Gefährliches Vollstreckungsdefizit: Über 190000 offene Haftbefehle in Deutschland
Unsere diesjährige Kleine Anfrage zu Haftbefehlen zeigt: Die Zahl der offenen Haftbefehle steigt von Jahr zu Jahr und es gibt einen neuen Höchststand seit 2007. Insgesamt liegt der Stand nicht vollstreckter Haftbefehle (nvH) zum Stichtag 31.3.2020 bei 192801. Das ist noch einmal ein Anstieg um gut 7000 offene Haftbefehle seit 2019. Die größten Probleme bei der Vollstreckung gibt es mittlerweile auch in absoluten Zahlen in Bayern (33324 nvH) gefolgt von NRW (32908 nvH) und Baden-Württemberg (21724 nvH).
Der wachsende Berg bei den offenen Haftbefehlen ist ein echtes Sicherheitsproblem, weil potenziell gefährliche Kriminelle weiter auf freiem Fuß bleiben. Wir fordern, dass es endlich ein von Bund und Ländern koordiniertes Vorgehen gibt, die offenen Haftbefehle nach Schwere zu priorisieren und dementsprechend zu vollstrecken.
Große Sorge bereitet mir der Bereich der politisch motivierten Kriminalität (PMK). Die Zahl der offenen Haftbefehle ist hier gegenüber 2019 wieder um fast 1000 auf nun 6830 angestiegen. Besonders viele nicht vollstreckte Haftbefehle (5375) gibt es dabei im Bereich „religiöse Ideologie“, bei dem der Islamismus ein besonderes Gewicht hat. Allerdings ist hier einzuordnen, dass es sich überwiegend um Haftbefehle gegen im Ausland (z.B. in Syrien, dem Irak oder der Türkei ) befindliche Personen handelt, die aktuell nur schwer vollstreckt werden können. Die Zahl der offenen Haftbefehle gegen Rechtsextreme ist zwar um knapp 30 auf 629 zurückgegangen, jedoch ist das keinesfalls ein Grund zur Entwarnung, ganz im Gegenteil: Allein in den ersten vier Monaten in 2020 sind bereits über 200 neue offene Haftbefehle beim Rechtsextremismus hinzugekommen, mehr als im jedem anderen Bereich der PMK. Wir werden diese und andere Entwicklungen weiter sehr genau im Blick haben und fordern, dass sich die Innenminister Deutschlands mit dem immer noch bei weitem unterschätzten Sicherheitsproblem der nicht vollstreckten Haftbefehle auseinandersetzen. Der Berg darf nicht weiter anwachsen.
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WAZ: Fast 193.000 Straftäter bundesweit mit Haftbefehl gesucht
Dieser Artikel ist ursprünglich im Newsletter erschienen.