Erste Parlamentarische Geschäftsführerin | Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwicklung der italienischen Mafiakriminalität in Deutschland seit dem Mordanschlag von Duisburg 2007

Kleine Anfrage der Abgeordneten Irene Mihalic, Dr. Gerhard Schick, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gruppierungen der organisierten Kriminalität bedrohen unsere Gesellschaft, unterminieren staatliche Strukturen und richten enormen wirtschaftlichen Schaden an. Dabei agieren diese Gruppierungen ähnlich wie multinationale Unternehmen. Sie arbeiten transnational, arbeitsteilig und passen sich ständig neuen Entwicklungen an. Die transnationale Ausrichtung der organisierten Kriminalität ermöglicht den Gruppierungen, sich der Strafverfolgung zu entziehen und hohe Kapitalvermögen zu verschieben. Neben klassischen Betätigungsfeldern der organisierten Kriminalität, wie zum Beispiel: Menschenhandel, Prostitution, Rauschgifthandel, Schmuggel, Fälschungen, Erpressungen, Entführungen, Waffenhandel etc., infiltrieren kriminelle Vereinigungen zunehmend legale Wirtschaftsbereiche. Die Gründe hierfür liegen vor allem in der enormen Kapitalakkumulation und der Notwendigkeit, die Einnahmen aus kriminellen Tätigkeiten in den legalen Geldkreislauf zu bringen. In der Folge werden Investitionen in den unterschiedlichsten Wirtschaftsbereichen getätigt, um die Schwarzgelder zu „waschen“ und rentabel anzulegen (Bundeskriminalamt – BKA, Bun- deslagebild Organisierte Kriminalität, 2015).

Dabei hat insbesondere auch die italienische organisierte Kriminalität bzw. so- genannte „Mafiakriminalität“ in Europa und Deutschland erhebliche Bedeutung (BKA, Bundeslagebild Organisierte Kriminalität 2015, S. 21). Diese wurde von der Bevölkerung und den Sicherheitsbehörden lange Zeit als vornehmlich italienisches Problem begriffen und entsprechend wenig beachtet (DIE WELT, 17. Oktober 2007). Eine grundlegende Neubewertung fand nach dem Mordanschlag auf sechs Menschen vor dem Restaurant „Da Bruno“ in Duisburg im Jahr 2007 statt. Die durch dutzende Schüsse getöteten Italiener wurden Opfer einer Familienfehde der italienischen Mafiaorganisation ’Ndrangheta. Das oftmals als „Massaker von Duisburg“ bezeichnete Attentat (DER SPIEGEL, 22. Juli 2010) auf die verfeindeten Gruppierungen jährt sich am 15. August 2017 zum zehnten Mal.

Nach den Morden von Duisburg agieren die Gruppen der italienischen organisierten Kriminalität weitestgehend unauffällig in Deutschland. Darüber hinaus tritt das Thema in Zeiten des internationalen Terrorismus in den Hintergrund (die tageszeitung, 11. April 2015). Dennoch ist die Gefahr keineswegs gebannt oder die italienische organisierte Kriminalität nicht mehr in Deutschland präsent. Die großen Mafiagruppierungen Camorra, Cosa Nostra, ’Ndrangheta und apulische Gruppierungen (Sacra Corona Unita, Società Foggiana, Camorra Barese und Gargano Mafia) verfügen über erheblichen Einfluss in Italien und darüber hinaus. Insbesondere die ’Ndrangheta konnte ihre Stellung in den letzten Jahren stark ausbauen und generiert enorme Umsätze durch ihre illegalen Tätigkeiten, die laut Expertenschätzungen bei mindestens 50 Mrd. Euro pro Jahr liegen (DER SPIEGEL, 27. März 2014).

Die größten Geschäfte macht die ’Ndrangheta mit dem Kokainhandel, den sie nach Einschätzungen von Europol in Europa dominiert und der die ’Ndrangheta zu einer der einflussreichsten kriminellen Vereinigungen der Welt macht. Die größte Gefahr dieser Organisationen liegt aber in der hohen Liquidität, die diese ausnutzen, um zunehmend legale Wirtschaftsbereiche zu infiltrieren (Europol, Italian Organised Crime, 2013).

Expertinnen und Experten bewerten die „Zurückhaltung“ der italienischen organisierten Kriminalität und Deutschland keineswegs als Schwäche, sondern als ein Zeichen für eine zunehmende Stärkung ihrer gesellschaftlichen Stellung und Macht. Deutschland dient der italienischen organisierten Kriminalität sowohl als wichtiger Absatzmarkt als auch als attraktiver Markt für Geldanlagen und wirtschaftlicher Betätigung. Hierin liegt auch die Begründung für das Eigeninteresse der italienischen organisierten Kriminalität, dass möglichst keine sichtbaren Erscheinungsformen krimineller Aktivitäten in Deutschland stattfinden. Entsprechendes staatliches Handeln ist geboten und muss in enger Zusammenarbeit mit den europäischen und italienischen Partnern erfolgen, um den Einfluss der italienischen organisierten Kriminalität nachhaltig zu verringern (die tageszeitung, 2015).

Komplette Anfrage und Antwort der Bundesregierung