Aus dem Protokoll vom 19. Februar 2014
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Vertreterinnen und Vertreter der Koalition! Herr Lischka, diese Aktuelle Stunde „Krise der Großen Koalition“ zu nennen, wäre weitaus treffender gewesen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich gehe sogar noch weiter: Ihr Lavieren, Ihre Widersprüche und Ihre gegenseitigen Schuldzuweisungen in dieser Sache sind ein Offenbarungseid. Das ist eine schwere Hypothek für die politische Kultur unseres Landes.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wahnsinn!)
Die Krise der Großen Koalition hat drei Dimensionen:
Erstens. Die politische Krise: Ein Minister musste bereits gehen, weitere Funktionsträger stehen hier massiv unter Druck. Aber wo war denn die Kanzlerin in den letzten Tagen? Das ist ihre Regierung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Sie sollte doch diejenige sein, die im Zentrum der Krisenkommunikation steht. Sie sollte diejenige sein, die erkennbar dafür sorgt, dass diese Vorgänge umfassend aufgeklärt werden. Stattdessen erklärt die Kanzlerin eher beiläufig in der Öffentlichkeit, dass sie wieder Vertrauen herstellen will, hält aber dann Geheimtreffen im Kanzleramt ab. Das, was hier in Sachen Krisenmanagement abgeliefert wird, ist ein Trauerspiel.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Zweitens. Wir erleben eine schwere Vertrauenskrise in Bezug auf die Institutionen unseres Rechtsstaates. Auch hier wäre ein entsprechendes Krisenmanagement bitter nötig. Die Kommunikation zwischen dem BKA und dem Bundesinnenministerium verlief – zumindest rechtlich – auf sehr zweifelhaften Bahnen. Landeskrimi- nalämter werden breit über den Fall Edathy informiert. Herr Oppermann ruft beim BKA-Präsidenten an, um sich Sachverhalte aus laufenden Ermittlungen bestätigen zu lassen. Frau Högl und auch Herr Schuster – er ist offenbar gerade nicht anwesend; wir sind beide Polizisten –, wir wissen doch, dass ein Polizist, der zu so etwas Auskunft geben würde, sofort vom Dienst suspendiert werden würde. Das muss doch klar sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Die Menschen vertrauen darauf, dass solche Dinge nach Recht und Gesetz ablaufen und dass Informationswege stets nachvollziehbar sind und auf einer klaren Rechtsgrundlage basieren. Dieses Vertrauen muss drin- gend wiederhergestellt werden, indem haarklein aufge- klärt wird. Aber dazu sind Sie offensichtlich nicht bereit. Herr Oppermann hat gestern auch deutlich gemacht, dass Sie in den Alltagsmodus zurückkehren möchten. Sie ducken sich weg, aber das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Drittens haben wir es mit einer tiefen moralischen Krise in dieser Regierungskoalition zu tun. Kaum hat Herr Friedrich die richtigen Konsequenzen für seinen Umgang mit den Informationen gezogen, beginnt jetzt eine völlig schiefe Debatte. Statt nun im Bewusstsein für die staatspolitische Verantwortung klare Konsequenzen im Regierungshandeln zu ziehen, zerlegen Sie sich im Parteienstreit.
Das Hauptproblem der CSU ist doch die Frage, wer jetzt aufseiten der SPD als Kompensation für Herrn Friedrich seinen Posten räumen muss. Selbst bei Rücktritten soll es also proportional zugehen. Am Samstag holte Herr Seehofer empört zum Gegenschlag aus und zeigte damit, dass ihm die rechtsstaatlichen Aspekte in dieser Angelegenheit völlig egal sind. Er beklagt sich über die Geschwätzigkeit der SPD, statt die verantwortungslose Informationspolitik der Regierung selbstkritisch zu hinterfragen. Das zeigt wieder einmal deutlich das Verhältnis der CSU zur politischen Kultur: Partner oder Freunde taugen eben nur etwas, wenn sie sich als Amigos beweisen. Da dies nicht geschehen ist, wird nur noch über Rache statt über Aufklärung geredet.
(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Jetzt mal nicht übertreiben!)
Es wird sogar laut darüber nachgedacht, ob Zugeständnisse der SPD, zum Beispiel bei der Pkw-Maut, nicht die Schmerzen über den Rücktritt etwas lindern können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wo sind wir denn hier?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Dieser Cliquengeist, der in den Äußerungen der letzten Tage deutlich wurde, war doch der entscheidende Kitt bei den Koalitionsverhandlungen. Wir fordern Sie auf, endlich im Sinne derjenigen zu handeln, die Sie regieren sollen. Die Bürgerinnen und Bürger haben eine solche Selbstbezogenheit der Großen Koalition nicht verdient. Wir müssen alles dafür tun, dass das Vertrauen in unseren Rechtsstaat und in die Politik wiederhergestellt wird. Das alles beginnt mit einer lückenlosen Aufklärung.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, (C) wie auch Sie, Herr Oppermann, können Ihren Beitrag dazu heute Nachmittag im Innenausschuss noch leisten.
Ganz herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)