Erste Parlamentarische Geschäftsführerin | Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rede zur Änderung des Antiterrordateigesetzes

Irene Mihalic im Plenum des Bundestages

Aus dem Protokoll vom 16.10.2014:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Über anderthalb Jahre haben Sie sich jetzt Zeit genommen, um hier einen verfassungskonformen Gesetzentwurf vorzulegen. Dafür, dass Sie es am Ende doch nicht geschafft haben, diesen Gesetzentwurf irgendwie verfassungskonform zu machen, ist es nach meinem Empfinden eine viel zu lange Zeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak (DIE LINKE))

Am informationellen Trennungsprinzip und an der Verfassung – das hat Ihnen auch die Bundesdatenschutzbeauftragte ziemlich deutlich ins Stammbuch geschrieben – stören Sie sich in Ihrem Gesetzesentwurf nicht im Geringsten. Mit dem Datenschutz sieht es leider nicht besser aus, und – das nehme ich Ihnen auch persönlich wirklich übel – Sie lassen die Sicherheitsbehörden bei der konkreten Umsetzung dieses Gesetzes schlicht und ergreifend im Regen stehen. Das ist angesichts der Gefahren des Terrorismus heutzutage völlig unverantwortlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich sage Ihnen auch, warum. Der Kollege Grötsch hat vorhin den Änderungsantrag angesprochen, mit dem Sie jetzt versuchen, das Ganze verfassungsrechtlich noch irgendwie zu glätten. Zu diesem Zweck definieren Sie im Gesetzentwurf, was unter einem Projekt bei der weiteren Datennutzung, § 6 a, zu verstehen ist, damit jeder Benutzer der Antiterrordatei auch weiß, was er zu tun hat. Ich zitiere die Definition:

Ein Projekt ist eine gegenständlich abgrenzbare und auf bestimmte Zeiträume bezogene Aufgabe, der durch die Gefahr oder den drohenden Schaden, die am Sachverhalt beteiligten Personen, die Zielsetzung der Aufgabe oder deren Folgewirkungen eine besondere Bedeutung zukommt.

Ja, dann ist ja jetzt alles klar, oder?

(Zuruf des Abg. Gerold Reichenbach (SPD))

– Es ist ja allein deshalb schon so traurig, Herr Kollege Reichenbach, weil es sprachlich schon schwierig ist. Ich weiß ja, dass Sie diesen Vorschlag aus der Expertenanhörung übernommen haben. Es ist zwar fast schon löblich, dass Sie sich auch einmal an das halten, was die Experten sagen, aber im Ernst, liebe Kolleginnen und Kollegen:

(Clemens Binninger (CDU/CSU): Ja, was jetzt?)

Diesen Satz versteht außerhalb von Professorenzirkeln kein Mensch.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir schon!)

Sie wälzen mit dieser Scheindefinition die Verantwortung für die richtige Auslegung des Gesetzes einfach auf die Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden ab. Das kann nicht sein.

(Beifall bim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist Ihre Aufgabe, einen verfassungskonformen und umsetzbaren Gesetzentwurf vorzulegen. Was Sie den Mitarbeitern da zumuten, geht gar nicht.

Genauso sieht es auch bei der Bekämpfung des IS-Terrorismus aus. Es vergeht kaum ein Tag, an dem Sie nicht davor warnen und an dem Sie sich nicht mit den abenteuerlichsten Forderungen geradezu überschlagen. Sie schreien nach neuen Gesetzen, die aber im Grunde völlig nutzlos sind, anstatt den vorhandenen Rechtsrahmen einmal konsequent auszuschöpfen und auch in die Praxis umzusetzen.

Anstatt beispielsweise lückenlose Grenzkontrollen im Datenbestand auch bei der Ausreise sicherzustellen, bringen Sie lieber den Pass mit Terroristenstempel oder irgendwelche Ersatzdokumente ins Gespräch. Das ist nicht nur rechtsstaatlich hart an der Grenze, sondern bringt auch für die Gefahrenabwehr rein gar nichts.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das sagen uns auch die Experten bei der Bundespolizei. Wenn Sie Terrorverdächtige wirksam an der Ausreise hindern wollen, dann ist die grafische Darstellung auf dem Perso völlig egal. Worauf es ankommt, ist die Kontrolldichte bei der Ausreise. Das ist das Kerngeschäft. Darauf sollten Sie sich endlich einmal konzentrieren, anstatt hier irgendwelche verfassungswidrigen Experimente zu veranstalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Aber Sie machen genau das Gegenteil: Allem, was vernünftig ist zum Trotz, kürzen Sie auch noch das Geld da, wo es dringend gebraucht wird. Der Haushalt der Bundespolizei soll in diesem Jahr zum Beispiel erneut um 51 Millionen Euro gekürzt werden. Und warum? Man fasst es ja nicht: zur Finanzierung des Betreuungsgeldes. Dazu kommt, dass die Haushaltssperre bei der Bundespolizei bis heute noch nicht aufgehoben wurde. Wenn das Ihr sicherheitspolitisches Gesamtkonzept ist, dann gute Nacht!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihnen und dieser Bundesregierung – ich spreche Sie an, Herr Krings – fehlt es schlicht an einer Strategie für die Bekämpfung des Terrorismus. In der öffentlichen Debatte sagen Sie immer, was Sie nicht alles tun wollen, aber die, auf die es in der Praxis ankommt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden, lassen Sie schlicht und ergreifend im Regen stehen: finanziell, gesetzgeberisch und konzeptionell. Tun Sie endlich das, was im rechtsstaatlichen Rahmen möglich ist. Ein verfassungskonformes Antiterrordateigesetz vorzulegen haben Sie ja leider versäumt. Nehmen Sie jetzt wenigstens die Kürzungen bei der Bundespolizei zurück, und sorgen Sie für ein koordiniertes Vorgehen von Bund und Ländern im Kampf gegen den Terrorismus und vielleicht auch einmal bei der Deradikalisierung. Die Sonder-Innenministerkonferenz – Herr Krings, das können Sie ja dem Bundesinnenminister einmal mit auf den Weg geben – ist genau der richtige Ort, um das zu tun.

Wie gesagt: Lassen Sie verfassungswidrige Experimente! Tun Sie das Richtige!

Ganz herzlichen Dank.

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