Erste Parlamentarische Geschäftsführerin | Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rede zu den Terrorismusbekämpfungsgesetzten

Irene Mihalic im Plenum des Bundestages

Aus dem Protokoll vom 5. November 2015

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Mayer, ich finde es schon bemerkenswert, dass Sie beim Thema Terrorismus immer sofort auf den islamistischen Terrorismus kommen. Der fällt Ihnen sehr schnell ein, aber Sie beziehen nie die allgegenwärtige Gefahr des Rechtsterrorismus in Ihre Rede ein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen bin ich dem Kollegen Grötsch für den Schluss seiner Rede sehr dankbar, in dem er diese Bezüge hergestellt hat. Das finde ich wichtig, wenn es in einer Debatte um Terrorismus geht.

(Clemens Binninger (CDU/CSU): Dann müssen Sie auch zustimmen!)

Der 11. September 2001 hat uns mit einer neuen Dimension des Terrors konfrontiert. Unter diesem Eindruck hat gerade die westliche Staatenwelt viele nach innen wie auch nach außen wirkende Maßnahmen entwickelt, um auf die terroristische Bedrohung zu reagieren. Aber diese Maßnahmen hatten, gelinde gesagt, doch einen ziemlich unterschiedlichen Erfolg. Wenn ich mir die letzten 14 Jahre und die aktuellen Krisenherde dieser Welt anschaue, dann frage ich mich heute schon, wie eigentlich die sicherheitspolitische Gesamtbilanz bei der Bekämpfung des Terrorismus ist und ob die Antworten der zivilisierten Welt am Ende nicht vielleicht doch mehr Schaden in Afghanistan, im Irak und in Syrien angerichtet haben, als sie Nutzen gebracht haben. Ich finde, diese Frage sollte man einmal eingehend untersuchen, gerade im Hinblick auf zukünftige Debatten zum Thema Terrorbekämpfung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ebenfalls untersucht oder – besser gesagt – evaluiert wurden die Terrorismusbekämpfungsgesetze, deren Geltung Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, heute hier verlängern wollen. Zwar wurde dieses Mal – endlich, muss man sagen – auf wissenschaftlicher Basis evaluiert, aber trotzdem hart am Thema vorbei; denn wenn der Nutzen eines Gesetzes unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit ermittelt werden soll, dann muss man auch den Erfolg der Maßnahmen nach klaren Kriterien überprüfen. Genau das ist aber nicht geschehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es wurde überhaupt nicht ermittelt, ob die zusätzlichen Befugnisse der Geheimdienste in auch nur einem einzigen Fall dazu beigetragen haben, Terroranschläge zu verhindern. In Ihrem Gesetzentwurf kommen Sie zu einer ziemlich spannenden Schlussfolgerung, wenn Sie sagen, die neuen Befugnisse seien alle nur ganz sparsam angewendet worden und deshalb sollte die Geltungsdauer der Gesetze verlängert werden. Das kann doch kein Grund für eine Verlängerung sein, sondern das kann nur, wenn überhaupt, der Nachweis der Wirksamkeit der Maßnahmen zur Terrorbekämpfung sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Genau diesen Nachweis bleiben Sie aber schuldig.

Kollege Grötsch, gestatten Sie mir eine Anmerkung zu den Vorgängen in Oberursel. Da war es die Kassiererin im Baumarkt, die Schlimmeres verhindert hat, und es waren eben nicht die Nachrichtendienste.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Umso gravierender sind dann die mit den Maßnahmen verbundenen Grundrechtseingriffe. Ohne einen klaren Beweis für den Erfolg der Terrorismusbekämpfungsgesetze sind wir hier im Parlament doch überhaupt nicht in der Lage, die Verhältnismäßigkeit dieser Befugnisse festzustellen. Aber genau das wäre die Grundlage für die Entscheidung, die wir heute zu treffen haben, nämlich ob wir die Geltungsdauer der Gesetze wirklich guten Gewissens für weitere fünf Jahre verlängern können.

Es geht auch nicht nur um eine Verlängerung, nein, so ganz nebenbei sollen die Befugnisse der Dienste auch noch ausgeweitet werden; denn bis jetzt ist es nur den Strafverfolgungsbehörden gestattet, und zwar nur in begründeten Einzelfällen, wenn der Erfolg strafrechtlicher Ermittlungen gefährdet ist, die Grundbücher einzusehen, ohne der betreffenden Person darüber Auskunft zu erteilen. Jetzt sollen das nach Ihrem Willen auch die Nachrichtendienste dürfen.

Ich finde, die aktuellen Geheimdienstskandale haben uns eine Sache deutlich gezeigt, nämlich wie schwer das Vorgehen der Dienste und ihre Methoden kontrollierbar sind. Deswegen finde ich nicht, dass man die Befugnisse dieser Behörden jetzt quasi im Vorbeigehen auch noch erweitern sollte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich will daran erinnern, dass vier von sechs Untersuchungsausschüssen dieser und der letzten beiden Wahlperioden das zweifelhafte Vorgehen von Sicherheitsbehörden, allen voran der Geheimdienste, zum Thema hatten. Uli Grötsch hat vorhin darauf hingewiesen: Wir setzen jetzt einen weiteren Untersuchungsausschuss zum NSU-Skandal ein, der auch die Arbeit des Verfassungsschutzes auf den Prüfstand stellt. Der NSA-Untersuchungsausschuss befasst sich mit der Arbeit des BND. Vielleicht wäre es klug, abzuwarten, was alles dabei herauskommt, bevor man die Dienste mit neuen Kompetenzen ausstattet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Tempel (DIE LINKE))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben weder den tatsächlichen Nutzen der bestehenden Gesetze nachgewiesen, noch haben Sie eine schlüssige Begründung dafür geliefert, dass die Befugnisse jetzt auch noch ausgeweitet werden sollen. Daher bleibt für uns in der Bilanz ein ganz klares Minus und uns als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nichts anderes übrig, als Ihren Gesetzentwurf abzulehnen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Uli Grötsch (SPD): Schönes Gesetz!)