Erste Parlamentarische Geschäftsführerin | Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wie reagiert der Rechtsstaat angemessen auf die aktuelle Sicherheitslage?

Veranstaltung mit Irene Mihalic, Katja Keul und anderen

Veranstaltung im Kulturwerk Nienburg

Über die Herausforderungen einer rechtsstaatlichen Sicherheitspolitik in Zeiten allgemeiner Verunsicherung diskutierte die heimische Bundestagsabgeordnete Katja Keul (Bündnis 90 / DIE GRÜNEN) kürzlich im Nienburger Kulturwerk mit einer hochrangigen Expertenrunde. Ihrer Einladung gefolgt waren der Direktor der Polizeiakademie Niedersachsen, Dieter Buskohl, die innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN, Irene Mihalic, und der Staatsanwalt Frank Lange.

Damit befanden sich nach Angaben von Keuls Regionalbüro ein Oberstaatsanwalt, eine Rechtsanwältin und zwei Polizeibeamte auf dem Podium, da Irene Mihalic selbst Polizistin mit 20 Jahren Diensterfahrung sei. Keul machte in ihrer Begrüßung deutlich, dass sich die aktuelle Debatte über innere Sicherheit im Kern um das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit drehe. Dazu sei zunächst einmal zu fragen, ob sich die Sicherheitslage in Deutschland überhaupt verändert habe und ob es sich nicht vielmehr um eine gefühlte Verunsicherung handele.Es stelle sich außerdem die Frage, ob wirklich immer neue  Befugnisse notwendig sind oder nicht vielmehr der Rechtsstaat mit seinen Ressourcen gestärkt werden müsse.

Mihalic betonte, dass es an einer wissenschaftlichen Grundlage fehle und Sicherheitspolitik leider mehr aus dem Bauch heraus gemacht werden. Die polizeilichen Statistiken seien für eine fundierte Analyse nicht ausreichend. Die Rot-Grüne Koalition hätte in Ihrer Regierungszeit einen periodischen Sicherheitsbericht eingeführt, was allerdings von den nachfolgenden Regierungen leider nicht fortgesetzt worden sei.
Buskohl argumentierte, dass die Politik mit einem Maßnahmenbündel auf die allgemeine Verunsicherung reagieren müsse. Damit habe der Rechtsstaat gezeigt, dass er sich an neue Gefährdungslagen anpassen könne und nicht in Gefahr sei. Aus Sicht der Polizei, so Buskohl, sei entscheidend, dass neue Sicherheitsgesetze in der Praxis auch umsetzbar seien.

Eine der vom Podium kontrovers diskutierten Maßnahmen war die anlasslose Vorratsdatenspeicherung. Frank Lange, als Oberstaatanwalt, der insbesondere gegen organisierte Kriminalität im Netz ermittelt, wünschte sich ein entsprechendes Mittel der Strafverfolgung. Gleichzeitig rechne er nicht damit, dass das in dieser Legislatur verabschiedete Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben werde, weil der Gesetzgeber die Vorgaben aus dem letzten Urteil nicht ausreichend berücksichtigt habe.

Keul wies darauf hin, dass die Sicherheitsbehörden im Vorfeld der großen terroristischen Anschläge der vergangenen Jahre über zahlreiche Daten zu den Tätern verfügt hatten, die Anschläge aber dennoch nicht verhindern konnten. Mihalic beurteilte bereits die Speicherung von Daten als verfassungsrechtlich problematisch, da der einzelne Bürger nicht darüber entscheiden könne, ob seine Daten gespeichert werden. Zudem zweifelte sie den praktischen Nutzen der Vorratsdatenspeicherung für die Strafverfolgung an.

In den letzten zwei Sitzungswochen des Deutschen Bundestages werde noch die Entscheidung zu Quellen TKÜ (Technische Kommunikationsüberwachung) und zur Online Durchsuchung anstehen, so Keul. Auch dabei gehe es um die Verhältnismässigkeit des Eingriffs in die Privatsphäre der Bürger. Sie empfahl dem interessierten Publikum die live Übertragung der Bundestagsdebatten bei Phönix.

Als weiteres Beispiel für symbolhafte Gesetzgebung machten die beiden grünen Abgeordneten die Verschärfung der Strafdrohungen beim Einbruchdiebstahl und bei Körperverletzung zu Lasten von Polizisten aus. Alle Podiumsteilnehmer waren sich einig, dass höhere Strafdrohungen keine Straftaten verhindern würden. Buskohl begrüßte allerdings die Verschärfung bei den Angriffen gegen Polizisten, weil der Gesetzgeber damit nicht nur seine Wertschätzung gegenüber seinen Beamten zum Ausdruck brächte, sondern auch eine bessere Verfolgbarkeit dieser Straftaten gegeben sei. Mihalic verwies darauf, dass allein eine gute sachliche und personelle Ausstattung und gut Ausbildung wirklichen Schutz für die Beamten brächte. Keul ergänzte, dass es dagegen eben schnell und billig sei ein Strafgesetz zu ändern, während man für die wirklich wirksamen Maßnahmen Geld in die Hand nehmen müsse.

Alle Diskutanten waren sich einig, dass die Zusammenarbeit der deutschen Sicherheitsdienste und deren Struktur überarbeitet werden müsse. Insbesondere plädierten sie dafür, die Bund-Länder-Zusammenarbeit zu verbessern. Da Polizeiarbeit im Kompetenzbereich der einzelnen Bundesländer liegt, kam es in der Vergangenheit wiederholt zu Problemen in der bundesländerübergreifenden Kooperation, wie im Fall des Berliner Attentäters Anis Amri.

In der Abschlussrunde setzte sich Lange dafür ein, die Effizienz der Strafverfolgung mit Augenmaß zu erhöhen. Dafür müsse der Gesetzgeber die nötigen gesetzlichen Grundlagen schaffen und die Sicherheitsstrukturen anpassen. Mihalic warb dafür, dass Gesetzgebung stets geeignet, erforderlich und verhältnismässig sein müsse. Buskohl schloss sich dem an, verwies aber darauf, dass der Rechtsstaat auf eine veränderte Gefahrenlage auch zeigen müsse, dass er anpassungsfähig sei. Keul betonte zum Abschluss der Diskussion, dass Deutschland nach wie vor eins der sichersten Ländern der Welt sei. Die politische Führung des Landes sei allerdings in der Verantwortung das Vertrauen in den freiheitlichen Rechtsstaat zu stärken und die Bürgerrechte zu verteidigen, statt Ängste und Verunsicherung zu befördern.