„Reichsbürger“ – Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat
Fachgespräch Rechtsextremismus
Am 18. Januar 2019 hatte die grüne Bundestagsfraktion zum Fachgespräch „Die Reichsbürger – Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat“ in den Bundestag eingeladen. Von den rechtsextremen Reichsbürgern geht ein erhebliches Gefahrenpotenzial aus. Seit mehreren Jahren weist die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen darauf immer wieder hin. Leider haben die Bundesregierung und das Bundesamt für Verfassungsschutz, vor allem in der Amtszeit Hans-Georg Maaßens, die Reichsbürger lange Zeit nicht ernst genommen und als harmlose Spinner abgetan. Erst nach dem Mord an einem Polizeibeamten durch einen Reichsbürger in Georgensgmünd im Oktober 2016 änderte sich die Wahrnehmung der Bundesregierung und man erhöhte den Druck auf den immer noch nicht einsichtigen Verfassungsschutz. Seit 2017 wird das Gefahrenpotenzial der Reichsbürger endlich näher untersucht. Nach wie vor tut sich die Bundesregierung aber schwer damit, die Reichsbürger als im Kern rechtsextrem einzustufen, was zu gravierenden Folgefehlern im Hinblick auf das Erkennen von Netzwerkstrukturen führt.
Durch eine Reihe von parlamentarischen Anfragen konnten wir wichtige Details zum Personenkreis der Reichsbürger, ihrem hohen Bewaffnungsgrad, ihrer Rolle in rechtsextremen Netzwerken und den von ihnen begangenen Straftaten herausfinden und der Öffentlichkeit zugänglich machen. Diese Aspekte haben wir nun mit diesem öffentlichen Fachgespräch vertieft – dem ersten Fachgespräch im Bundestag, das sich detailliert mit dieser speziellen rechtsextremen Gruppierung befasst hat.
Die „Reichsbürger“ sind keine harmlosen Spinner
Zunächst begrüßte der Fraktionsvorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, Dr. Anton Hofreiter, unsere Gäste und unterstrich dabei gleich zu Beginn, dass es die „Reichsbürger“ mitnichten harmlose Spinner seien, die sich nur gegenseitig Pässe ausstellen oder ihr eigenes Königreich ausrufen, sondern dass dies Menschen seien, die offen den deutschen Staat, seine Gesetze und unsere Verfassung insgesamt ablehnen. Er selbst habe schon diverse Anfeindungen von „Reichsbürgern“ erlebt, dies sei aber nichts verglichen mit den Erfahrungen von Bürgermeistern, Landrätinnen und Verwaltungsangestellten vor Ort, die regelmäßig Bedrohungen oder Blockadehandlungen durch „Reichsbürger“ ausgesetzt sind.
Gemeinsamkeit: Rassismus, Antisemitismus, Menschenfeindlichkeit
Zunächst sprach der Autor Tobias Ginsburg in einem Impulsvortrag über die Undercover-Recherche für sein Buch „Die Reise ins Reich: Unter Reichsbürgern“, für die er acht Monate lang unter „Reichsbürgern“ lebte. Ginsburg veranschaulichte die Bandbreite der Menschen, die er in dieser Zeit traf: vom gewaltbereiten und bewaffneten Neonazi über den friedensbewegten Esoteriker bis hin zum AfD-Funktionär. Eine Gemeinsamkeit hätten sie jedoch alle gehabt: Die Existenz der Bundesrepublik Deutschland werde negiert und es herrschten bei allen Rassismus, Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit vor.
Das erste Panel: Rechtsextremistische Verschwörungstheorien
Das erste Panel ging der Frage nach, wer sich eigentlich hinter der Schablone „Reichsbürger“ verbirgt. Jan Rathje, Politikwissenschaftler und Leiter des Projekts „No World Order Handeln gegen Verschwörungsideologien“ bei der Amadeu Antonio Stiftung, stellte die „Reichsbürger“-Szene in den Kontext der Entwicklung des Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945 und betonte, dass die Theorie des Fortbestehens des deutschen Reiches und die Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland tief aus dem rechtsextremistischen Milieu komme. Rathje warnte, dass die wahnhaften Vorstellungen vieler „Reichsbürger“ oft ohne Umwege in Handlungen mündeten und daher das gefährliche Potential der Szene nicht zu unterschätzen sei.
Immer wieder Antisemitismus
Gabriela Keller, Redakteurin im Team Investigativ von Berliner Zeitung und Berliner Kurier hat sich als Journalistin mit diversen Vertretern der „Reichsbürger“-Szene getroffen und darüber eingehende Reportagen geschrieben. Sie beschrieb das enorme Sendungsbewusstsein der Szene, welches gepaart mit einem Gefühl der Überlegenheit trotz Misstrauens gegenüber JournalistInnen doch immer wieder zu Interviewmöglichkeiten führe. Ihre Gespräche seien geprägt gewesen von Aggression und Konfrontation und wären früher oder später beim Thema Antisemitismus gelandet. Sie betonte die Notwendigkeit von Aussteigerprogrammen für „Reichsbürger“, um Menschen Perspektiven aufzuzeigen.
Monika Lazar, Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion für Strategien gegen Rechtsextremismus, stellte die Erkenntnisse aus parlamentarischen Anfragen der Grünen zum Gefahrenpotential der „Reichsbürger“ vor und veranschaulichte ihre eigenen Erfahrungen mit Konfrontationen durch „Reichsbürger“ bei Wahlkampfständen oder Veranstaltungen in ihrem Wahlkreis in Sachsen.
Das zweite Panel: Sind „Reichsbürger“ immer auch Rechtsextremisten?
Das zweite Panel diskutierte über die Frage, welche Gefahren von „Reichsbürgern“ ausgehen und wie wir ihnen am besten begegnen. Michael Hüllen ist Politikwissenschaftler und arbeitet in der Abteilung Verfassungsschutz beim brandenburgischen Innenministerium. Er erklärte den Ansatz des brandenburgischen Verfassungsschutzes, der schon seit spätestens 2011 intensiv zum Thema „Reichsbürger“ arbeitet, von Anfang an einen offenen Ansatz verfolgte und kommunalen Einrichtungen Hilfe und Schulungen zum Thema angeboten hat. Dabei beschrieb er den Versuch des Verfassungsschutzes, mit der Szene als „Extremismus sui generis“ umzugehen. Er sehe einen Unterschied zwischen den klassischen Rechtsextremisten in der Szene und den sog. „Selbstverwaltern“, die sich auf antiautoritäres Leben fokussierten. Hüllen erläuterte außerdem den Entwaffnungsprozess, der koordiniert zwischen Verfassungsschutz und Waffenbehörden ablaufe.
Grundidee: Der „Reichsbürger“ ist rechtsextremistisch
Jan-Gerrit Keil, Kriminalpsychologe im Landeskriminalamt Brandenburg, Abteilung Staatsschutz, befasst sich seit Jahren mit dem Thema „Reichsbürger“. Der Polizei sei die Szene schon seit den 1970er Jahren bekannt. Keil skizzierte das Profil des klassischen „Reichsbürgers“ als „Papier-Terrorist“, der sich absolut anti-solidarisch verhalte und Behörden lahm legen wolle. Jeder Eingriff von Behörden werde als klarer Angriff gewertet. Seit Jahren biete er gemeinsam mit dem Verfassungsschutz in Brandenburg Schulungen für Behörden zum Thema an. Der Schwerpunkt polizeilicher Arbeit liege vor allem im Bereich der Einsatzszenarien gegen „Reichsbürger“, zum Beispiel Räumungen, um Exekutivkraft zu zeigen und den Rechtsstaat durchzusetzen. Nicht alle „Reichsbürger“ hingen seiner Meinung nach aber auch selbst und individuell rechtsextremistischem Gedankengut an, wobei aber die Grundidee natürlich aus dem Rechtsextremismus komme.
Netzwerke in den Blick nehmen
Schließlich mahnte Dr. Irene Mihalic, Sprecherin für Innenpolitik der grünen Bundestagsfraktion, dass die Bundesregierung die „Reichsbürger“-Ideologie endlich viel ernster nehmen müsse. „Reichsbürger“ seien bewiesenermaßen geschichtsrevisionistisch, rassistisch und antisemitisch. Sie wies auf die große Relevanz von „Reichsbürger“-Theorien im Rechtsextremismus hin, z.B. auch beim NSU. Das „Reichsbürger“-Milieu solle von den Behörden in einem ersten Schritt grundsätzlich als Spielart des Rechtsextremismus eingestuft werden, so dass dann in einem zweiten Schritt gefährliche Vernetzungsbestrebungen konkret beobachtet werden könnten. Außerdem ginge die Entwaffnung nicht schnell genug, weswegen es einer Erweiterung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeitsprüfung bedürfe.
Die Veranstaltung wurde moderiert von Malene Gürgen, Redakteurin bei der taz mit Schwerpunkt Extreme und Neue Rechte, Soziale Bewegungen und außerparlamentarische Politik.
Gewalttaten durch „Reichsbürger“ steigen weiter
Parallel zum Fachgespräch konnten wir durch eine neue parlamentarische Anfrage weitere Erkenntnisse über die „Reichsbürger“ in Erfahrung bringen und er Öffentlichkeit zugänglich machen: Wie das Bundesinnenministerium in seiner Antwort mitteilte, stieg die Zahl der Straftaten durch Reichsbürger von 771 im Jahr 2017 auf 804 im Jahr 2018 (Stand: 21. Januar 2019). Die Bandbreite der Delikte reicht von Körperverletzung, Volksverhetzung, Erpressung und Nötigung bis hin zu Propagandadelikten und Verstößen gegen das Waffengesetz. Laut Ministerium ist die Summe der Gewalttaten innerhalb eines Jahres von 115 auf 157 gestiegen. Wir sehen darin eine sehr besorgniserregende Entwicklung und einen deutlichen Kontrast zu der fortgesetzten Sorglosigkeit der Bundesregierung gegenüber den „Reichsbürgern“.