Aufklärung polizeilichen Fehlverhaltens erleichtern – Ergänzung zum Entwurf eines Gesetzes über die unabhängige Polizeibeauftragte oder den unabhängigen Polizeibeauftragten des Bundes (Bundespolizeibeauftragtengesetz – BPolBeauftrG)
Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Britta Haßelmann, Katja Keul, Renate Künast, Monika Lazar, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, eine Änderung der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) zu veranlassen oder – bei ausbleiben- der Zustimmung der Bundesländer – einen Novellierungsentwurf zu den §§ 258a StGB, 153 ff. StPO vorzulegen, um sicherzustellen, dass in Fällen von polizeilichem Fehlverhalten im Sinne von §1 Absatz 1 Satz 1 Nr.1 BPolBeauftrG-E keine Hindernisse für eine Mitwirkung von Beschäftigten von Polizeibehörden an der Aufklärung dieser Sachverhalte bestehen;
in entsprechenden Fällen möglichst schnell überprüft wird, ob ein Ermittlungs- verfahren, das wegen des Verdachts einer möglichen Strafvereitelung eingeleitet worden ist und dazu führt, dass eine wichtige Zeugin oder ein wichtiger Zeuge wegen des § 55 StPO hinsichtlich der Haupttat nicht aussagt, gemäß den §§ 153 ff. StPO eingestellt werden kann;
Aussagen betroffener Beamtinnen und Beamten auch dann ermöglicht und geför- dert wird, wenn wegen des Verdachts einer unvollendeten Strafvereitelung ermit- telt wird;
für entsprechende Rechtssicherheit und -klarheit gesorgt wird, damit ein nicht strafbares Verhalten betroffener Beamtinnen und Beamten nicht instrumentalisiert werden kann, um Aussagen im Sinne der Nr. 1 zu verhindern.
Begründung
Ermittlungen wegen des Verdachts eines strafrechtlich relevanten Fehlverhaltens durch Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte werden regelmäßig dadurch erschwert, dass Kolleginnen und Kollegen, die an den Vorfällen nicht beteiligt waren, aber Kenntnisse von den Geschehnissen haben, sich im Fall einer nicht sofortigen Aussage dem Verdacht aussetzen, eine Strafvereitelung begangen zu haben.
Diese Zeugen aus dem Kreis der Polizei sind dabei für die Aufklärung der Haupttat typischerweise so wichtig, dass die Ermittlungen ohne entsprechende Aussagen wenig erfolgversprechend sind. Daher erweisen sich Er- mittlungen gegen eben diese Beamtinnen und Beamten wegen des Verdachts einer Strafvereitelung regelmäßig nicht zuletzt aufgrund des Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 55 StPO als entscheidendes Hemmnis für die Aufklärungen entsprechender Haupttaten.
Gleichzeitig wird das staatliche Strafvollstreckungsinteresse in derartigen Fällen durch eine wenige Tage oder Wochen verzögerte Aussage nur höchst selten so weit hinausgeschoben, dass tatbestandlich ein Vereiteln im Sinne des § 258 StGB vorliegt. Das Verhalten der Beamtinnen und Beamten erfüllt daher letztlich fast nie den Tatbestand einer Strafvereitelung, wenn die Beamtinnen und Beamten die Aussage innerhalb von wenigen Ta- gen oder Wochen nachholen.
Auch ist zu berücksichtigen, dass Beamtinnen und Beamte durch eine Anzeige gegen ihre Kollegen oder Vor- gesetzten die eigene berufliche Zukunft ernstlichen Risiken aussetzen. Daher ist eine gewisse Bedenkzeit nicht zuletzt aufgrund der auf gegenseitigem Vertrauen basierenden innerpolizeilichen Zusammenarbeit grundsätz- lich gerechtfertigt.
Dabei würde beispielsweise bereits eine klarstellende Ergänzung der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldver- fahren (RiStBV) die Situation der betroffenen Beamtinnen und Beamten verbessern und gleichzeitig entspre- chende Ermittlungen fördern. Es erscheint im Sinne der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit insbesondere gebo- ten klarzustellen, dass eine vorwerfbare Beeinträchtigung des staatlichen Strafanspruchs in der Regel erst dann vorliegt, wenn es zu einer zurechenbaren Verzögerung von mindestens drei Wochen gekommen ist.
Diese Klarstellung konkretisiert dabei die in Rechtsprechung und Literatur vorherrschende Meinung hinsicht- lich der Auslegung des Begriffs des Vereitelns in § 258 StGB. Der Erfolg einer Strafvereitelung tritt danach zwar schon dann ein, wenn der staatliche Strafanspruch geraume Zeit unverwirklicht bleibt bzw. erheblich ver- zögert wird. Die Unbestimmtheit dieser Zeitvorstellung führt teilweise dazu, dass eine bloße Verzögerung als nicht tatbestandsmäßig angesehen wird (Altenhain, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Aufl. 2013, § 258 Rn. 51), überwiegend aber die Untergrenze des maßgeblichen Verzögerungszeitraums bei drei Wochen gesehen wird (statt vieler: Stree/Hecker, in: Schönke-Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 258 Rn. 14; Lack- ner/Kühl, StGB, 28. Aufl. 2014, Rn.4; BGH, Urteil vom 21.12.1994 – 2 StR 455/94, geht sogar bei verzögerter Aufnahme der Ermittlungen wegen eines Tötungsdelikts davon aus, dass sich bei einer Verzögerung von zwölf Tagen in der Regel nicht feststellen lassen werde, wie sich die Vereitelungshandlung im Einzelnen auf das weitere Verfahren und damit auf den Zeitpunkt der Bestrafung ausgewirkt habe).
Sollte sich eine solche Klarstellung bzw. Richtlinie für die Staatsanwaltschaft als unzureichend erweisen, wäre ggf. eine geeignete Veränderung des materiellen Strafrechts im Bereich der Strafvereitelung zu prüfen.