Erste Parlamentarische Geschäftsführerin | Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Antrag: Islamistischen Terror entschlossen bekämpfen – Null-Toleranz gegenüber Gefährdern

Drucksache 19/24383

Antrag der Abgeordneten Dr. Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, Canan Bayram, Dr. Franziska Brantner, Ekin Deligöz, Britta Haßelmann, Ottmar von Holtz, Katja Keul, Renate Künast, Monika Lazar, Dr. Tobias Lindner, Cem Özdemir, Filiz Polat, Tabea Rößner, Claudia Roth (Augsburg), Dr. Manuela Rottmann, Wolfgang Wetzel und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Islamistischen Terror entschlossen bekämpfen – Null-Toleranz gegenüber Gefährdern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Gefahr durch islamistisch motivierten Terrorismus in Deutschland und Europa ist weiterhin sehr konkret. Darauf weist die antragstellende Fraktion gemeinsam mit den Sicherheitsbehörden seit langem hin.

Der Mord an dem Lehrer Samuel Paty bei Paris, die Tötung eines Mannes in Dresden – nach Stand der Ermittlungen verübt durch einen islamistischen sogenannten Gefährder, möglicherweise mit homophober Motivation – sowie tödliche Anschläge in Nizza und Wien belegen das jüngst auf grausamste Weise. Ihnen waren zahlreiche vergleichbare Taten in Deutschland und anderen EU-Mitgliedsstaaten vorausgegangen. Den Angehörigen aller Opfer und ihren Freundeskreisen sowie allen Verletzten gebührt unser tiefstes Mitgefühl und Beileid. Der Deutsche Bundestag verurteilt Extremismus und Gewalt in jeder Form aufs Schärfste. Islamistisch motivierte Gewalt und die menschenverachtende Ideologie dahinter haben keinen Platz in unserer Gesellschaft.

Es gilt, die Bedrohung unserer offenen vielfältigen Gesellschaft auch durch religiösen Extremismus konsequent zu bekämpfen. Terroristischen Gefahren muss entschieden und effektiv auf allen staatlichen Ebenen begegnet werden. Die Saat des islamistischen Terrors wird nicht aufgehen. Angst und Misstrauen dürfen unsere europäischen Gesellschaften nicht spalten. Es gilt, mit allen Mitteln des Rechtsstaats unsere demokratischen Werte und unsere offene Gesellschaft zu verteidigen. Dabei ist konkreten Gefahren zielgerichtet zu begegnen.

2. Der islamistische Terrorismus ist nun schon seit bald 20 Jahren, seit den Terroranschlägen des 11. September 2001, weltweit das bestimmende innen- und sicherheitspolitische Thema. Die Anschläge in den USA haben in Folge auch in Deutschland innenpolitisch zu einer drastischen Verschärfung zahlreicher Sicherheitsgesetze geführt. Unter anderem wurde das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum (GTAZ) als Informationsplattform der Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern ins Leben gerufen, um den föderalen Austausch in der Sicherheitspolitik

zu verbessern.

Seit 2014 entlud sich parallel zur Proklamation des „Islamischen Staates“ IS auf syrischem und irakischem Staatsgebiet in Europa eine neue Serie von islamistischen Anschlägen. Im Dezember 2016 ereignete sich auf dem Berliner Breitscheidplatz der hierzulande bislang schwerste islamistisch motivierte Anschlag, dessen Hintergründe bis heute in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags aufgeklärt werden. Die Anschläge folgten einem anderen strategischen Muster: Einzelne Attentäter oder kleinere Gruppen, die eingebettet in islamistische Netzwerke agierten, führten – zumeist angeleitet durch „Mentoren und Hintermänner“ des Islamischen Staates – die Attentate durch, um eine grundsätzliche Stimmung der Angst und auch des Hasses in den westlichen Staaten zu erzeugen. Hinsichtlich dieser ganz spezifischen Gefahrenmuster wurde es von Seiten der Bundesregierung versäumt, die Sicherheitsarchitektur entsprechend zu überprüfen und zu reformieren.

Ob bezüglich einheitlicher Gefährderdefinitionen in Bund, Ländern und Europa, der zielgerichteten Abwehr konkreter Gefahren durch eine engmaschige Überwachung, der Notwendigkeit eines europaweit abgestimmten Vorgehens und Informationsaustauschs, der entschlossenen, weiteren Umsetzung des „Pakts für den Rechtsstaat“, weiterhin dringend benötigter Reformen im Waffenrecht oder verfassungskonformer Rechtsgrundlagen und klarer Verantwortlichkeiten für die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im föderalen Gefüge: Die Analyse und die Abwehr von Gefahren muss dringend auf ein neues Fundament gestellt werden. Nach Ansicht der antragstellenden Fraktion haben es die Bundesregierungen im letzten Jahrzehnt trotz zahlreicher Hinweise und konkreter Reformvorschläge versäumt, hier entsprechende Maßnahmen zu präsentieren, obwohl die Missstände nicht zuletzt durch parlamentarische Aufklärung klar herausgearbeitet werden konnten.

3. Das dringend erforderliche, sicherheitspolitisch durchtragende Konzept für die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus hat auch und vor allem die aktuelle Bundesregierung noch immer nicht vorgelegt – trotz dieser intensiven Debatten um Risiken und eklatante Versäumnisse. Vielmehr verfing sie sich nach Anschlägen in der Vergangenheit wiederholt und mit verlässlicher Regelmäßigkeit in Symboldebatten ohne sicherheitspolitischen Mehrwert, die in der Praxis letztlich sogar kontraproduktiv wirkten, weil sie den Blick auf andere, dringend benötigte Maßnahmen unnötig verstellten und dringend benötigte Ressourcen bei der zielgerichteten Abwehr terroristischer Bedrohungen banden. Diese bezogen sich reflexartig insbesondere auf Gesetzesverschärfungen im Ausländer –und Asylrecht und immer neue unspezifische Befugniserweiterungen im Digitalen. Unbedingt erforderliche sicherheitspolitische Antworten im Bereich der Gefahrenabwehr und Prävention wurden hingegen vielfach sträflich vernachlässigt und nicht angegangen. Diese müssen jedoch zwingend im Fokus stehen, wie auch die jüngsten Anschläge erneut unter Beweis gestellt haben. In höchstem Maße populistische Debatten um Fußfesseln, Abschiebungen in Kriegsgebiete und Massenüberwachung führen zu keinem signifikanten sicherheitspolitischen Gewinn. Statt derartiger Vorschläge braucht es, ähnlich wie im Bereich Rechtsextremismus und Antisemitismus, auch im Bereich des Islamismus eine Null-Toleranz-Strategie gegen sogenannte Gefährder – mit Hilfe und auf Basis klarer rechtsstaatlicher Standards und Befugnisse.

4. Die zielgerichtete Abwehr konkreter Gefahren sowie das Erkennen von Hintermännern und Netzwerken müssen endlich verbessert werden. Dort, wo eine zielgerichtete und wo nötig auch lückenlose Überwachung sogenannter Gefährder noch immer nicht gewährleistet ist, muss das Personal zur Verfügung gestellt werden. Dort, wo es noch immer keine verfassungskonformen und aufeinander abgestimmten Rechtsgrundlagen für die zielgerichtete Überwachung von Gefährdern gibt, müssen diese dringend geschaffen werden. Gleiches gilt für verbindliche Rechtsgrundlagen in den hierfür geschaffenen Abwehrzentren. Islamistische

Netzwerke müssen konsequent beobachtet und die Kommunikation der Sicherheitsbehörden untereinander „unter strenger Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben zum Trennungsgebot“ effektiviert werden.

5. Die Anti-Terror-Gesetzgebung der Bundesregierung war in den vergangenen Jahren geprägt von einer immer weiter voranschreitenden Vorverlagerung der Strafbarkeit und Anwendbarkeit präventivpolizeilicher Maßnahmen gegenüber sogenannten Gefährdern, daraus erwachsenen Schnittstellenproblemen bei den Zuständigkeiten und einer häufig rechtsunklaren Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten. Es bleibt insgesamt dringend nötig, einen rechtsstaatlichen Umgang mit dem Phänomen sogenannter Gefährder zu finden. Denn der Begriff ist nur auf polizeilicher Ebene definiert, ohne eine dahinterstehende gesetzliche Definition. Es verbietet sich daher aus verfassungsrechtlicher Sicht, wenn aufgrund einer solchen Definition an Handlungen weit im Vorfeld des Verdachts einer Straftat unwiderrufliche Rechtsfolgen geknüpft werden.

6. Eine umfassende und breit angelegte Prävention kann, was keine Technik, keine Kamera dieser Welt kann: Demokratie stärken und Straftaten im Vorfeld verhindern. Es müssen alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, damit junge Menschen nicht in menschenverachtende und Gewalt verherrlichende Ideologien abgleiten. Es hat sich zuletzt nicht nur in Frankreich anhand des schrecklichen Mordes an dem Lehrer Samuel Paty, sondern auch hier bei uns gezeigt: Einer Ausbreitung von Extremismus und islamistisch motiviertem Hass in Bildung und Erziehung ist auf allen Ebenen entschieden entgegenzuwirken. Jeder Versuch, Freiheitlichkeit und Vielfalt im Bildungswesen zu unterwandern oder durch Einschüchterung oder gar Bedrohung zu gefährden, ist konsequent aufzuklären und zu unterbinden, im Schulwesen durch sofortiges erzieherisches Einwirken auf Schüler und Eltern, soweit erforderlich unter Einbeziehung von Jugendämtern und Jugendstaatsanwaltschaften. Dafür braucht es einen gesamtheitlichen Ansatz, der sich nicht nur auf die Schaffung immer neuer Befugnisse für die Polizei und die Nachrichtendienste beschränkt. Dennoch hat die Bundesregierung eine dringend nötige Priorisierung des Themas Prävention seit Jahren vermissen lassen. Auch hier besteht massiver Nachholbedarf, vor allem was die bessere föderale Vernetzung von Prävention und Deradikalisierung angeht.

Den kompletten Antrag finden Sie in dieser PDF:

Der komplette Antrag