Erste Parlamentarische Geschäftsführerin | Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines Gesetzes über die unabhängige Polizeibeauftragte oder den unabhängigen Polizeibeauftragten des Bundes

Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, Canan Bayram, Kai Gehring, Britta Haßelmann, Katja Keul, Monika Lazar, Filiz Polat, Tabea Rößner, Dt. Manuela Rottmann und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Drucksache 19/7928

Entwurf eines Gesetzes über die unabhängige Polizeibeauftragte oder den unabhängigen Polizeibeauftragten des Bundes

(Bundespolizeibeauftragtengesetz – BPolBeauftrG)

A. Problem

Die Polizei steht für das staatliche Gewaltmonopol, den Schutz der Grundrechte und die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit wie keine andere staatliche Stelle. Ihr kommen in vielerlei Hinsicht besondere Verantwortung und Vorbildfunktion zu.

Die Bundesländer Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg haben daher die Notwenigkeit gesehen, unabhängige Stellen zu schaffen, die Bürgerinnen und Bürgern, aber auch den Beschäftigten der Landespolizeien bei Sachverhalten mit Polizeibezug als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Auch in Berlin und Hessen gibt es konkrete Bestrebungen, solche Stellen zu schaffen.

Ein entsprechender Regelungsbedarf besteht auch auf Bundesebene. Die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und der Zoll haben im Inland und an den Grenzen in unterschiedlicher Art und Weise die Aufgabe, Straftaten zu verfolgen und Gefahren abzuwehren. Die Polizei des Deutschen Bundestages agiert in einem für die Demokratie besonders relevanten Bereich. Ferner unterstützt die Bundespolizei die Länderpolizeien auf Anforderung, insbesondere bei Demonstrationen und Großveranstaltungen. Die Beschäftigten der Polizeien des Bundes und des Zolls sind daher einerseits für Bürgerinnen und Bürger wichtige Ansprechpartner bei Problemen und Konflikten verschiedenster Art, andererseits sind sie mit weitgehenden Eingriffsbefugnissen ausgestattet. Auch seitens der Polizeien des Bundes kann es daher dazu kommen, dass im Bürgerkontakt gesetzliche Grenzen überschritten, unverhältnismäßige Gewalt ausgeübt, Menschenrechte verletzt oder einzelne Bürgerinnen und Bürger – beispielsweise im öffentlichen Raum – diskriminiert oder unangemessen behandelt werden.

Diese Gesamtproblematik ist weitgehend bekannt. Zum Selbstverständnis einer modernen Verwaltung gehört daher inzwischen auch das Bewusstsein, dass externe unabhängige Kontrolle wichtig ist. Angesichts der besonderen Bedeutung der Polizei im rechtsstaatlichen Gefüge und im Sinne einer professionell, effektiv und rechtsstaatlich arbeitenden Behörde sind die Aufarbeitung von Fehlern, rechtswidrigem Verhalten und strukturellen Mängeln besonders wichtig. Entsprechende Institutionen sind daher gerade im polizeilichen Bereich in vielen europäischen und außereuropäischen Staaten üblich.

Darüber hinaus würde die parlamentarische Kontrolle der Polizeibehörden des Bundes gefördert und erleichtert, wenn sich der Bundestag oder einer seiner Ausschüsse bei der Behandlung entsprechender Sachverhalte auf die fachlich fundierte Bewertung einer unabhängigen Stelle stützen könnte, die im Auftrag des Parlaments entsprechende Vorgänge auch über einen längeren Zeitraum begleiten kann.

Bei den Polizeien des Bundes kann ein mögliches Fehlverhalten im Übrigen bisher nur im Rahmen einer Fach- bzw. Dienstaufsichtsbeschwerde und/oder im Wege einer Strafanzeige geltend gemacht werden. Solche Verfahren sind wichtig, haben jedoch jeweils auch einen ganz speziellen Fokus:

Fach- und Dienstaufsichtbeschwerden sind nach innen gerichtete Verfahren und dienen der Selbstkontrolle der Verwaltung, stellen jedoch kein unabhängiges Verfahren dar und sind daher auch wenig geeignet, bei Betroffenen Vertrauen herzustellen. Zudem können die hierarchische Organisation und das beamtenrechtliche Beförderungssystem in den Behörden eine Aufklärung zugunsten des beruflichen Friedens verhindern.

Im Rahmen der strafrechtlichen Aufarbeitung von polizeilichem Fehlverhalten geht es allein um die Frage einer individuell vorwerfbaren strafrechtlich relevanten Schuld. Eine Aufklärung struktureller Faktoren jenseits der strafrechtlichen Verantwortung erfolgt hingegen nicht. Im Übrigen ist für Verfahren gegen Beschäftigte einer Polizei des Bundes zwar regelmäßig eine Landespolizei zuständig. Die so formell bestehende Unabhängigkeit ist Betroffenen, die regelmäßig nicht zwischen den verschiedenen Polizeien differenzieren, aber selten bewusst, und vermag daher regelmäßig auch nicht das Vertrauen in das Verfahren zu för- dern. Darüber hinaus besteht auch zwischen Bundes- und Landespolizeien eine strukturelle Nähe. Auch werden entsprechende Ermittlungsverfahren überdurch- schnittlich häufig eingestellt, was zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung vielfach wiederum mit einer institutionellen Nähe in Verbindung gebracht wird und daher sowohl in der öffentlichen Kommunikation als auch in der Kommuni- kation mit Betroffenen zu berücksichtigen ist. Mit strafrechtlich relevantem Fehlverhalten müssen aber immer wieder auch beistehende Kolleginnen bzw. Kolle- gen umgehen, was angesichts des kollektiven Zusammenhalts besondere Probleme aufwerfen kann. Nicht zuletzt berichten Beschäftigte über die Schwierigkeit, mit unangemessenem Verhalten von Vorgesetzten und Kolleginnen bzw. Kollegen oder mit internen wie externen Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen umgehen zu müssen, auch und gerade wenn diese im Einzelfall nicht zu einer Strafbarkeit nach dem Strafgesetzbuch geführt haben. Kommt es zu einer strafbaren Handlung im Amt, droht auch den Zeugen häufig ein Verfahren wegen Strafvereitelung, wenn der beobachtete Vorgang nicht sofort zur Anzeige gebracht wird. In diesen Fällen haben betroffene Beschäftigte einen besonderen Beratungsbedarf, der durch die oder den Polizeibeauftragten des Bundes gedeckt werden soll.

Im Ergebnis folgt daraus, dass es auch für den Bund angezeigt ist, eine unabhängige Stelle zu schaffen, die entsprechende Beratungsleistungen erbringen, Verfahren begleiten und den Umgang der Behörden mit entsprechenden Fällen bewerten kann.

Dass es aktuell keine Möglichkeit gibt, geeignete Fälle abseits der Frage eines staatlichen Disziplinar- oder Strafanspruchs einem strukturierten Verfahren zuzu- führen, führt im Ergebnis auch dazu, dass bestimmte Sachverhalte in erster Linie oder ausschließlich in der medialen Berichterstattung behandelt werden, bevor sie parlamentarisch aufgegriffen werden.

Auch von internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen, dem UN- Menschenrechtsausschuss und dem Europarat, der Europäischen Kommission ge- gen Rassismus und Intoleranz (ECRI) wird seit Jahren darauf hingewiesen, dass Deutschland entsprechend den menschenrechtlichen Verpflichtungen verpflichtet ist, ein effektives System externer Kontrolle vorzusehen (vgl. insbesondere die Berichte des Menschenrechtskommissars des Europarates von 2015 und 2007, CommDH(2007)14, 11. Juli 2007, § 39 und CommDH(2015)20, 1. Oktober 2015, Rn. 40 ff).

Dabei können eine externe Kontrolle der Verfahren und ein organisierter Austausch mit Betroffenen im Interesse der Institutionen dazu beitragen, Fehler früher und besser zu erkennen und die vertrauensvolle Zusammenarbeit von Polizei und Bevölkerung zu stärken. So hat im Fall der NSU-Morde erst die Arbeit der Untersuchungsausschüsse Missstände und Fehler im Umgang mit Opfern und Angehörigen bis hin zu einseitigen Ermittlungen aufgedeckt. Dementsprechend wurde eine unabhängige Beschwerdestelle auch in den Sondervoten der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE. zum Abschlussbericht des NSU- Untersuchungsausschusses (Bundestagsdrucksache 17/14600) gefordert.

B. Lösung

Mit dem vorliegenden Gesetz werden die Grundlagen dafür geschaffen, die unabhängige Stelle einer Polizeibeauftragten oder eines Polizeibeauftragten des Bundes als Hilfsorgan des Deutschen Bundestages einzurichten, um so die parlamentarische Kontrolle der Polizei zu verbessern und eine zentrale Anlaufstelle für die Bürgerinnen und Bürger und die Beschäftigten der Polizeien des Bundes zu schaffen.

Durch die Einführung der Stelle einer oder eines Bundespolizeibeauftragten sollen Bürgerinnen und Bürger – aber auch Bürger- bzw. Menschenrechtsorganisationen – ebenso wie die Beschäftigten aus den jeweiligen Behörden die Möglichkeit haben, bei einer externen und unabhängigen Stelle Missstände und Fehler anzusprechen, ohne dabei Sanktionen oder berufliche Nachteile fürchten zu müssen. Gleichzeitig wird eine zusätzliche Möglichkeit der Bearbeitung entsprechender Sachverhalte geschaffen, die aus Sicht der Beschäftigten ebenso wie aus Sicht betroffener Bürgerinnen und Bürger in bestimmten Fällen besonders geeignet erscheinen kann. Aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger tritt diese neue Möglichkeit ergänzend neben die Einleitung eines nichttransparenten internen Ermittlungsverfahrens beziehungsweise eines meist langwierigen und erfolglosen Strafverfahrens. Dies trägt auch wissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung, wonach die Opferperspektive häufig weniger auf Bestrafung als auf grundlegende Befassung gerichtet ist (vgl. Sieverts, Handwörterbuch der Kriminologie, Band 5, 2. Auflage 1998, S. 394).

Eine solche externe Stelle stärkt als demokratisches Element das Vertrauen der Bevölkerung in die Institution Polizei und eine bürgerorientierte Ausrichtung der polizeilichen Arbeit. Sie schützt die Beschäftigten vor ungerechtfertigten Anschuldigungen, da sie Sachverhalte mit der notwenigen Sachkunde bewerten kann. Gleichzeitig wird eine bessere parlamentarische Kontrolle der Behörden ermöglicht und so weitgehende Transparenz im Bereich der Sicherheitsbehörden hergestellt.

Ein veränderter Umgang mit Fehlern ist notwendig, um eine dem modernen Selbstverständnis staatlicher Behörden angemessene Fehlerkultur zu implementieren und entsprechenden Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden. Die Stelle ist kein Ausdruck von Misstrauen, sondern ein unterstützendes Element der Qualitätssicherung und modernen Mitarbeiterführung.

In diesem Sinne soll die oder der Polizeibeauftragte im Interesse der Beschäftigten insbesondere dazu beitragen, folgende typische Konfliktsituation zu lösen: Strafrechtliche Ermittlungen wegen des Verdachts eines strafgesetzlich relevanten Fehlverhaltens durch Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte werden regelmäßig dadurch erschwert, dass Kolleginnen und Kollegen, die an den Vorfällen nicht beteiligt waren, aber Kenntnisse von den Geschehnissen haben, sich im Fall einer nicht sofortigen Anzeige dem Verdacht aussetzen, eine Strafvereitelung begangen zu haben. Diese Zeugen aus dem Kreis der Polizei sind dabei für die Aufklärung der Haupttat typischerweise so wichtig, dass die Ermittlungen ohne entsprechende Aussagen wenig erfolgversprechend sind. Daher erweisen sich Ermittlungen gegen eben diese Kolleginnen und Kollegen wegen des Verdachts einer Strafvereitelung regelmäßig nicht zuletzt aufgrund des Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 55 StPO als entscheidendes Hemmnis für die Aufklärungen entsprechender Haupttaten.

Eine wichtige Aufgabe der oder des Polizeibeauftragten wird es daher sein, die Beamtinnen und Beamten in dieser schwierigen Situation zu beraten. Zusätzlich soll ein Antrag auf den Weg gebracht werden, der folgende Klarstellung bewirkt: Eine vorwerfbare Beeinträchtigung des staatlichen Strafanspruchs liegt in der Regel erst dann vor, wenn es zu einer zurechenbaren Verzögerung von mindestens drei Wochen gekommen ist. Diese Klarstellung konkretisiert die zu der genannten Frist in Rechtsprechung und Literatur vorherrschende Meinung. Wegen des weiteren Inhalts wird auf den Antrag mit dem Titel „Aufklärung polizeilichen Fehlverhaltens erleichtern – Ergänzung zum Entwurf eines Gesetzes über die unabhängige Polizeibeauftragte oder den unabhängigen Polizeibeauftragten des Bundes (Bundespolizeibeauftragtengesetz – BPolBeauftrG)“ Bezug genommen.

C. Alternativen

Die bestehende Rechtslage sieht zwar für einige der durch diesen Antrag thematisierten Sachverhalte bereits staatliche Aufklärungs- und Reaktionsmaßnahmen vor. Die bisherige Praxis hat jedoch gezeigt, dass die parlamentarische Aufklärung einerseits und die öffentliche Diskussion andererseits von einer unabhängigen Stelle profitieren könnten, die entsprechende Verfahren begleiten und bewerten kann. Auch gibt es Sachverhalte, die im Rahmen der zur Verfügung stehenden Verfahren nicht bearbeitet, und Lösungen, die in diesen Verfahren nicht erreicht werden können. Im Übrigen können Reformbestrebungen der bestehenden Verfahren schon aufgrund ihrer speziellen Funktionen nicht allen in diesem Gesetz berücksichtigten Aspekten Rechnung tragen. Anderen Stellen wie beispielsweise der Vertrauensstelle der Bundespolizei, an die sich seit 2017 monatlich sechs bis acht Personen gewendet haben (Bundestagsdrucksache 19/3932), fehlt die im Gesetzentwurf verankerte Unabhängigkeit.

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Für die Arbeit der oder des Bundespolizeibeauftragten ist eine Ausstattung mit Personal- und Sachmitteln erforderlich. Diese beläuft sich auf voraussichtlich 1,85 Mio. Euro jährlich.

E. Erfüllungsaufwand

E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger

Für die Bürgerinnen und Bürger entsteht kein neuer Erfüllungsaufwand.

E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft

Für die Wirtschaft entsteht kein neuer Erfüllungsaufwand. Bürokratiekosten aus Informationspflichten entstehen nicht. Es werden keine Informationspflichten eingeführt, geändert oder abgeschafft.

Davon Bürokratiekosten aus Informationspflichten

Die neu zu schaffende Stelle einer unabhängigen Polizeibeauftragten oder eines unabhängigen Polizeibeauftragten des Bundes unterliegt nur hinsichtlich der ei- genen organisatorischen Struktur und Arbeitsweise sowie allgemeiner statisti- scher Informationen einer Auskunftspflicht nach dem Informationsfreiheitsge- setz. Die dadurch bedingten zusätzlichen Bürokratiekosten sind dabei auch des- halb als gering einzuschätzen, weil bereits nach diesem Gesetz eine Berichts- pflicht besteht, in deren Rahmen auch Fragen zur Arbeitsweise und allgemeine statistische Informationen veröffentlicht werden sollen.

E.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung

Bei den Behörden im Zuständigkeitsbereich der oder des unabhängigen Bundes- polizeibeauftragten entsteht voraussichtlich nur ein geringer zusätzlicher Erfül- lungsaufwand, da diese auch bisher Hinweisen und Eingaben zu einem behaupte- ten Fehler bzw. Fehlverhalten nachgehen. Durch die präventive Wirkung der Tä- tigkeit der oder des Beauftragten wird dieser Aufwand mittelfristig möglicher- weise sogar sinken.

Aufgrund der Übertragung von Aufgaben auf die Präsidentin oder den Präsidenten des Bundestages sowie durch die Unterstützung der oder des Bundespolizeibeauftragten durch die Bundestagsverwaltung wird sich dort voraussichtlich eine Mehrbelastung ergeben, deren Ausmaß jedoch wesentlich durch die parlamentarische Praxis, insbesondere die Zahl der übertragenen Prüfaufträge, bestimmt sein wird, sodass eine Quantifizierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht möglich ist.

Für die Bundes- und Landesverwaltung sowie für andere Körperschaften des öf- fentlichen Rechts kann ein geringfügiger zusätzlicher Erfüllungsaufwand durch Amtshilfe durch die Beantwortung von Anfragen im Rahmen von Erhebungen der oder des Bundespolizeibeauftragten entstehen.

F. Weitere Kosten

Keine.

Der Gesetzentwurf