Newsletter April 2017
Liebe Leserinnen und Leser,
der Wahlkampf hat begonnen. Das heißt für viele, dass nun die Populismusfestspiele 2017 abgehalten werden. Auf dem Programm stehen absurde Ideen, die nichts bringen aber gut in reißerische Schlagzeilen passen. Leider ist der Bereich der inneren Sicherheit dabei ein besonders beliebtes Spielfeld.
Mit einer verantwortungsbewussten Innenpolitik hat das alles nichts zu tun. Wie die aussehen kann, zeigen wir gerade von der Opposition aus: Von einer guten technischen und personellen Ausstattung der Polizei bis hin zu einer effektiven Reduktion der Anzahl von Schusswaffen in Deutschland. Aber es geht auch um die Bedeutung des Ehrenamtes oder die weitere Aufklärung des NSU-Komplexes. Mehr dazu in diesem Newsletter.
Ich wünsche viel Spaß beim Lesen und einen guten Start in den Frühling.
Liebe Grüße
Irene Mihalic
Anschlag auf dem Berliner Breitescheidplatz und immer noch keine Aufklärung
Die parlamentarische Aufklärung des Anschlages auf dem Berliner Breitscheidplatz und der Zusammenhänge zum Attentäter Anis Amri wird, soweit es die Bundesbehörden betrifft, weiter erschwert. Die Bundesregierung und die Große Koalition versuchen alles, damit wichtige Fakten und Details zur Aufklärung nicht transparent und öffentlich werden. Die großspurig eingesetzte „Task Force“ des parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) diente anscheinend nur dazu, Akten und Vorgänge geheim zu halten.
Wir Grüne halten daher mittlerweile die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum bisher schlimmsten islamistischen Anschlag in Deutschland für unausweichlich. Die mangelnde Wahrhaftigkeit der Bundesregierung bei der Aufarbeitung des Amri-Komplexes gipfelt noch einmal in der Beantwortung einiger mündlicher Fragen von meinen Kollegen und mir in der Fragestunde vom 29. März, von der Ihr hier einige Ausschnitte sehen könnt.
Mehr dazu
Reichsbürger in Waffen
ch hatte ja bereits im letzten Newsletter die Antwort zu unserer Kleinen Anfrage „Reichsbürger – Anhaltspunkte für eine Bewegung in Waffen“ (18/11246) angekündigt. Die Ergebnisse sind erschreckend.
Nachdem das Bundesamt für Verfassungsschutz jahrelang keine vertieften Kenntnisse zur Szene hatte und sie als auch quantitativ vernachlässigbar behandelte, ergeben diese ersten bundesweiten Erhebungen bereits eine Zahl von 10000 Reichsbürgern im Bundesgebiet, ca. 700 davon haben eine waffenrechtliche Erlaubnis.
Trotz der besorgniserregenden Zahlen bleibt die Bundesregierung bei der Erfassung der Reichsbürger inkonsequent, in dem sie diese immer noch nicht als rechtsextrem einstuft. Dadurch wird die Analyse verzerrt gerade mit Blick auf die Bildung rechter Terrorzellen. Ich werde das Thema weiter verfolgen und euch auf dem Laufenden halten.
NSU-Komplex: Der Untersuchungsausschuss geht dem Abschluss entgegen, die Aufklärung nicht
In den letzten Sitzungen des Untersuchungsausschuss haben die Vernehmungen eines ehemaligen V-Mannes („Tarif“) und des aktuellen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz noch einmal die zentralen Thesen der Ausschussarbeit gestärkt:
1. Das V-Leute-System hat im Bereich Rechtsextremismus versagt. Man hatte zwar V-Leute im näheren Umfeld von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe, aber sie wurden nicht eingesetzt, um Informationen zum Trio zu gewinnen.
2. Auch nach der Selbstenttarnung des Trios hat kein grundsätzlicher Kulturwandel im Bundesamt für Verfassungsschutz stattgefunden, im Gegenteil, es galt das Motto: Schreddern statt Aufklären. Nach Abschluss der Beweisaufnahme im März haben wir als Grüne Bundestagsfraktion noch zu einem sehr interessanten Fachgespräch über den Aufklärungsstand und den Reformbedarf bei den Sicherheitsbehörden eingeladen.
Als Expert*innen nahmen der Mitautor des Standardwerks „Heimatschutz“ Dirk Laabs, die Rechtsanwältin Dr. Anna Luczak, die über die Arbeit der Nebenklage im Prozess gegen Beate Zschäpe und weitere Angeklagte berichtete und Mathilde Koller, ehemalige Leiterin des Verfassungsschutzes NRW, teil. Hier könnt ihr den Veranstaltungsbericht lesen. Wir schreiben nun mit den anderen Fraktionen am Abschlussbericht, den wir dann im Sommer vorstellen werden. Für uns Grüne steht jedoch fest, dass die Aufklärung mit dieser Legislaturperiode noch längst nicht abgeschlossen ist.
Fachgespräch: „Dringend gesucht: Ehrenamtliche für die Blaulichtorganisationen
Ob Feuerwehr, THW, Sanitätsdienste oder DLRG – die sogenannten „Blaulichtorganisationen“ leisten einen unerlässlichen Beitrag zur Sicherheit und zum Schutz unserer Bevölkerung. Das komplexe Rettungs- und Hilfeleistungssystem in Deutschland wird vor allem durch den ehrenamtlichen Einsatz ermöglicht, denn über 90% der Einsatzkräfte in den „Blaulichtorganisationen“ sind ehrenamtliche Mitglieder.
Das ehrenamtliche Engagement der Bürgerinnen und Bürger ist aber keine Selbstverständlichkeit und unterliegt gesellschaftlichen Veränderungen. Darüber hinaus bereitet der demografische Wandel den „Blaulichtorganisationen“ zunehmend Schwierigkeiten. Im Ergebnis fällt es den meisten Organisationen immer schwerer neue Mitglieder zu gewinnen und dauerhaft zu binden.
Zusammen mit meiner Kollegin Kordula Schulz-Asche (Sprecherin für bürgerschaftliches Engagement) konnte ich u.a. mit Herrn Karl-Heinz Knorr (Deutscher Feuerwehrverband e.V.), Ute Vogt (Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft e.V.), Gerd Friedsam (Bundesanstalt Technisches Hilfswerk), Christoph Müller (Deutsches Rotes Kreuz e.V.) sowie Dr. Serge Embacher (Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) und rund 70 Gästen, über die Herausforderungen und Lösungen für die Situation der ehrenamtlichen Mitglieder diskutieren. Die vielen Anregungen aus dem Fachgespräch möchten wir für weitere parlamentarische Initiativen nutzen, die das Ehrenamt nachhaltig stärken sollen.
Thesenpapier „Alarm bei Feuerwehr & Co: Ehrenamt in Blaulichtorganisationen stärken!“
Zuverlässige Kommunikationsmittel für die Bundespolizei!
Dass es immer noch, insbesondere in großen Bahnhöfen und anderen geschlossenen Gebäudekomplexen, Probleme mit den neuen Digitalfunkgeräten gibt, ist trauriger Alltag vieler (Bundes-)Polizeireviere. Dabei sollte die Umstellung des Analogfunks von Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) auf BOS-Digitalfunkgeräte bereits im Jahr 2012 abgeschlossen sein.
Die Einführung der neuen Technik ist auch grundsätzlich ein wichtiger Schritt und soll den Einsatzkräften (zu mindestens theoretisch) neue Möglichkeiten, wie zum Beispiel das Übertragen von Daten oder auch eine höhere Sprachqualität bieten. In der Praxis überschatten jedoch Schwierigkeiten bei der flächendeckenden Umstellung und eine schlechte Netzabdeckung alle positiven Aspekte.
Eine große Herausforderung liegt hier scheinbar in der Funkversorgung von großen Gebäuden, die nicht ausreichend von externen Funkmasten versorgt werden können und entsprechende Objektfunkanlagen benötigen. Mit unserem Antrag „Lückenlose BOS-Digitalfunkabdeckung in Bahnhöfen der Deutschen Bahn AG sicherstellen“ fordern wir die Bundesregierung auf, endlich auf eine Einigung zwischen der Bahn und allen beteiligten Akteuren hinzuwirken, damit die Einsatzkräfte an den Bahnhöfen bald auf ein zuverlässiges Funknetz zurückgreifen können.
Gerade in Anbetracht der aktuellen sicherheitspolitischen Lage ist dieser Zustand nicht länger hinnehmbar. Ob für eine Nachalarmierung im täglichen Einsatz oder die Bewältigung einer komplexen Amok- oder Terrorlage, eine zuverlässige Kommunikation ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Einsatzbewältigung und eine Versicherung für die Polizistinnen und Polizisten im Einsatz.
„Mehr Sicherheit durch weniger Waffen“
Beim Thema Waffen tut sich endlich was, wenn auch zu wenig. So schließt die Bundesregierung endlich eine Regelungslücke im Bereich der Aufbewahrung von Waffen in privaten Schränken, die bereits seit 2003 bestand. Wir hatten allerdings mehr gefordert und dazu fand auch am 28.11.2016 eine Anhörung mit Experten im Innenausschuss statt. Für regelmäßige qualifizierte Eignungs- und Zuverlässigkeitsprüfungen beispielsweise werden wir daher weiter streiten, denn wir halten an der Überzeugung fest, dass mehr Sicherheit nur durch weniger Waffen zu erreichen ist.
„Mehr Sicherheit durch weniger Waffen“, Antrag vom 08.03.2017, BT-Drs. 18/11417
Widerstand gegen oder tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte und Rettungskräfte
Den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften lehnen wir ab. Wertschätzung für die im Dienst unserer Gesellschaft geleistete Arbeit ist wichtig. Aber die Regierung macht einen Fehler, wenn Sie meint, ihre Wertschätzung über das Strafgesetzbuch ausdrücken zu wollen, weil das weniger kostet, als für eine gute personelle und sachliche Ausstattung zu sorgen.
Über 700 rechte Angriffe auf Amts und Mandatsträger
Amts und Mandatsträger wurden 2016 deutlich öfter Opfer rechter Straftaten als bisher bekannt. Das ist die Erkenntnis aus einer Antwort auf eine Schriftliche Frage von mir, die Anfang Februar von der Presse aufgegriffen wurde:
Sicherheit beim Bundesamt für Verfassungsschutz
Der Fall „Roque M.“, den die Presse den „Maulwurf beim Verfassungsschutz“ nannte, hat bundesweit Schlagzeilen geschrieben. Es geht um einen Mitarbeiter beim Bundesamt für Verfassungsschutz, der für die Überwachung von mutmaßlichen islamistischen Attentätern zuständig war, aber in sozialen Netzwerken selbst ganz offen seine Sympathie für den IS erklärt haben soll. Offenbar haben die Sicherheitsüberprüfungen bei der Einstellung von Roque M. in den Dienst des Verfassungsschutzes nicht gegriffen.
Die Bundesregierung hat darauf mit einem Gesetzentwurf reagiert, mit dem solche Sicherheitsüberprüfungen verbessert werden sollen. Doch es zeigt sich: Dem Gesetzentwurf fehlt die nötige Ausgewogenheit, denn es genügt nicht zu definieren, was als Verschlusssache besonders geheim zu halten ist. In der Demokratie hat auch das Interesse, Sachverhalte öffentlich zu diskutieren, besonderes Gewicht.
Kleine Anfrage zur Sicherheit beim Bundesamt für Verfassungsschutz
Rede zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Europol-Gesetzes
Europol hat bereits heute große Bedeutung für die polizeiliche Zusammenarbeit in Europa im Bereich der organisierten Kriminalität, des Terrorismus und anderer Formen schwerer Kriminalität und wird dabei zukünftig noch wichtiger. Daher ist es notwendig genau hinzuschauen, welche Befugnisse dort geschaffen werden.
So soll Europol beispielsweise zukünftig auch in Kontakt zu privaten Anbietern von Online-Diensten treten, damit diese auf freiwilliger Basis die Vereinbarkeit bestimmter Inhalte mit ihren jeweiligen Geschäftsbedingungen überprüfen und gegebenenfalls Inhalte oder Links löschen. Hier müssen wir die Auswirkungen klar im Blick behalten, denn die dadurch ausgelösten Restriktionen können durchaus grundrechtsrelevant sein.