Newsletter März 2019
Liebe Leserinnen und Leser,
gerade sind zwei Themen im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung, die zu oft ein Schattendasein fristen: Europa und Klimaschutz.
Mit Europa beschäftigen wir uns, auch weil ausgerechnet im Wahljahr der holprige Austritt des Vereinigten Königreiches aus der EU ein abschreckendes Beispiel für die Rückkehr des Nationalstaates alter Prägung ist.
Der Klimaschutz hat in der öffentlichen Wahrnehmung insbesondere durch das Engagement von Greta Thunberg und #FridaysForFuture zusätzliches Gewicht bekommen. Das spannende an dieser Bewegung sind die zum Teil hilflosen Reaktionen aus dem konservativen Teil des politischen Spektrums. Und die beweisen, dass #FridaysForFuture funktioniert. Greta und ihre Mitstreiter*innen wären kein Thema, wenn sie mit ihrem Protest nicht die Provokation der Schulverweigerung verbinden würden. Wer darin schnödes Schulschwänzen sieht und dem mit Disziplinarmaßnahmen begegnen will, begreift nicht, welche Bedeutung der Klimawandel gerade für diese Generation haben wird. Dabei ist es insbesondere die Pflicht der jetzt politisch aktiven Generation, konsequent gegen den Klimawandel anzukämpfen. #FridaysForFuture ist dafür eine Mahnung, die wir in der grünen Bundestagsfraktion nicht überhören werden.
Es gibt also noch einiges zu tun. Das gilt auch für den Bereich der inneren Sicherheit. Welche Baustellen es da gerade gibt, könnt Ihr in diesem Newsletter lesen.
Viel Spaß dabei!
Dr. Irene Mihalic
Mit Sicherheit für den freiheitlichen Rechtsstaat
Wie viele von Euch ja wissen, war ich vor meinem Engagement im Bundestag 20 Jahre im Polizeidienst tätig; und mir war es immer ein besonderes Anliegen, den kritisch-konstruktiven Dialog zwischen Grünen und Polizei weiter zu vertiefen. Mit meiner wunderbaren Kollegin Katharina Schulze (Fraktionsvorsitzende der bayerischen Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen) habe ich nun die Eckpunkte einer Grünen (Reform-)Politik für innere Sicherheit – streng auf Grundlage des Rechtsstaats – aufgeschrieben und als Impuls in den Grundsatzprogramm-Prozess unserer Bundespartei eingespeist.
Zum Nachlesen hier: https://www.gruene.de/ueber-uns/2018/impulse-debattenbeitraege-zum-grundsatzprogramm/mit-sicherheit-fuer-den-freiheitlichen-rechtsstaat.html
Auch die taz hat über den Impuls von Katharina Schulze und mir geschrieben:
Neues aus dem Untersuchungsausschuss zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz
Ich hatte Euch ja bereits im Rahmen meines letzten Newsletters geschrieben, dass die von der Bundesregierung bis heute vertretene These, Anis Amri habe den Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz allein durchgeführt, mittlerweile widerlegt ist. Auf Grundlage dieser These hat die Bundesregierung nach dem Anschlag politische Initiativen im Bereich des Ausländerrechts erarbeitet. Wie sich immer mehr herausstellt: Leider an den eigentlichen Problemen vorbei. Das zeigen die Vorgänge im Zusammenhang mit der kurz nach dem Anschlag im Schnelldurchgang abgeschobenen Kontaktperson und engen Vertrauten von Anis Amri, Bilel Ben Ammar, in zweifacher Hinsicht: Erstens wurde damit der Nachweis erbracht, dass eine begründete Abschiebung ohne jegliche Gesetzesänderung innerhalb kürzester Zeit erfolgen kann, wenn sich die Bundesregierung auf hoher ministerieller Ebene beim entsprechenden Staat für die Beschaffung der Passersatzpapiere einsetzt. Zweitens zeigt der Umgang mit Bilel Ben Ammar, dass es damals scheinbar kein gesteigertes Interesse daran gegeben hat, Informationen zu einem möglichen Netzwerk von Mitwissern und Mittätern oder zum Umfeld des Anis Amri zu erhalten. Im Gegenteil, Bilel Ben Ammar konnte gar nicht schnell genug außer Landes gebracht werden, dafür hat sich die Leitungsebene des Bundesinnenministeriums (BMI) mit aller Kraft eingesetzt. Und dass obwohl sich Ben Ammar noch einen Tag vor dem Anschlag mutmaßlich konspirativ mit Amri in einem Restaurant getroffen hatte und nachweisbar am Tag des Anschlags mit Amri telefoniert hatte. Soviel Energie hätte man mal für die Verhinderung des Anschlags aufbringen sollen!
Wir wollen nun aufklären, warum man seitens des BMI die Abschiebung so auffällig forciert hat und welche Rolle Ben Ammar für die Sicherheitsbehörden wirklich spielte. Dazu möchten wir so schnell wie möglich alle am „Abschiebevorgang“ maßgeblich beteiligten Personen bis hin zur Leitungsebene des BMI inklusive des ehemaligen Innenministers Thomas de Maizière als Zeugen vernehmen. Außerdem ist es sehr wichtig für uns Bilel Ben Ammar selbst als Zeugen im Untersuchungsausschuss zu hören. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf seinen Aufenthaltsort zu ermitteln und seine Zeugenvernehmung zu ermöglichen.
Anhörung zum Thema Kriminalstatistik im Innenausschuss
Die Koalition aus CDU/CSU und SPD hat nicht zuletzt im Koalitionsvertrag versprochen, den Periodischen Sicherheitsbericht aus 2006 endlich fortschreiben, um so die Lücke zu schließen, die vier Bundesinnenminister (alle CDU/CSU) zu verantworten haben. Das ist wichtig, denn um wirksame Konzepte zur Kriminalitätsbekämpfung entwickeln zu können, braucht die Politik eine verlässliche, in regelmäßigen Abständen aktualisierte Bestandsaufnahme der Kriminalitätslage, die über die bloße Analyse der polizeilichen Kriminalitätsstatistik (PKS) und der Strafverfolgungsstatistiken hinausgeht. Die PKS kann dies schon deshalb nicht leisten, da sie nur ein Arbeitsnachweis der Polizei ist und das polizeiliche Hellfeld zeigt. Das ist zwar interessant, reicht aber eben nicht aus, um tatsächlich wirksame Konzepte zu entwickeln, die Opfer vor Straftaten schützen und gleichzeitig helfen, unnötige Eingriffe in Grund- und Menschenrechte gleichermaßen zu vermeiden. Ebenso wichtig wie die Frage, ob und wann der nächste Periodische Sicherheitsbericht kommt, ist es daher sicherzustellen, dass der nächste Bericht auch unter Bundesinnenminister Horst Seehofer tatsächlich die Qualität hat, die notwendig ist, um diese Ziele zu erreichen. Ein wichtiger Schritt war daher, dass wir einen eigenen Gesetzentwurf für eine regelmäßige Vorlage des Periodischen Sicherheitsberichts in den Bundestag eingebracht haben und dazu am 18. Februar eine Öffentliche Anhörung des Innenausschusses mit unabhängigen Experten durchsetzen konnten. Das war entscheidend, denn die Koalition wird sich nun bereits, wenn sie ihr Konzept für die Neuauflage des Periodischen Sicherheitsberichts vorstellt, an den Stellungnahmen der Experten messen lassen müssen. Wir nehmen jedenfalls nicht länger hin, dass die PKS der Bevölkerung seit Jahren als einzige Quelle präsentiert und von amtierenden Innenministern stets so interpretiert wird, wie es ihnen politisch in den Kram passt. Aus diesem Grund war auch ein Antrag von uns für aussagekräftige Dunkelfeldstudien Gegenstand der Anhörung am 18. Februar 2019.
Antrag für aussagekräftige Dunkelfeld-Opferbefragungen:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/058/1905894.pdf
Gesetzentwurf Kriminalitätsstatistikgesetz:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/020/1902000.pdf
Rede in der 1. Lesung:
https://irene-mihalic.de/berlin/innere-sicherheit/polizei/rede-zum-kriminalitaetsstatistikgesetz/
Der Rechtsextremismus bleibt ein unterschätztes Problem
Die unter dem Stichwort „NSU 2.0“ bekannt gewordenen Vorkommnisse bei der Frankfurter Polizei mit rassistischen und volksverhetzenden Chatverläufen waren mehr als empörend und sie lösten eine entsprechend intensive öffentliche Debatte aus.
Seitdem gab es weitere Vorfälle und schwerwiegende Verdachtsmomente. Wir haben das zum Anlass genommen, die Bundesregierung nach ihren Kenntnissen zu ähnlichen Vorkommnissen im Bund oder anderen Bundesländern zu befragen. Die Antwort verdeutlicht, dass der Bund überhaupt kein Interesse zu haben scheint, sich einen Bund-Länder-Überblick über solche Vorkommnisse mit Extremismusbezug in Sicherheitsbehörden zu verschaffen.
Wir fordern, dass sich der Bundesinnenminister endlich bei der Innenminister-Konferenz für einen solchen Überblick einsetzt, damit wir die bundesweite Relevanz von extremistischen Bestrebungen bei Sicherheitsbehörden besser einschätzen können. Für die Bundespolizeibehörden wurde uns ein Überblick über Disziplinarverfahren gegeben, die wegen Rechtsextremismus-Verdachts eingeleitet wurden. Beim Bundeskriminalamt gab es seit 2016 keine Disziplinarverfahren in diesem Kontext, beim Zoll eines und bei der Bundespolizei acht. Aus der Antwort der Bundesregierung auf unsere Anfrage zu Reichsbürgern geht zudem hervor, dass allein in 2018 acht Disziplinarverfahren gegen Reichsbürger eröffnet wurden.
Reichsbürger werden jedoch immer noch nicht als rechtsextrem eingeordnet, was aus unserer Sicht den analytischen Blick auf diese Szene, der aktuell 19000 immer gewaltbereitere Personen zugerechnet werden, deutlich verengt. Es werden mittlerweile sogar seitens der Bundesregierung vereinzelte Bezüge der Reichsbürger zur AfD bestätigt. Als Grüne Bundestagsfraktion haben wir über die Frage der Einordnung der Reichsbürger-Szene im Februar ein sehr interessantes Fachgespräch durchgeführt und hierzu ein sehr breites Spektrum an Experten aus Zivilgesellschaft und Sicherheitsbehörden eingeladen.
Den Bericht könnt Ihr hier nachlesen: https://www.gruene-bundestag.de/rechtsextremismus/reichsbuerger-gefahr-fuer-demokratie-und-rechtsstaat.html
Warum wir ein schärferes Waffenrecht brauchen
Am 11.3.2019 jährte sich der schreckliche Amoklauf von Winnenden zum zehnten Mal. Leider haben die Bundesregierungen seitdem deutlich zu wenig getan, um das Waffenrecht zu verschärfen. Und es ist doch alarmierend, dass laut aktueller Zahlen in Deutschland jedes Jahr eine erhebliche Zahl von Waffen als abhandengekommen oder gestohlen gemeldet werden. Allein im letzten Jahr kamen 4.370 Meldungen dazu. (3.696 Waffen mehr waren zum Stichtag als abhandengekommen und 674 Waffen mehr als gestohlen gemeldet). Dass jede dieser Waffen dazu verwendet werden kann, Menschen zu töten oder zu verletzen und andere schwere Straftaten zu begehen, sollte die Bundesregierung beunruhigen.
Davon liest man in der Antwort auf unsere aktuelle Kleine Anfrage aber nichts. Auch dass jedes Jahr in Deutschland Menschen durch private Schusswaffen getötet werden, interessiert die Bundesregierung scheinbar wenig – jedenfalls gibt es weiter keine Statistik, die entsprechende schwerste Straftaten, die in der Presse oft als „Familientragödie“ oder „Beziehungstat“ bezeichnet werden, zählt. Bedenklich ist aber auch der neuerliche Anstieg bei den so genannten „kleinen Waffenscheinen“, schließlich wollen wir keine Gesellschaft, die sich zunehmend bewaffnet. Das Wort „klein“ kann dabei auch leicht täuschen: Auch diese Waffen können im direkten Kontakt oder durch entsprechende Manipulation töten oder schwere Verletzungen verursachen.
Kleine Anfrage:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/080/1908022.pdf
Presse:
Gesetzentwurf zur Schaffung der neuen Stelle einer Polizeibeauftragten des Bundes
Wir hatten es sowieso vor – aber die Vorkommnisse in Hessen haben das Thema natürlich ganz oben auf die Agenda gesetzt: Am 19. Februar 2019 hat die Bundestagsfraktion die Neueinbringung des Gesetzentwurfs zur Schaffung der neuen Stelle einer Polizeibeauftragten des Bundes beschlossen. In der 12. Kalenderwoche werden der Gesetzentwurf und die ergänzenden Anträge im Plenum des Deutschen Bundestages behandelt. Wie bereits in der letzten Legislaturperiode ist es unser Ziel, eine Stelle zu schaffen, die Menschen innerhalb und außerhalb der Polizei gleichermaßen als Ansprechpartner zur Verfügung steht. Außerdem geht es um effektive parlamentarische Kontrolle der Polizei.
Gesetzentwurf und ergänzende Anträge:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/079/1907928.pdf
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/079/1907929.pdf
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/079/1907930.pdf
Presse:
Besuch beim neuen „Future Security Lab“ – kurze Wege zur interdisziplinären Sicherheitsforschung
Monitore, Tablet-Computer oder Virtual Reality Brillen säumen die neuen Räumlichkeiten des Zukunftslabors des Forschungsforums Öffentliche Sicherheit (FÖS). Seit Beginn meiner Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag gehöre ich dem parlamentarischen Beirat des FÖS an, einer Einrichtung der Freien Universität Berlin, die sich mit der interdisziplinären Sicherheitsforschung befasst und unabhängig forscht.
Das nun unweit des Bundestages eingerichtete Zukunftslabor soll den Abgeordneten und Entscheidungsträger*innen die Forschungsergebnisse aus den unterschiedlichsten Bereichen des Bevölkerungsschutzes in plastischer Weise präsentieren. Am 29. Januar durfte ich mir vorab anschauen, was die Sicherheitsforschung aktuell zu bieten hat.
Zum Beispiel konnte ich mit Hilfe einer Virtual Reality Brille ein Anschlagszenario verfolgen, wie es sich den Rettungskräften darstellen würde.
Zudem wurden verschiedene Studienergebnisse auf Monitoren präsentiert und erläutert. Für mich war das sehr beeindruckend, denn im Zukunftslabor werden wissenschaftliche Forschungsergebnisse sehr anschaulich dargestellt. Darüber hinaus bietet es uns Abgeordneten die Möglichkeit, uns mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern direkten auszutauschen und aktuelle Probleme sowie Lösungsansätze zu diskutieren. Damit kann das Zukunftslabor zu einer evidenzbasierten Innenpolitik beitragen.
Mehr Informationen zum Labor und dessen Arbeit könnt Ihr in einem Bericht für den Tagesspiegel nachlesen: https://www.tagesspiegel.de/themen/freie-universitaet-berlin/oeffentliche-sicherheit-gefahren-analysieren-und-abwenden/24035576.html
Katastrophenschutz in Zeiten der Klimakrise
Eine Reihe von Extremwetterereignissen hat uns in den letzten Jahren die konkreten Auswirkungen der Klimakrise vor Augen geführt. Starkregenfälle sorgten für Überschwemmungen, Stürme für umstürzende Bäume, extreme Hitze und Trockenheit für Dürre und Waldbrände. Die Liste ließ sich noch lange fortführen und im persönlichen Gespräch mit Angehörigen des Katastrophenschutzes, zum Beispiel den Feuerwehren, erfährt man schnell welche Dimension diese Ereignisse haben können.
Mit einer Kleinen Anfrage zum „Schneechaos im Jahr 2019“ haben wir die zuletzt ungewöhnlich starken Schneefälle in Teilen Süddeutschlands sowie deren Auswirkungen auf die Katastrophenhilfe des Bundes thematisiert. Im Rahmen der Katastrophenhilfe unterstützt der Bund die Länder bei besonderen Schadenslagen, wie zum Beispiel großflächigen Überschwemmungen durch Hochwasser. Hierzu werden auch bundeseigene Ressourcen, wie das Technische Hilfswerk (THW), vorgehalten.
Die Antwort der Bundesregierung zeigt wieder einmal, wie hoch die Belastung für die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer ist. Allein 3000 Angehörige des THW leisteten rund 170.000 Einsatzstunden. Die Antwort offenbart aber auch, dass der Bund die Länder im Katastrophenschutz oftmals allein lässt und in vielen Bereichen nur wenige Kenntnisse vorzuweisen hat. Beispielsweise konnten die ausgerufenen Katastrophenalarme nicht beziffert werden. Besonders gravierend ist, dass die Bundesregierung noch immer keine konkrete Strategie zur wirksamen Förderung des Ehrenamts in den Blaulichtorganisationen zu haben scheint. Dabei zeigt die Antwort auf unsere Anfrage erneut deutlich, dass der Katastrophenschutz ohne die vielen Freiwilligen nicht zu schultern wäre.
Der bayerische Rundfunk hat unserer Initiative einen kurzen Beitrag gewidmet: https://www.br.de/nachrichten/bayern/schneechaos-helfer-leisteten-hunderttausende-arbeitsstunden,RJHZxCe