Erste Parlamentarische Geschäftsführerin | Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Der Grüne Polizeikongress

Polizei und Gesellschaft – heute und morgen

Bericht vom Grünen Polizeikongress der Bundestagsfraktion

  • Der Grüne Polizeikongress der Bundestagsfraktion war ein Tag mit vielen Beiträgen und Diskussionen zum Thema Polizei aus der Praxis, der Wissenschaft und grüner Perspektive.
  • Die Ergebnisse fließen jetzt in unsere parlamentarische Arbeit ein. Gleichzeitig wollen wir den Dialog fortsetzen und vertiefen.
  • Wir Grüne im Bundestag werden das Format Polizeikongress weiterführen und uns weiterhin für eine evidenzbasierte Innenpolitik einsetzen, die nah an den Problemen und dabei fakten- und lösungsorientiert ist.

Beim Grünen Polizeikongress der Bundestagsfraktion am 22. November 2019 haben sich unsere Abgeordneten mit zahlreichen Expertinnen und Experten aus Praxis und Wissenschaft, Interessierten und Betroffenen ausgetauscht. In Workshops, Streitgesprächen und Vorträgen diskutierten die rund 350 Teilnehmerinnen und Teilnehmer verschiedene innenpolitische Fragen im Kontext aktueller sicherheitspolitischer Debatten.

https://youtu.be/QBZa14fNkgs

Polizei im Rechtsstaat

Bereits in der Begrüßung durch die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt klang dabei an, wie vielfältig innenpolitische Fragestellungen jede und jeden betreffen – in bewegten Zeiten wie der friedlichen Revolution vor 30 Jahren aber auch heute. Im Rechtsstaat hat die Polizei dabei oft eine besondere Bedeutung, wenn es um die Gewährleistung individueller Sicherheit und demokratischer Freiheiten wie dem Demonstrationsgrundrecht geht. Mit weit mehr als fachlichem Interesse wurden daher die Ausführungen von Professor Dr. Thorsten Kingreen aufgenommen, der in seiner Keynote eine historische und juristische Einordnung des polizeirechtlichen Begriffs der „drohenden Gefahr“ vornahm, den er als „juristische Probebohrung“ beschrieb und sodann seine Verfassungswidrigkeit begründete. Hieran knüpfte unmittelbar eine Diskussion unter Beteiligung des Publikums an, in der die innenpolitische Sprecherin Irene Mihalic und der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, Stephan Mayer Rede und Antwort zu diesen und vielen weiteren aktuelle Fragen der deutschen Sicherheitsarchitektur einschließlich der Funktion und Arbeitsweise des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums standen.

Irene Mihalic, Stephan Meyer, Sabine am Orde (vlnr) – Foto: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundestagsfraktion
Irene Mihalic, Stephan Meyer, Sabine am Orde (vlnr) – Foto: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundestagsfraktion

Konkret polizeifachlich ging es dann mit einem Vortrag von Professor Dr. Rafael Behr weiter, der vom Begriff der Bürgerpolizei ausgehend, seine Sicht auf Entwicklungen innerhalb und außerhalb der Polizei einschließlich ihrer gesellschaftlichen Dimension beschrieb, bevor Lea Voigt, Fachanwältin für Strafrecht und Vorsitzende des Ausschusses für Gefahrenabwehrrecht des Deutschen Anwaltvereins einen weiteren Aspekt im Umgang der Sicherheitsbehörden mit drohenden Gefahren in den Blick rückte, indem sie zur Vorverlagerung polizeilicher Eingriffsbefugnisse und zum Gefährderbegriff sprach.

Dieses Spektrum relevanter Fragen grüner Polizeipolitik erweiterte Jan-Philipp Albrecht, Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein in einer Videobotschaft. Darin erinnerte er an die Anfänge, Ziele und Erfahrungen bisheriger Grüner Polizeikongresse, die von ihm als damaligen Mitglied des Europäischen Parlaments initiiert worden waren. Anschließend wurde in Workshops vertieft diskutiert jeweils unter Beilegung von Canan Bayram, Konstantin von Notz, Monika Lazar, Filiz Polat und Irene Mihalic:

Berichte aus den Workshops

Workshop: Polizei im Spannungsverhältnis von Sicherheitsgefühl und Sicherheitslage

Frau Dr. Hummelsheim-Doss, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Freiburg, stellte aktuelle nationale und ländervergleichende Forschungsergebnisse vor. Demnach sei die Kriminalitätsfurcht in Deutschland moderat angestiegen und kann mit der verstärkten Zuwanderung seit 2015 in Verbindung gebracht werden. Unsicherheitsgefühle werden vornehmlich durch soziale Ängste verursacht. Daher ist Kriminalprävention keine sinnvolle Furchtprävention.

Prof. Dr. Thomas Feltes, Ruhr Universität Bochum, hingegen konstatierte in Auswertung der Bochumer Dunkelfeldstudien eine deutlich steigende Kriminalitätsfurcht. Grund sei vor allem der nachlassende soziale Zusammenhalt. Die Politik müsse die soziale Infrastruktur stärken. Statt Polizistinnen und Polizisten zu „Problemlösern“ zu machen, solle man mehr auf deren Wissen zur Bestimmung von Kriminalitätsbrennpunkten zurückgreifen.

Als Fraktion nehmen wir den Impuls auf, Kriminalitätsbekämpfung nicht isoliert vom gesellschaftlichen Kontext zu betrachten, so Irene Mihalic MdB, die den Workshop moderierte. Eine eindimensionale Analyse führt am Ende nur zu Symbolpolitik und immer mehr Verunsicherung.

Workshop: Möglichkeiten und Grenzen der Polizeiarbeit im Digitalen

Der von Konstantin von Notz MdB moderierte Workshop stellte die Frage nach der Krisenfestigkeit der Befugnisse im Digitalen, der Empirie der These des „Going dark“, der Effizienz und den Alternativen zum staatlichen Hacking.

Dr. Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Club, wies darauf hin, dass die Befürworter, die eine vermeintliche Alternativlosigkeit des staatlichen Hackings beteuerten, vielfach nur geringe technische Kenntnisse hätten. TeilnehmerInnen warfen die Möglichkeit auf,  statt der Nutzung von Sicherheitslücken und Trojaner bei bestimmten Personen individualisierte, nicht Ende-zu-Ende-verschlüsselte App-Versionen aufzuspielen. So würde die IT-Sicherheit nicht insgesamt gefährdet.

Sebastian Fiedler, Bundesvorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter, betonte, dass man ohne einen periodischen Sicherheitsbericht keine faktenbasierte Diskussion über digitale Befugnisse führen könne. Zentral sei auch, dass man die bisher fehlende Qualifikation des Personals mitdenke.

Prof. Matthias Bäcker, Universität Mainz, führte aus, dass sich ein neues Sicherheitsrisiko aus den technischen Mitteln der Sicherheitsbehörden selbst ergebe. Der Richtervorbehalt und die Prüfung durch die Datenschutzbeauftragten sei kein Allheilmittel, aber eine Vorabkontrolle alternativlos.

Workshop: Fußballfans und Polizei: Strategien für ein besseres Verhältnis

Franciska Wölki-Schumacher von der Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit beschrieb den Konflikt so: Sowohl Fußballfans als auch Polizei beklagen u.a. mangelnde Kommunikation, fehlendes Verständnis und aggressives Auftreten – was durch das männlich geprägte Feld noch verstärkt werde. Aber es gibt auch Best-Practice-Ansätze: wie z.B. die „Stadionallianzen“ in Baden-Württemberg, deeskalative Einsatzstrategien und Derby-Workshops.

Nurhan Brune (Leiterin Einsatz, Polizeidirektion Hannover) betonte die Wichtigkeit der Szenekundigen Beamt*innen (SKB), die im Austausch mit den Fanbeauftragten und Fanprojekten seien, und Datensammlungen, wie der Datei „Gewalttäter Sport“.

Angela Furmaniak (AG Fananwälte) forderte eine Reform dieser Datei. Schon der Titel sei täuschend, da in ihr nicht nur Gewalttäter gespeichert sind. Eine Benachrichtigung gespeicherter Fans sei das Mindeste.

Alle Expertinnen in dem von Monika Lazar MdB moderierten Workshop sprachen sich gegen eine Kostenbeteiligung des Fußballs an „Risikospielen“ aus: Die öffentliche Sicherheit sei Aufgabe des Staates und der Fußball sollte lieber mehr Geld für Prävention verwenden.

Workshop: Sicherheit und Vertrauen – Die Rolle der Polizei in der Migrationsgesellschaft

In dem von Filiz Polat MdB moderierten Workshop diskutierten Prof. Dr. Anja Weiß, Universität Duisburg-Essen, und Tahir Della, Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, mit den Teilnehmenden darüber, woran gearbeitet werden müsste, damit sich Menschen mit Migrationsgeschichte durch die Polizei sicherer fühlen. Tahir Della appellierte, dass sich die Realität unserer Gesellschaft der Vielen auch in den Institutionen abbilden müsste. Er machte auf fehlendes Bewusstsein bezüglich Racial Profiling aufmerksam und verdeutlichte Gründe für fehlendes Vertrauen infolge der NSU Morde und des Falls Oury Jalloh. Prof. Dr. Anja Weiß stellte das laufende DHPol-Projekt MIGRATE vor. Sie beschrieb die Bedeutung wissenschaftlicher Zugänge zur Polizei und eine teilweise geringe Bereitschaft von Polizeibehörden, an entsprechenden Forschungsprojekten teilzunehmen. Viele der Diskutierenden waren sich einig, dass sich die innere Logik und Strukturen der Polizei ändern müssen. Mehr Menschen mit Migrationsgeschichte, die in der Polizei arbeiten, und ein offener Dialog wurden gefordert.

Workshop: Beschwerdemanagement der Polizei

In dem von Canan Bayram MdB moderierten Workshop wurde aufgezeigt, welche Möglichkeiten Betroffene bei rechtswidrigem Verhalten durch die Polizei haben. Laila Abdul-Rahman vom Lehrstuhl für Kriminologie, Ruhr-Universität Bochum, setzte das Thema auf ein wissenschaftliches Fundament und unterstrich die These, dass in Deutschland Beschwerden nur selten Erfolg haben. Biplab Basu von der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) aus Berlin illustrierte die Situationen für People of Colour (POC) und vermittelte eindrucksvoll, was es für POC besonders schwer macht, bei polizeilichem Fehlverhalten eine Klärung anzustreben. Oliver von Dobrowolski, 1. Vorsitzender von Polizei Grün e.V., sprach über bestehende Möglichkeiten, teilweise fehlendes Problemverständnis und Unwillen in den Behörden. Dr. Jan Fährmann, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, setzte die deutsche Rechtslage ins Verhältnis zu internationalen Lösungen und skizzierte mögliche Verbesserungen zum Beschwerdemanagement.

­

Polizei in der offenen Gesellschaft

Nach den Workshops sprach Professor Dr. Stefan Jarolimek von der Deutschen Hochschule der Polizei zu einem aktuellen Forschungsprojekt, bei dem die Polizei in der offenen Gesellschaft selbst im Zentrum steht, und unter anderem Fragen im Zusammenhang mit Neueinstellungen und Qualifizierung bundesweit untersucht werden.

Im Anschluss bewegten der Präsident des Bundeskriminalamts Holger Münch und der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Konstantin von Notz im fachlichen Austausch Fragen des Polizeilichen im Digitalen von der Cyberabwehr bis zum Staatstrojaner. Konstantin von Notz wies dabei insbesondere auf die immense Bedeutung von Sicherheit und Integrität informationstechnischer Systeme hin und betonte die große gesamtgesellschaftliche Relevanz der Frage.

Daran schloss sich eine „Fishbowl“-Diskussion an, mit Dr. Maria Scharlau, Amnesty International, Irene Mihalic und Oliver Malchow, Gewerkschaft der Polizei, die Gelegenheit bot, konkreten Fragen zur Situation in und mit der Polizei nachzugehen. Hier wurden noch einmal die soziale Dimension des Polizeiberufs und die große gesellschaftliche Aufgabe der Polizei deutlich ebenso die Bedeutung der Fehlerkultur bei Fehlverhalten. Auch das Thema Polizeibeauftragte wurde von verschiedener Seite an die Diskutanten herangetragen und von diesen aufgegriffen und erörtert.

Quelle: Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN