Erste Parlamentarische Geschäftsführerin | Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rede zum Personalausweisgesetz (Sonderausweise für Terrorverdächtige)

Irene Mihalic im Plenum des Bundestages

Aus dem Protokoll vom 30.1.2015

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Natürlich: Nicht erst die schrecklichen Anschläge von Paris machen Maßnahmen gegen den Terrorismus notwendig; das ist völlig richtig. Das ist eine Debatte, die wir schon viel länger und auch völlig zu Recht führen. Dabei ist aber eine Sache ganz besonders wichtig: eben nicht in Aktionismus zu verfallen, sondern die Terrorgefahr sauber zu analysieren, Kräfte und Kompetenzen in der Sache zu bündeln und sorgfältig Maßnahmen zu entwickeln, die wirklich greifen, Herr Minister.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Leider geht Ihr Gesetzentwurf zum Terroristen-Personalausweis völlig am Thema vorbei. Sie betreiben hier eine unausgegorene Symbolpolitik, mit der Sie hektisch zu überdecken versuchen, dass Sie weder gründlich analysieren noch die Maßnahmen irgendwie koordinieren und dass Sie alles in allem keine richtige Antiterrorstrategie haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Der Ersatz-Personalausweis für Terroristen ist nicht nur sicherheitspolitisch vollkommen nutzlos und rechtsstaatlich fragwürdig, sondern das Ganze ist auch noch gefährlich. Ich will Ihnen ein praktisches Beispiel nennen: Angenommen, Sie haben einen Gefährder ermittelt, also einen mutmaßlichen Terroristen; es soll ja eine stattliche dreistellige Anzahl von Personen geben, die die Absicht haben, nach Syrien auszureisen. Jetzt fordern Sie diese Person auf Grundlage des neuen Gesetzes auf, den alten Personalausweis abzugeben und gegen einen Ersatz-Personalausweis einzutauschen.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gegen Gebühr!)

Was glauben Sie denn, was dann passiert? Glauben Sie denn tatsächlich, er geht dann brav zum Bürgeramt, um dort seinen Personalausweis abzugeben? Wohl eher nicht. Glauben Sie, dass der mutmaßliche Terrorist völlig geknickt seine Pläne einfach so aufgeben wird? Wohl kaum. Er wird doch vielmehr sagen: Jetzt oder nie. Er wird versuchen, alles, was er vorhatte, also eben auch die Ausreise, sofort in die Tat umzusetzen, und zwar vor dem Zugriff der Sicherheitsbehörden. Das kann nicht in unserem Interesse sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Es gibt noch ein weiteres praktisches Problem. Nehmen wir einmal an, der mutmaßliche Terrorist geht tatsächlich zum Amt, um sich diesen Ersatz-Personalausweis abzuholen. Ohne große Fantasie lässt sich voraussehen – das hat Kollege Tempel schon angesprochen -, dass der richtige Personalausweis dann plötzlich verloren gegangen ist, gestohlen gemeldet wird, auf jeden Fall irgendwie abhandengekommen ist. Jedenfalls können Sie ganz sicher sein, dass der verschwundene Ausweis wieder auftaucht und die Person ihn munter weiter nutzen und auch bei der Ausreise an der Grenze vorlegen wird. Es wird wohl kaum einen mutmaßlichen Dschihadisten geben, der an den EU-Außengrenzen diesen Terror-Ersatzausweis vorlegen wird.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nicht wirklich!)

Das glauben Sie doch nicht ernsthaft. Dieser Gesetzentwurf ist völlig realitätsfern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Sie bewirken mit diesem Ersatz-Personalausweis im Wesentlichen zwei Dinge:

Erstens. Sie desensibilisieren die Grenzbeamten. Denn wieso sollte ein Kontrolleur einen richtigen Personalausweis in den Datenbanken, zum Beispiel in der Datenbank verlorener oder gestohlener Reisedokumente, überprüfen, wenn er erwartet, dass er einen Terroristen gleich am Ersatz-Personalausweis erkennt?

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Zweitens. Sie fördern mit diesem Gesetz die Radikalisierung solcher Leute. Denn am Ende sind die Gefährder vielleicht sogar noch stolz darauf, mit einem amtlichen Dokument endlich als IS-treue Dschihadisten eingestuft zu werden. Mit der Übergabe des Ersatz-Personalausweises machen Sie aus einem Gefährder einen staatlich anerkannten Terroristen. Das muss so manchem ja wie eine Auszeichnung vorkommen. Aber das ist das Gegenteil von Gefahrenabwehr.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Statt diesem Irrweg weiter zu folgen, sollten Sie Ihre Hausaufgaben machen. Sorgen Sie endlich dafür, dass die Sicherheitsbehörden vor allen Dingen personell vernünftig ausgestattet sind.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Gewährleisten Sie möglichst dichte Kontrollen bei der Ausreise aus dem Schengen-Gebiet. Legen Sie endlich ein mit den Ländern wirklich abgestimmtes Präventions- und Deradikalisierungskonzept vor. Die Länder haben dazu ja schon Initiativen angekündigt. Deswegen: Verharren Sie da bitte nicht in der Zuschauerrolle, sondern gestalten und koordinieren Sie diesen Prozess aktiv mit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Und: Ziehen Sie diesen Gesetzentwurf bitte schnellstmöglich zurück, damit er keinen Schaden anrichtet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die innere Sicherheit ist ein hohes Gut. Sie darf nicht durch aktionistische Symbolpolitik, die auch noch rechtsstaatlich fragwürdig ist, in Gefahr gebracht werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN -Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Da müssen Sie ja selber lachen!)

Eine Sache möchte ich gerne noch ansprechen, weil ich sie zugegebenermaßen recht amüsant fand. Man konnte neulich auf Twitter sinngemäß die Frage lesen: Wir haben biometrische Ausweise wegen der Terrorgefahr, und mutmaßlichen Terroristen nehmen wir sie jetzt weg?

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gute Frage!)

Ich finde, sie bringt die Widersprüchlichkeit Ihrer Antiterrorpolitik richtig schön auf den Punkt. Vielleicht denken Sie auch darüber noch einmal nach.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)