäftsführerin | Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines Gesetzes über die unabhängige Polizeibeauftragte oder den unabhängigen Polizeibeauftragten des Bundes (Bundespolizeibeauftragtengesetz – BPolBeauftrG)

Gesetzentwurf der Abgeordneten Irene Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Britta Haßelmann, Katja Keul, Renate Künast, Monika Lazar, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

A. Problem

Die Polizei steht für das staatliche Gewaltmonopol, den Schutz der Grundrechte und die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit wie keine andere staatliche Stelle. Ihr kommt in vielerlei Hinsicht besondere Verantwortung und Vorbildfunktion zu.

Auf Bundesebene haben die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und der Zoll im Inland und an den Grenzen in unterschiedlicher Art und Weise die Aufgabe, Straftaten zu verhüten bzw. zu verfolgen und Gefahren abzuwehren. Ferner unterstützt die Bundespolizei die Länderpolizeien auf Anforderung, insbesondere bei Demonstrationen und Großveranstaltungen. Die Beschäftigten sind einerseits für Bürgerinnen und Bürger wichtige Ansprechpartner bei Problemen und Konflikten verschiedenster Art. Andererseits sind sie mit weitgehenden Eingriffsbefugnissen ausgestattet. Gerade in angespannten Situationen kann es dazu kommen, dass im Bürgerkontakt gesetzliche Grenzen überschritten, unverhältnismäßige Gewalt ausgeübt, Menschenrechte verletzt oder einzelne Bürgerinnen und Bürger – häufig im öffentlichen Raum – diskriminiert oder unangemessen behandelt werden. Daher ist es wenig überraschend, dass sich polizeiliche Großeinsätze, wie beispielsweise die Grenzsicherung, auch in der Zahl eingegangener Be- schwerden niederschlagen. Konkret wurden dabei bis November 2015 für das 2015 Jahr 182 Beschwerden im grenzpolizeilichen Aufgabenbereich gezählt. Mit solchem Fehlverhalten müssen zudem beistehende Kolleginnen bzw. Kollegen umgehen, was angesichts des kollektiven Zusammenhaltes verschiedene Probleme aufwirft. Nicht zuletzt berichten aber auch Beschäftigte über unangemessenes Verhalten von Vorgesetzten und Kolleginnen bzw. Kollegen und von internen wie externen Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen.

Eine permanente Selbstkontrolle und die Aufarbeitung von Fehlern bzw. rechtswidrigem Verhalten aber auch strukturelle Mängel sind angesichts der besonderen Bedeutung der Polizei im rechtsstaatlichen Gefüge und im Sinne einer professionell und effektiv agierenden Polizei elementar.

Derzeit kann jedoch ein Fehlverhalten von Beschäftigten lediglich im Rahmen einer Fach- bzw. Dienstaufsichtsbeschwerde oder einer Strafanzeige geltend gemacht werden. Die Fach- und Dienstaufsichtbeschwerde dienen aber lediglich der Selbstkontrolle der Verwaltung, stellen also kein unabhängiges Verfahren dar. Zudem verhindern die hierarchische Organisation und das beamtenrechtliche Beförderungssystem oftmals eine Aufklärung zugunsten des „beruflichen Friedens“.

Im Rahmen der strafrechtlichen Aufarbeitung von polizeilichem Fehlverhalten werden Ermittlungsverfahren überdurchschnittlich häufig eingestellt, was auch mit der institutionellen Nähe in Verbindung gebracht werden kann. Ein solcher Interessenkonflikt betrifft auch bei den Staatsanwaltschaften eingerichtete Spezialabteilungen oder für Ermittlungen gegen Polizeibeamte zuständige besondere Dienststellen.

Gleichzeitig gibt es gegenwärtig neben der Durchführung eines Ermittlungsver- fahrens keine Möglichkeit, entsprechende Sachverhalte zu klären und gegebenen- falls auch unterhalb der Schwelle einer Strafbarkeit einer für alle Beteiligten interessengerechten Lösung zu zuzuführen.

Diese Gesamtproblematik ist weitgehend bekannt. Infolge der öffentlichen Diskussion hierüber haben bereits einige Bundesländer besondere Stellen eingerich- tet, an die sich Opfer oder Zeugen von Fehlverhalten wenden können, teils auch Beschäftigte, so im Falle des Beauftragten für die Landespolizei Rheinland-Pfalz.

Auf Bundesebene besteht bislang keine solche Stelle. Und das, obschon ein effektives Beschwerdesystem in Deutschland seit Jahrzehnten von internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen, dem UN-Menschenrechtsausschuss und dem Europarat, der Europäische Kommission gegen Rassismus und Intole- ranz (ECRI) entsprechend den menschenrechtlichen Verpflichtung gefordert wird.

Nicht zuletzt haben die Untersuchungen der Ermittlungen im Zusammenhang mit den NSU-Morden Missstände und Fehler, die im Umgang mit Opfern und Ange- hörigen sowie durch einseitige Ermittlungen entstehen können, verdeutlicht. Dementsprechend wurde eine unabhängige Beschwerdestelle in den Sondervoten von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE. zum Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses (Bundestagsdrucksache 17/14600) gefordert.

B. Lösung

Mit dem vorliegenden Gesetz werden die gesetzlichen Grundlagen für die Etab- lierung der oder des unabhängigen Bundespolizeibeauftragten geschaffen.

Durch die Einführung einer/s Bundespolizeibeauftragten sollen Bürgerinnen und Bürger – aber auch Bürger- bzw. Menschenrechtsorganisationen – ebenso wie Beschäftigte die Möglichkeit haben, bei einer externen und unabhängigen Stelle Missstände und Fehler aufzuzeigen, ohne dabei Sanktionen oder berufliche Nachteile fürchten zu müssen. Gleichzeitig wird eine zusätzliche Möglichkeit der Bearbeitung entsprechender Sachverhalte geschaffen, die aus Sicht der Beschäftigten ebenso wie aus Sicht betroffener Bürgerinnen und Bürger besonders geeignet erscheinen kann. Aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger tritt diese neue Möglichkeit ergänzend neben die Einleitung eines nichttransparenten internen Ermittlungsverfahren beziehungsweise eines meist langwierigen und erfolglosen Strafverfahrens. Dies trägt auch wissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung, wonach die Opferperspektive häufig weniger auf Bestrafung als auf grundlegende Befassung gerichtet ist.

Eine solche externe Stelle stärkt als demokratisches Element das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei und eine bürgerorientierte Ausrichtung der Polizei. Sie schützt die Beschäftigten vor ungerechtfertigten Anschuldigungen, da sie Sach- verhalte mit der notwenigen Sachkunde bewerten kann. Gleichzeitig wird eine effektive parlamentarische Kontrolle der Behörden ermöglicht und so weitge- hende Transparenz im Bereich der Sicherheitsinstitutionen hergestellt.

Ein veränderter Umgang mit Fehlern ist notwendig, um eine dem modernen Selbstverständnis staatlicher Behörden angemessene Fehlerkultur zu implemen- tieren und entsprechenden Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden. Die Stelle ist kein Ausdruck von Misstrauen, sondern ein unterstützendes Element der Qualitätssicherung und Instrument moderner Mitarbeiterführung.

In diesem Sinne soll die oder der Polizeibeauftragte im Interesse der Beamtinnen und Beamten dazu beitragen, folgende typische Konfliktsituation zu lösen: Straf- rechtliche Ermittlungen wegen des Verdachts eines strafrechtlich relevanten Fehlverhaltens durch Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten werden regelmäßig dadurch erschwert, dass Kolleginnen und Kollegen, die an den Vorfällen nicht beteiligt waren, aber Kenntnisse von den Geschehnissen haben, sich im Fall einer nicht sofortigen Aussage dem Verdacht aussetzen, eine Strafvereitelung begangen zu haben. Diese Zeugen aus dem Kreis der Polizei sind dabei für die Aufklärung der Haupttat typischerweise so wichtig, dass die Ermittlungen ohne entsprechende Aussagen wenig erfolgversprechend sind. Daher erweisen sich Ermittlungen gegen eben diese Beamtinnen und Beamte wegen des Verdachts einer Strafvereite- lung regelmäßig nicht zuletzt aufgrund des Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 55 StPO als entscheidendes Hemmnis für die Aufklärungen entsprechender Haupttaten.

Eine wichtige Aufgabe der oder des Polizeibeauftragten wird es daher sein, die Beamtinnen und Beamten in dieser schwierigen Situation zu beraten. Zusätzlich soll ein Antrag auf den Weg gebracht werden, der folgende Klarstellung bewirkt: Eine vorwerfbare Beeinträchtigung des staatlichen Strafanspruchs liegt in der Regel erst dann vor, wenn es zu einer zurechenbaren Verzögerung von mindestens drei Wochen gekommen ist. Diese Klarstellung konkretisiert die zu der genannten Frist in Rechtsprechung und Literatur vorherrschende Meinung. Wegen des wei- teren Inhalts wird auf den Antrag mit dem Titel „Aufklärung polizeilichen Fehlverhaltens erleichtern – ergänzender Antrag zum Entwurf eines Gesetzes über die unabhängige Polizeibeauftragte oder den unabhängigen Polizeibeauftragten des Bundes (Bundespolizeibeauftragtengesetz – BPolBeauftrG)“ Bezug genommen.

C. Alternativen

Die bestehende Rechtslage sieht bereits für eine Vielzahl der durch diesen Antrag thematisierten Sachverhalte staatliche Aufklärungs- und Reaktionsmaßnahmen vor. Die bisherige Praxis hat jedoch gezeigt, welchen Schwierigkeiten die Aufar- beitung entsprechender Sachverhalte in den jeweils selbst betroffenen Behörden regelmäßig begegnet. Dies spricht grundsätzlich auch gegen Reformbestrebungen, die allein eine behördeninterne Aufklärung vorsehen.

Als weitere Alternative neben einer behördeninternen Aufarbeitung können das staatsanwaltschaftliche beziehungsweise parlamentarische Verfahren gesehen werden. Der vorliegende Antrag ergänzt diese Verfahren. Die vorgenannten Ver- fahren haben jedoch verglichen mit der in diesem Antrag definierten Aufgabe der neu zu schaffenden Stelle einer unabhängigen Polizeibeauftragten beziehungs- weise eines unabhängigen Polizeibeauftragten des Bundes eine teilweise andere Zielsetzung.

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Für die Arbeit der oder des Bundespolizeibeauftragten ist eine Ausstattung mit Personal- und Sachmitteln erforderlich. Diese beläuft sich auf voraussichtlich 1,85 Mio. Euro jährlich.

E. Erfüllungsaufwand

E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger

Für die Bürgerinnen und Bürger entsteht kein neuer Erfüllungsaufwand.

E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft

Für die Wirtschaft entsteht kein neuer Erfüllungsaufwand. Bürokratiekosten aus Informationspflichten entstehen nicht. Es werden keine Informationspflichten eingeführt, geändert oder abgeschafft.

E.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung

Bei den Behörden im Zuständigkeitsbereich der oder des unabhängigen Bundes- polizeibeauftragten entsteht voraussichtlich nur ein geringer zusätzlicher Erfül- lungsaufwand, da diese auch bisher Hinweisen und Eingaben zu einem behaupte- ten Fehler bzw. Fehlverhalten nachgehen. Durch die präventive Wirkung der Tä- tigkeit der oder des Beauftragten wird dieser Aufwand mittelfristig möglicher- weise sogar sinken.

Aufgrund der Übertragung von Aufgaben auf die Präsidentin oder den Präsiden- ten des Bundestages sowie durch die Unterstützung der oder des Bundespolizei- beauftragten durch die Bundestagsverwaltung wird sich dort voraussichtlich eine Mehrbelastung ergeben, deren Ausmaß jedoch wesentlich durch die parlamenta- rische Praxis, insbesondere die Zahl der übertragenen Prüfaufträge, bestimmt sein wird, sodass eine Quantifizierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht mög- lich ist.

Für die Bundes- und Landesverwaltung sowie für andere Körperschaften des öf- fentlichen Rechts kann ein geringfügiger zusätzlicher Erfüllungsaufwand durch Amtshilfe entstehen, insbesondere durch die Beantwortung von Anfragen im Rah- men von Erhebungen der oder des Bundespolizeibeauftragten.

F. Weitere Kosten

Keine.

Der komplette Antrag mit dem Gesetzentwurf (ab Seite 6)