Newsletter Juli 2017
Liebe Leserinnen und Leser,
die Sommerferien stehen vor der Tür. Auch der Bundestag geht in eine Sommerpause. In diesem Jahr in eine besondere. Denn diese Wahlperiode endet nach der Bundestagswahl. So war die letzte Sitzungswoche vor der Sommerpause auch die letzte reguläre dieses Bundestages.
Sie war geprägt von Abschieden und überaus ereignisreich. Zudem hat sie verdeutlicht, dass es über den Sommer hinaus viel für uns zu tun gibt. Einiges davon findet sich auch in diesem Newsletter.
Ich wünsche viel Spaß beim Lesen und einen erholsamen und sonnigen Sommer.
Liebe Grüße
Irene Mihalic
G20-Gipfel
Die gewaltvollen Ausschreitungen rund um den Hamburger G-20 Gipfel mit vielen Hunderten Verletzten bei Einsatzkräften der Polizei,Rettungskräften und Demonstranten sowie schwersten Sachbeschädigungen haben uns alle zutiefst erschüttert. Das war rohe Gewalt als Selbstzweck, begangen von Kriminellen,die viele Menschenleben in Gefahr gebracht hat. Die Politik muss haarklein aufarbeiten, wie es dazu kommen konnte. Keiner derer, die Verantwortung tragen und getragen haben kann sagen, dass man nicht hätte gewarnt sein können.
Wir haben als Grüne Fraktion bereits weit vor dem Gipfel nach den sicherheitspolitischen Rahmendaten gefragt und danach, warum gerade Hamburg mit allen bekannten Problemkonstellationen ausgewählt wurde. Daraufhin antwortete die Bundesregierung: „Mit dem Hafen, der mitten in der Stadt liegt, verfügt die Freie und Hansestadt Hamburg seit Jahrhunderten über Handelsbeziehungen in alle Welt und darf sich zu Recht als weltoffene und internationale Stadt bezeichnen. Die Hamburger Messe bietet besonders günstige Bedingungen, um logistische und sicherheitstechnische Anforderungen an einen G20-Gipfelort zu erfüllen. Die Polizei in Hamburg wird den sicheren Ablauf des Gipfels, den Schutz der Bevölkerung und das Recht auf Versammlungsfreiheit garantieren.“
Für uns war absehbar, dass der Veranstaltungsort Hamburg zu massiven Ausschreitungen führen könnteund zu es erheblichen Einschränkungen des Demonstrationsrechts kommen könnte, was ich auch noch einmal kurz vor Gipfelbeginn der Frankfurter Rundschau gesagt habe. Die politische Entscheidung für Hamburg als Veranstaltungsort wurde meines Erachtens nach auch auf dem Rücken der dort eingesetzten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten ausgetragen.
NSU: Der Untersuchungsausschuss im Bund ist abgeschlossen, die Aufklärung nicht
Ende Juni hat der zweite Untersuchungsausschuss zum NSU auf Bundesebene seine Arbeit beendet und den Abschlussbericht im Bundestag vorgestellt. Neben dem Feststellungsteil und fraktionsübergreifenden Bewertungen haben wir als Grüne auch noch ein Sondervotum mit weitergehenden Bewertungen und Schlussfolgerungen erstellt. In den Anderthalbjahren konnten wir Einiges herausarbeiten, aber es gibt noch viele offene Fragen.
Ein konkretes Ergebnis unserer Untersuchungen war, dass die Aktenvernichtung im Bundesamt für Verfassungsschutz – die „Operation Konfetti“, wie mein Vorgänger Wolfgang Wieland sie nannte – nicht nur vorsätzlich, sondern gezielt durchgeführt wurde, damit der massive V-Mann-Einsatz im Umfeld des Trios Ende de 1990er nicht öffentlich (thematisiert) wird. Überhaupt haben wir in unserer Arbeit diverse Missstände bei der V-Mann-Führung ermittelt und feststellen müssen, dass nicht zuletzt deshalb auch nach dem 4. November 2011 ein starkes Misstrauen der Polizei gegenüber dem Verfassungsschutz vorherrscht.
Ein weiterer Kernbefund unserer Arbeit war, dass die Ermittlungen zum NSU nach 2011 das rechte Netzwerk im Wesentlichen ausgeblendet haben. Das ist ein gefährliches Versäumnis, denn die rechte Gefahr wirkt ja fort und rechte Strukturen und Netzwerke werden weiterhin kaum erkannt. Es wird unsere Aufgabe als Grüne bleiben, diesen Missstand weiter klar anzusprechen und auf Aufarbeitung zu drängen.
Nicht vollstreckte Haftbefehle
Wir haben erneut im Rahmen einer Kleinen Anfrage nach nicht vollstreckte Haftbefehlen gefragt. Mit einem überraschenden Ergebnis: Auch nach Anis Amri und dem Anschlag vom Breitscheidplatz in Berlin scheinen die Sicherheitsbehörden, Radikalisierungen im kleinkriminellen Milieu nicht besonders im Blick zu haben.
Dabei wissen wir, dass der Salafismus und Dschihadismus in Deutschland hier besonders erfolgreich rekrutieren kann. Aber auch im Bereich des gewaltbereiten Rechtsextremismus ist eine kriminelle Vorgeschichte nicht untypisch. Es wäre dringend geboten, Haftbefehle in diesem Bereich mit großer Aufmerksamkeit zu verfolgen. Dass dies aufgrund von Zuständigkeitsfragen und allgemeiner Überlastung der Polizeibehörden nicht geschieht, können wir nicht länger hinnehmen.
Kleine Anfrage:
Nicht vollstreckte Haftbefehle als Frage der inneren Sicherheit 2017
Presse:
Schusswaffen in Deutschland
Anknüpfend an unsere Anträge und die früheren Anfragen haben wir die Bundesregierung wieder mal nach aktuellen Zahlen zu Schusswaffen in Deutschland gefragt – mit erschreckenden Ergebnissen:
Der Gesamtbestand privater erlaubnispflichtiger Waffen (einschließlich meldepflichtiger Waffenteile) ist in den letzten 16 Monaten um 22.587 auf 5.355.226 gestiegen. 17.174 Waffen sind aktuell als abhandengekommen gemeldet, weitere 4.760 als gestohlen. (Pro Monat verschwanden aus Privatbesitz somit über 270 scharfe Schusswaffen.) Auch die Zahl der Waffenbesitzverbote steigt: Inzwischen sind 19.902 registriert. (In den letzten 16 Monaten kamen 2.614 neu dazu.) Den größten Anstieg gab es allerdings bei den Kleinen Waffenscheinen: Der Zuwachs in den letzten 16 Monaten betrug hier 222.974 (74%).
Die Zahlen machen somit deutlich, dass es mit Einschränkungen im Waffenrecht nicht so sehr weit her ist. Leider hat die Bundesregierung es unter dem Eindruck der schrillen Agitation der Waffenlobby unterlassen, das Waffenrecht effektiv zu verbessern. Das ist angesichts der ohnehin angespannten Sicherheitslage ein großes sicherheitspolitisches Versäumnis. Sorge bereitet mir auch die stark gestiegene Zahl der als verloren oder gestohlen gemeldeten Waffen, denn damit verbunden ist natürlich die Befürchtung, dass Waffen aus legalem Besitz bewusst in illegale Kreise verteilt werden. Das wäre für Rechtsextreme oder Islamisten schließlich ein relativ sicherer und vor allem sehr einfacher Weg an Waffen und Munition zu kommen. Wir müssen entsprechende Nahtstellen zwischen dem legalen und illegalen Waffenbesitz daher besser in den Blick nehmen. Vorstellbar wäre in diesem Sinne auch, dass Waffenbesitzer einen regelmäßigen Nachweis über die Vollständigkeit ihres Waffenbestandes erbringen müssen.
Kleine Anfrage:
Presse:
Ein Untersuchungsausschuss zu Anis Amri
Die neuen Erkenntnisse zum Fall Anis Amri aus Berlin machen deutlich, dass es richtig war, dass wir auch im Bund einen Untersuchungsausschuss gefordert haben. Dass die anderen Fraktionen sich dem verschlossen haben, wird vor diesem Hintergrund immer weniger nachvollziehbar. Wir brauchen den Untersuchungsausschuss aber auch deshalb, weil die bisherige parlamentarische Befassung nicht ausreicht, hinreichend präzise Schlüsse hinsichtlich einer Neuausrichtung der deutschen Sicherheitsarchitektur zu ziehen.
Diese inhaltliche Arbeit am System ist aber notwendig, wenn wir eine Wiederholung der gemachten Fehler und Versäumnisse vermeiden wollen. Im Fall Anis Amri ist das unsystematisch gewachsene Geflecht deutscher Sicherheitsbehörden an seine Grenze gekommen. Dieses Gefüge an den tatsächlichen Gegebenheiten besser auszurichten wäre der Schlüssel zu einer besseren Innenpolitik – darin sind sich viele Experten heute einig. Gemeinsam mit meinem Kollegen Konstantin von Notz habe ich im Juni in einem Gastbeitrag für die Welt am Sonntag einen Vorschlag präsentiert, wie wir uns die Grundzüge einer Reform der Sicherheitsarchitektur vorstellen, was auch in anderen Medien sehr positiv aufgenommen wurde.
Presse:
Für eine bundesweite Präventionsstrategie
Anfang diesen Jahres haben wir ja unseren Antrag für eine bundesweite Präventionsstrategie in erster Lesung im Bundestag eingebracht. Darin fordern wir unter anderem die Einrichtung eines Bundes-Präventionszentrums, um endlich Bund, Länder, Kommunen und Zivilgesellschaft an einen Tisch zu bringen bei dem Anliegen, Radikalisierung schon im Frühstadium zu erkennen und zu bekämpfen.
Ende Juni haben wir dazu über den Innenausschuss eine öffentliche Expertenanhörung durchgeführt. Dort haben die allermeisten Experten unser Grundanliegen nachdrücklich unterstützt. Leider haben die Koalitionsfraktionen in der abschließenden Abstimmung im Bundestag trotzdem gegen unseren Antrag gestimmt. Dadurch verlieren wir erneut Zeit bei einer effektiven Bekämpfung von Radikalisierung und Terrorismus.
Unabhängige Polizeibeauftragte des Bundes
Zu unserem Gesetzentwurf für die Einrichtung der neuen Stelle einer unabhängigen Polizeibeauftragten bzw. eines unabhängigen Polizeibeauftragten des Bundes fand am 29. Mai 2017 eine Anhörung im Innenausschuss statt. Bei der Stelle, die dem Bundestag angegliedert sein soll, geht es im Kern um die Kontrolle des staatlichen Gewaltmonopols im Innern und um eine moderne Verwaltung, die sich dessen bewusst ist, dass sie gegenüber dem Parlament und den Bürgerinnen und Bürgern zur Rechenschaft für ihr Handeln verpflichtet ist.
Es geht aber auch um die Beschäftigten der Polizeien des Bundes und ihre Sicht auf die Dinge sowie um bessere Arbeitsbedingungen und einen besseren Schutz der betroffenen Bürgerinnen und Bürger. Dafür gab es bei der Anhörung von Seiten der Wissenschaft (vertreten durch Professor Dr. Hartmut Aden, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin), der Anwaltschaft (vertreten durch Dr. Anna Luczak, Rechtsanwältin, Berlin) und Praxis (vertreten durch Volker Schindler, Bürgerbeauftragter des Landes Baden-Württemberg, Stuttgart) Unterstützung. Auch von Seiten der LINKEN und der SPD gab es Zustimmung.
Die Koalition hat (bei zwei Enthaltungen aus der SPD) den Gesetzentwurf letztlich dennoch abgelehnt. Überraschend kam das nicht – hatten CDU/CSU in der Anhörung doch ausgerechnet Polizeigewerkschafter Rainer Wendt als Sachverständigen geladen. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft war zuvor in der Öffentlichkeit kritisiert worden, weil er trotz Freistellung für die Gewerkschaftsarbeit jahrelang sein Teilzeitgehalt als Polizist bezog.
Rede:
Der Gesetzentwurf:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/076/1807616.pdf
Die ergänzenden Anträge:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/076/1807617.pdf
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/076/1807618.pdf
Die Stellungsnahmen in der Anhörung:
http://www.bundestag.de/de/ausschuesse18/a04/anhoerungen/118–sitzung-inhalt/506570
Presse:
Freiwilliges und ehrenamtliches Engagement im Bevölkerungsschutz stärken
Das von rund 1,7 Millionen Frauen und Männern ausgeübte ehrenamtliche und freiwillige Engagement in Hilfsorganisationen, Rettungs- und Sanitätsdiensten, den Freiwilligen Feuerwehren oder dem Technischen Hilfswerk ist eine tragende Säule des Bevölkerungsschutzes und der Inneren Sicherheit. Trotz der enormen Wichtigkeit haben die Organisationen Probleme Nachwuchs zu gewinnen und Mitglieder zu halten.
Aus diesem Grund habe ich zusammen mit meiner Kollegin Kordula Schulz-Asche (Sprecherin für bürgerschaftliches Engagement) im vergangen Frühjahr ein öffentliches Fachgespräch durchgeführt. Die Ergebnisse des Fachgespräches haben wir intensiv aufbereitet und einen entsprechenden Antrag in den Bundestag eingebracht 18/12802 Der Antrag fordert die Bundesregierung dazu auf, die Anstrengungen zur Förderung des freiwilligen Engagements im Bevölkerungsschutz und der Katastrophenhilfe zu verstärken.
Zum Beispiel sollen strukturelle Maßnahmen identifiziert werden, die den Anteil von Frauen in den Organisationen erhöhen. Darüber hinaus finden sich ganz konkrete Vorschläge für Maßnahmen in dem Antrag, die die Attraktivität des Ehrenamts erhöhen sollen, wie zum Beispiel die Anrechnung von Wartesemestern für langjähriges Engagement. Leider wurde der Antrag durch die Stimmen der Regierungskoalition abgelehnt.