Erste Parlamentarische Geschäftsführerin | Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rede zum Haushalt des BMI 2018

Rede zum Haushalt 2018

Auszug aus der Niederschrift der Rede vom 5.7.2018

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Geschwisterstreit von CDU und CSU, der für Wochen die Regierungsarbeit lahmgelegt hat, ist nur notdürftig gekittet. Und das Ergebnis: ein ganz fauler Kompromiss zulasten Dritter und vermutlich – wir werden es noch herausfinden – sogar ein Verstoß gegen das Parteiengesetz, wenn Herr Seehofer seinen Masterplan im Innenministerium erarbeiten lässt, ihn aber als CSU-Vorsitzender vorlegt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN und der Abg. Ulli Nissen (SPD))

Nun reklamieren Sie, Herr Seehofer, diesen zweifelhaften Sieg mit stolzgeschwellter Brust für sich, obwohl Sie nach mehr als 100 Tagen im Amt noch nicht wirklich einen Arbeitsnachweis erbracht haben. Das, was wir bisher hatten, waren viele Ankündigungen, es waren viele Medientermine, es war viel bayerischer Landtagswahlkampf. Aber von harter Arbeit an den innenpolitischen Sachfragen – Stichworte: Personalkonzept bei den Sicherheitsbehörden, Reform der Sicherheitsarchitektur – keine Spur. Da muss man sich ja fast schon die Frage stellen, von welchem Amt Sie eigentlich zurücktreten wollten. Da ist es ja fast schon konsequent, zu bleiben.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Aber wo ist eigentlich die SPD? Das kann man sich ja auch einmal fragen. CDU und CSU sprengen mit ihrem Kompromiss gerade den Koalitionsvertrag in die Luft, und die Sozialdemokraten erfahren es wie der Rest der Republik aus dem Fernsehen, oder wie? Ja, regt Sie denn eigentlich gar nichts mehr auf?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Was muss eigentlich noch passieren, damit Sie klipp und klar sagen, dass Sie nicht bereit sind, das geeinte Europa zu opfern,

(Ulli Nissen (SPD): Haben wir doch gemacht!)

nur damit die CDU und die CSU ihren Streit beilegen können? Nun, selbstverständlich haben Sie sich im Nachhinein geäußert. Herr Lischka sagt: Transitzentren ja, aber sie sollen offen sein. Ja, da frage ich Sie, nach welcher Seite denn offen? Nach Österreich oder nach Deutschland?

(Burkhard Lischka (SPD): Komplett! – Weitere Zurufe von der SPD)

Solche Vorschläge können Sie doch nicht ernst meinen.

Jetzt machen Sie Ihre Zustimmung von dem Namen dieser Lager abhängig.

(Andrea Nahles (SPD): Es gibt keine Lager! Erzählen Sie doch keinen Unsinn!

Nein, liebe Genossinnen und Genossen, in dieser Frage gibt es kein So-nicht, sondern nur ein ganz klares Gar-nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Denn der Kompromiss der CDU/CSU ist erstens ein Frontalangriff auf die europäische Idee, er ist zweitens völlig unpraktikabel und verschärft die personelle Situation bei der Polizei, die Sie ja schon heute nicht im Griff haben, und er ist drittens völlig humanitäts- und rechtstaatsvergessen.

Was Europa angeht, war es schon bezeichnend, was Frau Kramp-Karrenbauer bei der Bewertung dieses Burgfriedens sagte. Der Kompromiss würde dazu beitragen – ich zitiere -, „die gute Nachbarschaft mit Europa“ zu wahren.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

„Nachbarschaft mit Europa“: Sehen Sie Deutschland jetzt schon außerhalb Europas, oder wie ist das zu verstehen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP))

Anstatt Solidarität in der europäischen Familie zu üben, beschränken Sie sich also lieber auf gute Nachbarschaft, Hauptsache, jeder bleibt hinter seinem eigenen Gartenzaun. Und jetzt wollen Sie mit Österreich ein neues Grenzregime vereinbaren. Aber da verspreche ich Ihnen: Das wird der Renationalisierung in Europa Tür und Tor öffnen,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Alexander Gauland (AfD): Ja, endlich!)

mit all den negativen Auswirkungen, wie Beschränkung der Freizügigkeit, Schwächung der europäischen Wirtschaft und allem, was daran hängt – und wieder stirbt ein Stück der europäischen Idee.

(Dr. Alexander Gauland (AfD): Ach du lieber Gott!)

Zudem ist Ihr Konzept der Transitzentren – oder sagen wir besser: der geschlossenen Grenzlager –

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Na, na, na! – Burkhard Lischka (SPD): Nein! – Andrea Nahles (SPD): Nein! Das ist völliger Blödsinn!)

nicht nur zutiefst unmenschlich, sondern auch völlig unpraktikabel. – Ja, ich weiß, da gibt es jetzt Widerspruch, aber wir hören ja mehrere Versionen. Stephan Mayer sagt, die Lager sind geschlossen.

(Burkhard Lischka (SPD): Wer ist denn Stephan Mayer?)

Herr Kauder hat gestern gesagt, sie sollen offen bleiben. Frau Merkel sagt: geschlossen, aber maximal zwei Tage, weil was anderes das Grundgesetz nicht erlauben wird. – Wie stellen Sie sich das denn eigentlich vor? Was soll es denn jetzt sein?

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Keiner spricht von geschlossenen Lagern!)

Auch die Gewerkschaft der Polizei sagt Ihnen, dass das alles überhaupt nicht geht.

(Burkhard Lischka (SPD): Stimmt doch gar nicht!)

Mal abgesehen davon, dass sich das Flughafenverfahren nicht einfach auf die Landesgrenzen übertragen lässt, weil es zwischen Staaten eben keine Pufferzone gibt, stellt sich doch die Frage: Was ist denn mit dem insgesamt 3 714 Kilometer langen Grenzverlauf in Deutschland?

(Andrea Nahles (SPD): Lesen Sie noch mal nach!)

Wollen Sie da jetzt überall Ihr neues Grenzregime aufziehen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beatrix von Storch (AfD): Ja, absolut!)

– Die AfD sagt: „Ja, absolut“; da hören Sie schon die ersten Vorschläge.

Und wo soll das Personal dafür herkommen?

(Dr. Alexander Gauland (AfD): Das ist ja bewilligt!)

Sie haben doch jetzt schon Probleme, den vereinbarten Aufwuchs von 7 500 Stellen bei den Sicherheitsbehörden konzeptionell umzusetzen. Und auf Nachfrage teilen Sie uns dann mit, es gebe dazu Vorstellungen im BMI, man wolle die regierungsinterne Abstimmung aber noch abwarten und bitte um Verständnis. Bei „regierungsinterne Abstimmung“ habe ich im Moment ein Störgefühl.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der FDP – Kerstin Kassner (DIE LINKE): Das ist ja kein Wunder!)

Das hört sich für mich noch nicht nach einem Masterplan an, um es mal so auszudrücken.

Nein, meine Damen und Herren, wir haben kein Verständnis dafür, dass Sie immer noch nicht in der Lage sind, zu sagen, wie Sie den dringend benötigten Personalaufwuchs bei den Polizeibehörden des Bundes denn überhaupt praktisch umsetzen wollen. Ihre Grenzlager und die Folgewirkungen werden den Haushalt zusätzlich belasten, und wir haben ein Recht darauf, alle Details ganz genau zu erfahren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Ihr vermeintlicher Durchbruch im Asylstreit ist mit Blick auf die multidimensionale Problematik von Flucht und Migration in Wahrheit doch eine Bankrotterklärung. Sie agieren nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn. Sie ziehen die Brücken hoch und versuchen, Deutschland vor dem Leid der Welt, so gut es geht, abzuschotten. Wer es doch noch schafft, als Flüchtling nach Deutschland zu kommen, wird in Lager gesperrt.

(Burkhard Lischka (SPD): Welche Lager denn, um Gottes willen? Wer erzählt denn so was?)

Integration wird damit von vornherein ausgeschlossen, und gleichzeitig tun Sie nichts, aber rein gar nichts, um die Fluchtursachen wirklich grundsätzlich anzugehen.

Und warum das alles? Das alles geschieht getrieben von Angst vor dem parteipolitischen Rechtsextremismus. Aber den rechtsextremen Geist bekämpft man eben nicht, indem man ihn selbst atmet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Man bekämpft ihn mit dem Geist der Demokratie, des Rechts und der Humanität.

Das, was Sie hier vorlegen, ist jedenfalls weder christlich noch sozial, und mit „Union“ hat es auch nichts zu tun – schon gar nichts mit der Europäischen Union.

(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Jetzt erteile ich das Wort dem Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, Horst Seehofer.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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