Aus dem Protokoll vom 9.6.2016
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir alle sind uns darüber einig, dass die aktuelle Sicherheitslage äußerst angespannt ist und dass wir natürlich alles Rechtsstaatliche tun müssen, um die Bürgerinnen und Bürger vor Terroranschlägen zu schützen. Genau deshalb brauchen wir eines nicht: mit der heißen Nadel gestrickte Gesetzespakete, wie sie uns hier turnusmäßig vorgelegt werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Diese Hektik geben Sie dann auch noch ins parlamentarische Verfahren weiter. Vielleicht sollen wir hier im Parlament ja schon froh sein, dass uns die Gesetzentwürfe überhaupt noch vorgelegt werden.
(Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja!)
Im Innenausschuss hat die Koalition schon längst den Vorratsbeschluss etabliert, und wir beschließen Anhörungen zu Gesetzentwürfen, noch bevor sie überhaupt ins Parlament eingebracht worden sind, so wie bei diesem Paket jetzt. Das ist nicht nur unzulässig, sondern geht auch auf Kosten der dringend gebotenen Gründlichkeit und damit auf Kosten der Demokratie, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Das Parlament ist doch kein Abnickgremium für die Bundesregierung; im Gegenteil. Besonders der jetzt hier vorliegende Gesetzentwurf mit weitreichenden Befugnissen für die Nachrichtendienste sollte hier im Haus doch ganz ausführlich beraten werden; denn er verfehlt das proklamierte Ziel der Terrorismusbekämpfung, greift aber massiv in die datenschutzrechtlichen Belange und die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein, und er vermischt vollkommen unzulässig die Terrorismusdebatte mit der Flüchtlingssituation. Sie schreiben in Ihrem Gesetzentwurf: „Deutschland ist bevorzugtes Ziel- und Transitland illegaler Migration.“ Sagen Sie mir einmal, was die Themen „Schleuserkriminalität“ und „Flucht“ in einem Gesetzentwurf zur Verbesserung des Informationsaustauschs bei der Terrorismusbekämpfung – so steht es da an der Medienwand – zu suchen haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Kommen wir einmal auf den Kern dieses Gesetzentwurfs zu sprechen, auf die gemeinsamen Datenbanken mit ausländischen Nachrichtendiensten. Herr Minister, Sie haben vorhin gesagt: Das ist alles nicht uferlos. – Sie konnten aber nicht deutlich machen, wo eigentlich genau das Ufer ist. Nach Ihrer Rede wissen wir: Ladendiebe werden in diesen Datenbanken nicht erfasst.
(Frank Tempel (DIE LINKE): Das ist ein Erfolg!)
Aber wer da erfasst wird, das konnten Sie uns nicht erklären, und das konnte auch Herr Grötsch hier nicht sagen.
Grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien – so schreiben Sie in Ihrem Gesetzentwurf – sind die Voraussetzung dafür, dass solche Datenbanken überhaupt eingerichtet werden können. Sie haben darauf hingewiesen: Es sollen Datenbanken mit EU-Ländern sein; es sollen Datenbanken mit NATO-Partnern sein. – Dann braucht man doch nicht das Szenario zu bemühen, dass der Verfassungsschutz mit Ägypten oder Syrien oder Libyen Daten austauscht. Die Türkei ist ein NATO-Partner. Da bedarf es dann nicht der Zustimmung des Bundesinnenministers, um diese Datenbank gemeinsam einzurichten. Vorhin haben wir hier noch darüber gesprochen, welche kruden Vorstellungen in der Türkei teilweise vorherrschen, was die Unterstützung von terroristischen Aktivitäten angeht. Nach der Version sind wir alle hier im Hause verdächtig. Das kann nicht im Sinne dieser Regelung sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Dazu kommt, dass Sie alle Erkenntnisse, die wir in den Untersuchungsausschüssen zu den Themen NSA und NSU gewonnen haben, mal einfach so in den Wind schlagen. Anstatt illegale Praktiken der Nachrichtendienste zu beenden, wollen Sie sie legalisieren. Anstatt die Geheimdienste in ihren Kompetenzen einzuhegen und wirksame Kontrollen zu gewährleisten, machen Sie genau das Gegenteil. Sie werten die Dienste und vor allem den Verfassungsschutz massiv auf. Sie weiten Befugnisse aus und schießen Geld in diese Behörde: 2,9 Millionen Euro jährlich.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rede hier von genau der Behörde mit dem Chaos in den Panzerschränken. Ich weiß nicht, was die mit der Kohle machen. Vielleicht kaufen sie neue Möbel. Das ist der Nachrichtendienst, bei dem V-Mann-Handys, Datenträger, SIM-Karten, illegale Handakten einfach mal eben so zwischen Schriftstücken und irgendwelchen persönlichen Gegenständen herumliegen, bei dem scheinbar jeder machen kann, was er will, und bei dem der Präsident das nicht in den Griff bekommt, sodass jetzt die Dienstaufsicht des Innenministeriums dort einschreiten muss.
Diese Behörde soll jetzt die Kernkompetenz bei der Terrorbekämpfung haben. Diese Behörde soll eigenverantwortlich große Datenbanken auf internationaler Ebene aufbauen. Wer kontrolliert aber das Ganze? Die Dienste selber? Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein, liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Uli Grötsch (SPD))
Wir haben ganz andere Probleme, die Sie dringend anpacken sollten. Sie sollten hier zum Beispiel möglichst bald ein verfassungskonformes BKA-Gesetz vorlegen. Terrorismusbekämpfung braucht einen verbindlichen Rechtsrahmen und auch verlässliche Akteure, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Aber das, was Sie hier vorlegen, was Sie hier machen, stellt die Dinge auf den Kopf. Hier wird nicht die Polizei in ihrer Kompetenz gestärkt, Terrorismus zu bekämpfen. Vielmehr statten Sie die Nachrichtendienste mit der Möglichkeit aus, uferlose Datenbanken einzurichten. Das alles geht zulasten der Kontrollierbarkeit, der Transparenz und der Rechte der Bürgerinnen und Bürger und geht hart an den Erfordernissen der Terrorismusbekämpfung vorbei.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)