Die letzten Monate waren angesichts zahlreicher rechtsextremer und rechtsterroristischer Vorfälle von einer längst überfälligen Debatte über die Bedrohung der rechtsextremen Szene in Deutschland geprägt. Meine Kleine Anfrage an die Bundesregierung nach den bislang unveröffentlichten Zahlen der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik aus 2019 deutet auf eine neue Qualität der rechten Gewalt hin.
Jedes Jahr erfragen wir bei der Bundesregierung bereits vor der späten Veröffentlichung im Mai die Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik für das vergangene Jahr ab. Mit 22.337 Straftaten aus dem rechten Spektrum, wovon allein fast 1000 Gewaltdelikte sind, setzt sich der stetige Anstieg der Taten in diesem Phänomenbereich im letzten Jahr fort. Dies schlägt sich auch in der im Vergleich hohen Anzahl der rechten Straf- und Gewalttaten gegen Pressevertreterinnen und – vertreter, Mandatsträgerinnen und -träger und Minderjährige nieder. Darüber hinaus ist insbesondere die hohe Anzahl antisemitischer Straftaten erschreckend: Im Jahr 2019 sind in der polizeilichen Kriminalitätsstatistik 2032 antisemitische Straftaten aufgeführt, davon 1896 von rechts. Im Vergleich zum Vorjahr stellt dies einen Anstieg um 13 Prozent dar, ein Negativtrend, dem dringend eine nachhaltige Strategie gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus entgegengestellt werden muss. Auch die Tatsache, dass zum Stichtag des 31. Dezember 2019 insgesamt 892 Rechtsextremisten und damit 100 mehr als im Vorjahr über eine oder mehrere waffenrechtliche Erlaubnisse verfügen ist besorgniserregend. Insbesondere in den aktuell unruhigen Zeiten müssen die Sicherheitsbehörden diese gefährliche Aufrüstung daher ganz genau im Blick behalten.
Seit vielen Jahren weisen wir bereits auf die unterschätzte Bedrohung durch rechtsextreme Personen und Netzwerke hin. Die enorme Gefahr, die der Rechtsextremismus für unsere Gesellschaft darstellt, wurde in den letzten Wochen und Monaten erneut anhand der brutalen Anschläge in Kassel, Halle und Hanau deutlich. Die Anschläge haben schmerzhaft gezeigt, dass den Sicherheitsbehörden nach wie vor die Analysefähigkeit fehlt, um die rechtsextreme Gefahr frühzeitig zu erkennen. Mit einer Kleinen Anfrage im Nachgang zum Anschlag in Halle habe ich die Bundesregierung daher unter anderem nach den Erkenntnissen über Ähnlichkeiten rechtsterroristischer Anschläge weltweit gefragt. Aus der Antwort der Bundesregierung geht unter anderem hervor, dass sie bei der Tatbegehung Parallelen zu den Anschlägen in Christchurch und in El Paso im Jahr 2019 erkennt. Diese Erkenntnis legt nahe, dass der Täter in der virtuellen Welt des Rechtsextremismus fest verankert war und die Sicherheitsbehörden die Online-Radikalisierung sowie den virtuellen Kontakt zu anderen rechtsextremen Personen gründlich ermitteln müssen. In einem Gastbeitrag habe ich nach dem brutalen Anschlag in Hanau daher erneut auf die Gefahr verwiesen, jegliche rechtsextreme Täter vorschnell als (psychisch kranke) Einzeltäter einzustufen ohne die Netzwerke und Strukturen dahinter zu erkennen.
Um insgesamt neue Erkenntnisse über die Vernetzung innerhalb der rechtsextremen Szene zu erlangen, habe ich die Bundesregierung in einer ausführlichen Kleinen Anfrage nach den Kenntnissen über zahlreiche Gruppierungen und Vereine befragt. Die Antwort zeigt leider, dass die Regierung bei zahlreichen bekannten rechtsextremen Gruppierungen, wie unter anderem den völkischen Siedlern, im Dunklen tappt und zivilgesellschaftliche Akteure, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren deutlich besser informiert sind. Überraschend ist auch, dass das Bedrohungspotenzial der mittlerweile verbotenen rechtsterroristischen Gruppe Combat 18 in der Antwort vom 17. Januar dieses Jahres noch als begrenzt eingestuft. Das eine Woche später umgesetzte Vereinsverbot hat der langanhaltenden Bagatellisierung der gefährlichen rechtsextremen Gruppe endlich ein Ende gesetzt.
Auch das Thema von Hass und Hetze im Internet hat mich in den letzten Wochen und Monaten beschäftigt. Die zahlreichen verbalen Angriffe, die täglich online geschehen bleiben nach wie vor meist ungeahndet. Wir Grüne fordern in unserem Antrag „Hass und Hetze wirksam bekämpfen, Betroffene stärken und Bürgerrechte schützen“ daher nicht nur eine nachhaltige Unterstützung zivilgesellschaftlicher Initiativen, die sich gegen Hass im Netz engagieren, sondern auch ein mehrstufiges Meldeverfahren, bei dem die Provider in die Pflicht genommen werden. Strafbare Inhalte dürfen nicht nur gelöscht werden, sondern müssen an das Bundeskriminalamt weitergeleitet werden, um eine Effektivierung der Strafverfolgung im Bereich von Hass und Hetze im Netz zu schaffen.
Die zahlreichen Vorfälle zeigen, dass wir eine ganzheitliche Strategie gegen die rechtsextremen Entwicklungen in diesem Land brauchen. Aktuell versucht die rechte Szene durch die Verbreitung kruder Verschwörungstheorien aus den unruhigen Zeiten Kapital zu schlagen. Wir bleiben aufmerksam!
Kleine Anfragen und Presse
Vernetzung rechtsextremer Vereine und Organisationen
Presseberichterstattung
Antrag
Hass und Hetze wirksam bekämpfen, Betroffene stärken und Bürgerrechte schützen
Verweis Schriftliche Fragen
RND zur Schriftlichen Frage zu Rechtsextremen auf Griechenland
Presse nach Hanau
Presse zu „Gruppe S.“
Dieser Artikel ist ursprünglich im Newsletter im April 2020 erschienen