Aus dem Protokoll vom 26. Juni 2014:
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Hartmann, Sie haben vorhin die gute Stimmung betont, die wir im Innenausschuss hatten und auch jetzt hier in der Debatte erlebt haben. Auch auf die Gefahr hin, dass ich jetzt vielleicht für etwas Missstimmung sorge, muss ich leider sagen: NSU, NSA und auch die BKA-Affäre legen den Finger in die gleiche Wunde. Sie stellen nun einmal die Prämissen der aktuellen deutschen Sicherheitsarchitektur grundsätzlich infrage.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Eva Högl (SPD): Das ist ja wohl ein kleiner Unterschied!)
Unsere Sicherheitsbehörden sehen und wissen Dinge, die sie nicht sehen und wissen sollen, Dinge, die sie schlicht nichts angehen. Andererseits analysieren und ermitteln sie nach Mustern, die sie für die wirklichen Bedrohungen in unserem Land blind machen. Beides, also das Ausspähen und das systematische Nichtsehen, passiert zur gleichen Zeit am jeweils falschen Ort. Das muss sich dringend ändern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Leider, Herr Minister de Maizière, haben Sie Ihren Haushalt ganz an dieser Grundsatzproblematik vorbei aufgestellt. So werden wir den Dreh, den wir in der festgefahrenen Innenpolitik brauchen, nicht hinbekommen. Man könnte beispielsweise bei den Konsequenzen aus dem NSU-Terror anfangen. Ich erkenne keinen einzigen Haushaltstitel, der diesem Thema wirklich systematisch Rechnung trägt. Selbst bei den Programmen, die bundesweit zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützen sollen, vermeiden Sie es, einen klaren Zweck zu bestimmen. Sie können sich nicht dazu durchringen, zu sagen: Wir fördern konkrete Projekte gegen Rechtsextremismus oder andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. – Nicht nur, dass der vorgesehene Ansatz viel zu niedrig ist, Sie verteilen das wenige Geld auch noch nach dem Gießkannenprinzip ohne jeden Schwerpunkt.
Auch ansonsten verzichten Sie auf konkrete Maßnahmen, die sich aufgrund der Erfahrungen zum NSU geradezu aufdrängen. Ich will Ihnen noch ein Beispiel nennen. Die polizeilichen Ermittlungen damals haben sich in vielen Fällen völlig zu Unrecht auf das Umfeld der Opfer fokussiert. Die Angehörigen fühlten sich vielfach falsch behandelt und standen den Behörden ihrer Wahrnehmung nach ohnmächtig und oft sehr hilflos gegenüber. Es gab für sie keine adäquate Möglichkeit, die Vorwürfe gegen sie zu klären.
Aber auch Polizistinnen und Polizisten, die ohne hierarchisch verordneten Tunnelblick ermitteln wollten, wurden mehrfach durch Anordnungen von oben an einem sachgerechten Vorgehen gehindert. Ich will da das Beispiel des Thüringer LKA-Präsidenten Werner Jakstat nennen; Sie erinnern sich vielleicht daran. Er hatte 2003 mutmaßlich einem jungen Polizisten, der auf einer ganz konkreten Spur bezüglich Uwe Böhnhardt gewesen war, unmissverständlich den Hinweis gegeben: Fahren Sie ruhig raus. Ermitteln Sie. Aber bitte kriegen Sie da nichts raus.
Diese Beispiele, die zu Unrecht beschuldigten Opferfamilien und der ausgebremste Polizist, machen es doch überdeutlich: Wir brauchen im Bund und in den Ländern unabhängige Polizeibeauftragte, die sich solcher Beschwerden und Hinweise annehmen,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Polizeibeauftragte, die, wo das gewünscht ist, Anonymität zusichern, die Mediation und Anrufungsmöglichkeiten für Polizisten außerhalb des Dienstweges bieten und dem Parlament durch regelmäßige Berichte einen unverstellten Blick auf die Polizei ermöglichen. Es kann doch nicht sein, dass die einzige Institution, die Trägerin des staatlichen Gewaltmonopols im Innern ist, keiner direkten parlamentarischen Kontrolle unterliegt. Genauso wie wir unbestritten einen Wehrbeauftragten brauchen, brauchen wir endlich einen Polizeibeauftragten für die Bundespolizei und das BKA.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN Ulla Jelpke (DIE LINKE): Und zwar unabhängig!)
Auch für den dringend erforderlichen Neustart des Verfassungsschutzes wäre in Ihrem Haushalt ein positives Signal möglich gewesen, aber dazu findet sich nichts. Doch, es findet sich etwas; ich muss mich an dieser Stelle korrigieren. Eine Sache ist enthalten: Als Belohnung für das dramatische Versagen beim Erkennen des NSU und als Belohnung für maximale Intransparenz sowie als Belohnung dafür, dass mit Steuergeldern über Nazi-VLeute rechtsextremistische Strukturen gestärkt wurden, erhält das Bundesamt für Verfassungsschutz einfach einmal 3 Millionen Euro mehr.
(Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Skandal!)
Damit lautet Ihre Botschaft: Versagen muss sich wieder lohnen.
(Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Das ist grotesk! – Dr. Eva Högl (SPD): Unfassbar! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)
Seit heute ahnen wir auch, wofür es diese 3 Millionen Euro zusätzlich gibt, nämlich mutmaßlich für das Ausspähen sozialer Netzwerke. Da darf der Verfassungsschutz natürlich dem BND in nichts nachstehen. Aber die Schwachstelle des Verfassungsschutzes ist ja nicht, dass er nicht gut informiert ist, sondern das, was am Ende mit diesen Informationen passiert. In Sachen Intransparenz stehen Sie, Herr Minister, Ihrer Behörde leider in nichts nach: Wofür die 3 Millionen Euro zusätzlich vorgesehen sind, haben wir nicht von Ihnen erfahren, sondern heute Morgen aus der Zeitung.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz braucht nicht mehr Geld, sondern in jeder Hinsicht eine völlig neue Struktur. Das zeigt auch der aktuelle Verfassungsschutzbericht; denn um Zeitungswissen zusammenzutragen und die polizeiliche Kriminalstatistik auszuwerten, brauchen wir den Verfassungsschutz nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Inlandsaufklärung muss völlig neu aufgestellt werden und sich dabei den Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaates unterordnen und darf nicht daran vorbei ein selbstbezogenes Spiel betreiben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch vor der Sommerpause des ersten Jahres der 18. Wahlperiode werden wir schon zwei Untersuchungsausschüsse haben, die sich jeweils mit dem fragwürdigen Agieren von Polizei und Nachrichtendiensten befassen müssen. Wenn Ihnen selbst durch diesen Umstand nicht auffällt, dass wir in der Sicherheitsarchitektur dieses Landes große Probleme haben, dann kann ich Ihnen auch nicht helfen.
Fakt ist aber, dass Ihr Haushalt unsere Sicherheitsbehörden weder transparenter und demokratischer noch effektiver macht. Damit werden Sie Ihrer innenpolitischen Verantwortung nicht gerecht. Daran sollten Sie auf jeden Fall beim nächsten Haushaltsentwurf arbeiten. Wir werden Sie daran messen.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)