Erste Parlamentarische Geschäftsführerin | Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zehn Thesen für eine Nationale Präventionsstrategie gegen den gewaltbereiten Islamismus

Folgende Thesen sind heute im Blog der Huffington Post erschienen

1. Eine Nationale Strategie ist überfällig

Derzeit gibt es einen regelrechten Wildwuchs von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Programmen, Konzepten und Initiativen – da weiß oft die rechte Hand nicht, was die Linke tut. Der Bund wird hier bisher seiner Verantwortung nicht gerecht, gemeinsam mit den Ländern eine abgestimmte Strategie – gerade in diesem noch im Aufbau befindlichen Politikbereich abzustimmen.

  • Wir brauchen eine Nationale Strategie, die endlich klarstellt, wer für was zuständig ist, denn: Der gewaltbereite Islamismus macht nicht an Ländergrenzen Halt. Er muss gesamtgesellschaftlich in den Blick genommen werden, damit er präventiv regional und lokal wirksam bekämpft werden kann.

2. Glaubwürdigkeit

Präventions- und Deradikalisierungsarbeit kann nur dann effektiv wirken, wenn sie, als glaubwürdig wahrgenommen wird. Eine Nationale Strategie muss daher eingebettet sein, in ein gesellschaftliches Klima der Offenheit, Transparenz, Liberalität und des Respekts – in eine inklusive Integrationsarbeit sowie in ein klares und entschiedenes Engagement gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit.

3. Basisnähe

Integration und Prävention findet vor allem in der Kommune statt. Diese Arbeit kann und soll nicht „von oben nach unten“ implementiert werden. Gleichwohl profitiert auch die lokale Arbeit davon, wenn sie nach abgestimmten Regeln und Grundsätzen erfolgt.

  • Eine Nationale Strategie sollte vor allem den Aufbau lokaler Präventionsnetzwerke sowie regionaler / länderübergreifender Netzwerke zur Intervention befördern, die sich aus VertreterInnen der Verwaltung und der Zivilgesellschaft – und damit auch der Moscheegemeinden – zusammensetzen.

4. Zivilgesellschaftliche Ausrichtung

Staat und Zivilgesellschaft werden ihre Präventions- und Deradikalisierungsarbeit nicht nur aufeinander abstimmen müssen, sondern immer wieder auch fallbezogen zusammenarbeiten. Und dennoch: NGOs haben eine eigene – spezifische – Perspektive auf die individuellen Problemlagen und Lösungsstrategien. Genau dies ist für eine erfolgreiche Konzeption und Durchführung von Präventions- und Ausstiegsabreit essentiell.

  • Daher ist es unerlässlich dass eine nationale Präventionsstrategie – auch im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit des Beratungs- und Unterstützungsangebotes an die jeweilige Zielgruppe – die Unabhängigkeit zivilgesellschaftlicher Akteure festschreibt.

5. Teilhabegerechtigkeit

Die Wirksamkeit einer Nationale Präventionsstrategie hängt davon ab, dass sich die Akteure aus Staat und Zivilgesellschaft auf Augenhöhe begegnen.

  • Das heißt, dass zivilgesellschaftlicher Akteure von Beginn an (also schon bei dermKonzeption und Erarbeitung) einer solchen Nationalen Strategie effektiv mitarbeiten und mitentscheiden dürfen.

6. Transparenz

Eine Nationale Strategie wird nur dann akzeptiert werden, wenn sowohl für die handelnden Akteure als auch die Zielgruppe das Ziel und die Grundsätze erkennbar und nachvollziehbar sind, auf denen diese Präventions- und Deradikalisierungsarbeit aufbaut.

  • Eine Nationale Strategie ist kein „Wünsch-Dir-Was-Katalog“, sondern benennt nüchtern und klar Probleme, nötige Maßnahmen, anfallende Kosten sowie handlungsleitende Ziele.

7. Ganzheitlichkeit

Präventionsarbeit ist eine bunte Mischung aus Integrations-, Bildungs-, Jugend- und sozialpädagogischer (Familien)Sozialarbeit. Und jedes Ressort hat die Aufgabe und seine Möglichkeiten, spezifische Zielgruppen anzusprechen und zu erreichen. Diese Arbeit kann und darf man nicht allein der Innenpolitik überlassen, die primär immer die Arbeit der Sicherheitsbehörden im Blick hat. Eine solche einseitige Fokussierung wäre fatal.

  • Eine Nationale Präventionsstrategie muss den thematischen und institutionellen Querschnittscharakter wiederspiegeln – von der Konzeption bis zur praktischen Umsetzung. Die Federführung für diesen Prozess sollte weder beim Innenministerium noch bei der Innenministerkonferenz liegen.

8. Vorrang von Qualität vor Quantität

Präventions- und Deradikalisierungsarbeit erfordert von den Akteuren ein hohes Maß an Professionalität. Und hier gilt der alte Grundsatz, der leider viel zu lange missachtet wurde: Eine Arbeit kann nur so gut sein, wie die Qualität der Ausbildung der Akteure.

  • Die Nationale Strategie sollte daher auch klare und bundesweit einheitliche Ausbildungsstandards setzen – für alle, also für die zivilgesellschaftlichen UND staatlichen Akteure gleichermaßen.

9. Gleichberechtigte Einbindung des Islam in die Präventionsarbeit

Wer die muslimischen Communities in die Präventionsarbeit gegen den gewaltbereiten Islamismus nicht einbindet, hat schon verloren. Die Politik in Bund und Länder steht hier in der Verantwortung – denn: Mit blumigen Lippenbekenntnissen kommen wir hier nicht weiter.

  • Wir brauchen nicht nur ein flächendeckendes Angebot für einen konfessionellen islamischen Religionsunterricht, sondern auch für eine kompetente muslimische Gefängnisseelsorge – zumindest in den Bundesländern, in denen dies aufgrund der Zahl der dort lebenden Muslim*innen sinnvoll ist. Islamischer Religionsunterricht und muslimische Gefängnisseelsorge sind Ausfluss der verfassungsmäßigen Rechte der hier lebenden Muslim*innen.

Beides wirkt präventiv, weil hier eine seriöse Aufklärung über die religiösen Grundlagen des Islams betreiben wird. Bund und Länder haben diese Fragen aus der Agenda der Deutschen Islamkonferenz gestrichen. Dadurch ging viel Zeit verloren. Es ist höchste Zeit, dass dies sich ändert.

10. Kooperation mit Muslim*innen bei der Deradikalisierungsarbeit

Eine effektive Deradikalisierungsarbeit gegen den gewaltbereiten Islamismus ohne eine enge Zusammenarbeit mit den muslimischen Communities kann nicht funktionieren. Muslimische Gefängnisseelsorge kann zwar faktisch auch deradikalisierend wirken (z.T. sogar präventiv). Sie kann aber eine Deradikalisierungsarbeit nicht ersetzen – denn dies ist weder ihre Aufgabe, noch hat sie die dafür notwendige Kompetenz.

  • Eine Nationale Strategie muss gewährleisten, dass Seelsorger und die Akteure der Deradikalisierungsarbeit voneinander wissen und für die Arbeit des jeweils anderen sensibilisiert werden. Voraussetzung dafür ist aber, dass beide Akteure die Handlungsfelder des jeweils anderen respektieren und diese nicht unterlaufen.
  • Wir brauchen zudem im Rahmen der Nationalen Strategie transparente Regeln, aus denen die Geeignetheit von potentiellen (hier: muslimischen) Kooperationspartnern klar wird. Und wir benötigen einheitliche Grundsätze für alle zivilgesellschaftlichen UND staatlichen Akteure nach denen man in der Deradikalisierungsarbeit ggf. auch mit szenenahen Geistlichen zusammenarbeiten darf.