Gewaltbereiter Islamismus
Bericht vom Fachgespräch vom 11. April 2016
Bundesweite Präventionsstrategie notwendig
Deutschland ist bislang von einem islamistischen Terrorakt verschont geblieben. Ein Glück. Aber, so stellte die grüne Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt in ihrer Einleitung fest: Der gewaltbereite Islamismus sei dennoch auch in Deutschland eine ernste Gefahr für die öffentliche Sicherheit und das gesellschaftliche Zusammenleben.
Natürlich sei es zunächst die Aufgabe staatlicher Sicherheitsbehörden, terroristische Straftaten zu verhindern und zu verfolgen. Und wir als Grüne Bundestagsfraktion würden sie bei dieser schwierigen Aufgabe auch unterstützen. Freilich müsse sich die Politik der Inneren Sicherheit immer im rechtstaatlich und bürgerrechtlich vertretbaren Rahmen bewegen.
Aber, das Problem der Radikalisierung, des Abgleitens in gewaltbereite Zusammenhänge , das ginge – so Katrin Göring-Eckardt – eben nicht nur den Staat an, sondern unsere Gesellschaft insgesamt: Wir alle müssten uns fragen, wie die zumeist ja jungen Menschen überhaupt in den Einflussbereich eines gewaltbereiten Islamismus geraten? Was meinen diese jungen Menschen in islamistischen Zusammenhängen zu finden, was ihnen andernorts angeblich verwehrt bleibt? Und, welche Chancen und welche Instrument haben wir – als eine von Demokratie und Freiheit begeisterte Zivilgesellschaft – Menschen, die sich von unserer Gesellschaft und ihren Grundwerten entfremdet haben, wieder „zurück zu gewinnen“?
Der Autor und Terrorismusexperte Yassin Musharbash stellte zunächst klar: Diejenigen, die sich radikalisierten beziehungsweise, die sich als Dschihadisten in den irakisch-syrischen Bürgerkrieg begeben würden – all die kämen nicht Out of Space, sondern seien Produkte unserer Gesellschaft. Sie sind auf der Suche nach Identität und Sinngebung für ihr Leben. Und eine Organisation wie der Islamische Staat (IS) würde ihnen nicht nur einfache Antworten auf die komplexen Probleme einer globalisierten Welt vorgaukeln. Die Idee eines „Kalifats“ fungiert gleichsam als Versprechen, teilhaben zu können an einem welt-historischen Projekt. Und mit ihrer Teilnahme am Krieg des IS könnten die Dschihadisten zudem nicht nur Abenteuerlust und Gewaltphantasien ausleben – es sei ihnen auch möglich, so etwas wie Empathie zu leben, nämlich in dem sie sich als Verteidiger ihrer sunnitischen Glaubensbrüder wähnen. Nur wer diese komplexe Faszination und hohe Attraktivität des IS verstehe, sei imstande darauf adäquate Antworten zu geben.
VERNETZUNG DER AKTEURE NOTWENDIG
Das Mitglied des „Deutschen Präventionstags“, Wiebke Steffens, vermittelte im Hinblick auf die deutsche Präventionsarbeit gegen den gewaltbereiten Islamismus ein ernüchterndes Bild: Im Grunde sei Präventionsarbeit – so Steffens – das wirksamste Mittel, um einer Radikalisierung und dem Entstehen gewaltbereiter Szenen entgegen zu wirken. Aber tatsächlich habe Deutschland dieses Thema seit den Anschlägen des 11. September 2001 über zehn Jahre lang verschlafen: „Wir stehen hier erst ganz am Anfang“. Vieles wirke – so Steffens weiter – wie „Kraut und Rüben“: Zwar geben es vielerorts Initiativen. Aber es fehle nicht nur an einem sinnvollen Plan, sondern auch an einer Abstimmung und einer Vernetzung zwischen den Akteuren. Hier könnte und sollte, so Steffens, ein Nationales Präventionszentrum Abhilfe schaffen.
Vier grüne Bundestagsabgeordnete haben nun ein Thesenpapier verfasst, in dem endlich nicht nur klar umschrieben wird, warum eine bundesweite Präventionsstrategie sinnvoll und notwendig ist, sondern was konkret getan werden muss, damit eine solche Strategie auch sinnvoll umgesetzt werden kann.
HIGH NOON FÜR PRÄVENTIONS-KONZEPTE
Irene Mihalic, Sprecherin für Innere Sicherheit, stellte zunächst die Grundzüge dieses Thesenpapiers vor. Darin heißt es, dass wir in Deutschland – so, wie anderen europäischen Ländern endlich auch, eine bundesweit konzipierte Präventionsstrategie gegen den gewaltbereiten Islamismus brauchen. Ziel sei eine sinnvolle Steuerung und Vernetzung staatlicher und zivilgesellschaftlicher Präventionsprojekte. Insofern mache es zum Beispiel Sinn, wenn Bund, Länder, Kommunen und zivilgesellschaftliche Akteure in einem neu zu schaffenden bundesweiten Präventionszentrum gemeinsam Grundsätze und auf einander abgestimmte Maßnahmen für die Präventionsarbeit festlegen. Und die rechtlichen und tatsächlichen Grenzen der Präventions- und Deradikalisierungsarbeit definieren würden. Auch sollten die Gelder zwischen Bund und Ländern gerecht auf geteilt und für die Präventionsarbeit aufgestockt und verstetigt werden.
Man brauche, so Mihalic weiter, langfristige und niedrigschwellige Konzepte für die Zeit „Fünf Minuten vor Zwölf“. Man benötige zielgerichtete Deradikalisierungsinstrumente für Situationen „Fünf Minuten nach Zwölf“. Und man brauche schließlich Maßnahmen „rund um die Uhr“, wie zum Beispiel eine Einbindung der muslimischen Community in Deutschland – und zwar auf Augenhöhe.
FÜR EIN GLAUBWÜRDIGES IDENTIFIKATIONSANGEBOT
Franziska Brantner, Sprecherin für Kinderpolitik, und grüne Vorsitzende des Bundestagsausschusses für zivile Konfliktprävention stellte im Rahmen einer ersten Vertiefungseben zwei der neun grünen Thesen vor: So müsse Präventionsarbeit zunächst nicht gegen etwas kämpfen, sondern sich für etwas einsetzen: für die Menschenrechte, für Toleranz und für Vielfalt und gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Islamfeindlichkeit. Nur wer hier glaubwürdig und authentisch ist, hat die Chance, den Salafisten etwas Effektives entgegensetzen. Und zweitens seien frische Ideen und Innovationen in den Schulen und der Sozialarbeit nötig: So sei die Lebenswirklichkeit vieler junger Menschen häufig von sozialer Perspektivlosigkeit, von Ausgrenzung und Diskriminierung, aber auch von häuslichen Gewalterfahrungen sowie familiären bzw. genderbezogenen Rollenkonflikten geprägt. Und genau hier würde die sogenannte „Opferideologie“ gewaltbereiter salafistischer und islamistischer Gruppen ansetzen. Hier gelte es nicht nur an Schulen gegenzusteuern. Wir brauchen auch den systematischen Ausbau einer interkulturell kompetenten Eltern sowie Kinder und Jugendarbeit, aber ohne, dass SozialarbeiterInnen quasi als SoldatInnen im Krieg gegen den Salafismus hingestellt werden. So etwas würde mehr schaden, als nützen, so Brantner.
Auf sie antwortete Jochen Müller vom Berliner Verein „ufuq.de – Jugendkultur, Medien und politische Bildung in der Einwanderungsgesellschaft“. Er meinte, viele der in Rede stehenden Jugendlichen würden, auch und gerade angesichts von rassistischer Diskriminierung und einer Stigmatisierung des Islam in Deutschland – zunächst nicht nur vernünftige Fragen, sondern auch geradezu emanzipative Forderungen stellen, nämlich nach Anerkennung, Wertschätzung und Zugehörigkeit. Wer für etwas begeistern will, was diese Jugendlichen meinen, noch nie positiv erlebt zu haben, die/der muss einige Dinge, so Müller, weit offensiver als bisher vertreten: Eine klare Anti-Diskriminierungspolitik und ein klares Bekenntnis, dass der Islam zu Deutschland gehöre und zwar „ohne Wenn und Aber“. Und auch, dass diese jungen Menschen zunächst einmal stolz sein könnten, auf das, was sie und ihre Eltern geleistet im Zuge der Einwanderung und Integration in Deutschland hätten.
FÜR MEHR ROLLENKLARHEIT
Monika Lazar MdB ,Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus, stellte die Thesen vor, in denen es um eines der Kernanliegen der grünen Präventionsstrategie ging, nämlich der Forderung nach mehr Rollenklarheit zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren. Denn, Staat und NGOs müssen in der Präventionsarbeit immer wieder zusammenarbeiten. Und hier ist es essentiell, so Lazar, dass zivilgesellschaftliche Beratungsstellen von der Zielgruppe, an die sie sich wenden, als frei und eben nicht als verlängerter Arm des Staates erlebt werden. Genau hierfür brauche es gemeinsame vereinbarte Regeln.
Auf Monika Lazar antwortete Jan Buschbom vom „Violence Prevention Network“, das seit vielen Jahren unter anderem eine professionelle Deradikalisierungsarbeit in deutschen Gefängnissen durchführt. Und da hapert es an vielen Stellen: Denn viele Behörden seien gar nicht darauf vorbereitet, geschult oder sensibilisiert, rechtsextreme beziehungsweise islamistische Ideologismen oder Codes zu erkennen und darauf kompetent zu reagieren. Auch gebe es z. B. für den Einsatz von islamischen Gefängnisseelsorgern keine verbindlichen Leitlinien. Auch fehle es seitens der staatlichen Behörden hier regelmäßig an eben dieser Rollenklarheit: Denn allzu gerne würde manch ein JVA-Leiter die GefängnisseelsorgerInnen gleich auch mit der Deradikalisierung betrauen. Aber das, so Buschbom, sei nicht deren Aufgabe. Im Gegenteil: Eine Vermischung von Seelsorge und einer Deradikalisierungsarbeit gefährde die Arbeit der SeelsorgerInnen insgesamt.
MUSLIME WICHTIGE ROLLE IN DER PRÄVENTIONSARBEIT
Die Rolle der muslimischen Communtiy in Deutschland bei der Arbeit gegen den gewaltbereiten Islamismus, das war das Thema des stellvertretenden Vorsitzenden der grünen Bundestagsfraktion, Konstantin von Notz. Denn tatsächlich seien die Millionen nicht-dschihadistischer Muslime in Europa inzwischen selber ins Fadenkreuz des islamistischen Terrorismus gerückt: Denn der Muslim, der sich dem IS nicht unterordne, müsse – so der IS – als Abtrünniger, und damit als Ungläubiger behandelt und daher letztlich „ausgelöscht“ werden. Der IS nennt dies, die Eliminierung der muslimischen „Grauzone“.
Für ihn, so von Notz, sei klar, dass Muslime in Deutschland in der Präventionsarbeit gegen den gewaltbereiten Islamismus eine wichtige Rolle spielen sollten. Und hier seien alle Akteure aufgerufen, mehr zu tun: So müsse der Staat endlich ein bedarfsgerechtes Angebot für einen Islamunterricht an deutschen Schulen und eine kompetente muslimische Gefängnisseelsorge sorgen. Und die islamischen Verbände und Moscheegemeinden müssten sich die Frage stellen, ob sie bzw. ihre Imame wirklich in der Lage, Radikalisierungstendenzen frühzeitig zu erkennen, Jugendliche adäquat anzusprechen bzw. sinnvolle Gegenstrategien zu entwickeln und diese auch zu leben,
Ihlam El–Morabiti vom „Zentralrat der Muslime“ (ZDM) wies darauf hin, dass viele Moscheegemeinden dabei sind, sich zu verändern und sich in Richtung von Bildungseinrichtungen zu entwickeln. Man sei auch in der Präventionsarbeit aktiv. So würden, sowohl der ZMD, als auch DITIB Pilotprojekte im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben“ betreiben. Die Arbeit in den Moscheegemeinden haben sich, so El–Morabiti, traditionell als ehrenamtliches Engagement entwickelt. Das reiche heute aber nicht mehr aus. Man wolle und müsse sich endlich systematisch professionalisieren.
In dieselbe Kerbe hieb auch Samy Charchira vom Institut für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück: Es würde nämlich seit einiger Zeit im Rahmen der „Deutschen Islamkonferenz“ über die Etablierung einer muslimischen Wohlfahrtsorganisation gesprochen. Das sei genau der richtige Weg – auch für die Präventionsarbeit. Denn, wenn es richtig sei, dass eine Präventionsarbeit auf einer zeitgemäßen und professionellen Jugendsozialarbeit und einer gemeindepädagogischen Arbeit aufbaue, dann ginge das nur über die Schaffung entsprechender Wohlfahrtsstrukturen innerhalb der muslimischen Community.
Zum Schluss bedankte sich Irene Mihalic für die vielen Impulse der Sachverständigen – aber auch die der zahlreichen Gäste. Man habe dieser Veranstaltung ganz bewusst nur ein Thesenpapier zugrunde gelegt – in dem Wissen darum, dass auch ein solches nicht so rauskomme, wie es ins Verfahren eingespeist worden ist. Wir hätten eine Reihe neuer Anregungen erhalten und wollten diese nun schnell einarbeiten, um aus diesem Thesenpapier zügig eine parlamentarische Initiative zu entwickeln.