Aus dem Protokoll vom 30.09.2016
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Sie haben es vorhin schon angesprochen: Wir beraten zwar jetzt das Vereinsgesetz, aber im Kern geht es natürlich um organisierte Kriminalität. Denn wenn kriminelle Organisationen in vereinsrechtlichen Strukturen aufgehen, dann liegt natürlich im Vereinsrecht ein möglicher Hebel, um anzusetzen.
Rauschgiftkriminalität, Menschenhandel, Schutzgelderpressung durch sogenannte Rockerbanden sind Formen schwerster Kriminalität, die wir auf jeden Fall ernst nehmen müssen. Ihre Verbrechen und ihreStrukturen sind in jedem Fall auch der organisierten Kriminalität zuzurechnen. Ich glaube, es ist unbestritten, wenn ich sage, dass wir es hier wirklich mit großen Herausforderungen für die Polizeien in Bund und Ländern zu tun haben. Wir müssen auch davon ausgehen, dass sich dieses Problem weiter sehr dynamisch entwickeln wird. Deswegen ist es natürlich richtig, dass sich der Rechtsstaat auf solche Entwicklungen einstellt. Dazu gehört auch die Frage, wie solche Rockerbanden als Vereine verboten werden können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen finde ich den Hinweis des Bundesrates richtig, dass auf jeden Fall geklärt werden muss, welche Behörde im Einzelfall für ein Vereinsverbot zuständig ist. Dasselbe gilt natürlich auch für das Verbot, Kennzeichen eines verbotenen Vereins öffentlich zu tragen. Auch darum geht es in dieser Debatte, denn die bisherige Regelung hat nicht in jedem Fall dazu geführt, dass verbotene Kennzeichen, wie zum Beispiel die Kutten von Rockerbanden, nicht mehr getragen werden durften.
Nur darf man sich natürlich auch nichts vormachen: Auch wenn Rockerbanden oder solche Vereine verboten werden und das Tragen solcher Abzeichen künftig umfassender verboten werden kann, heißt das nicht, dass solche Banden dann nicht mehr da sind.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Uli Grötsch (SPD): Sehr richtig!)
Natürlich können wir es nicht hinnehmen, dass Mitglieder von Rockerbanden oder entsprechender Vereinigungen durch ihr Auftreten mit solchen Abzeichen und Symbolen, mit ihren Kutten in der Öffentlichkeit Angst und Schrecken verbreiten. Schließlich ist es nicht zuletzt eine Lehre aus der deutschen Geschichte, dass wir einschüchternde Uniformierungen und Abzeichen ernst nehmen und aufs Schärfste ablehnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gunkel (SPD))
Wir müssen uns darauf habe ich vorhin schon hingewiesen auf jeden Fall darüber im Klaren sein, dass die Gefahren, die von solchen Gruppen und ihren Mitgliedern ausgehen, durch das vorliegende Gesetz leider nicht geringer werden. Deswegen liegt in einem möglichen Erfolg eines Verbotes solcher Abzeichen vielleicht auch die größte Gefahr: nämlich dass wir, weil wir sie nicht mehr sehen können, vergessen, dass sie da sind. Diese Gefahr scheint mir nicht allzu klein zu sein, wenn man bedenkt, wie lange es gedauert hat, bis der Rechtsterrorismus als das erkannt wurde, was er ist, und wie groß die Zahl der Opfer ist. Wir alle wissen, wie viel Kraft der Kampf gegen die Verdrängung dieser schlimmen Wahrheit braucht und welche Aufklärungsdefizite und Wissenslücken damit bis heute verbunden sind. Denn viele Menschen glauben, nur weil sie keine Männer mehr mit Glatzen und Springerstiefeln auf den Straßen sehen, dass es kaum noch Neonazis gibt. Aber das ist ein Trugschluss.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Auch im Bereich der organisierten Kriminalität bestehen sehr große Wissenslücken. Ich persönlich habe den Eindruck, dass diesem Thema nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet wird bzw. dass wir uns damit nicht ernsthaft genug auseinandersetzen. Wir müssen meines Erachtens dringend die nötigen Rahmenbedingungen schaffen, damit dieser wichtige Teil der Polizeiarbeit entsprechend gestärkt wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Kollege Grötsch, Sie haben darauf hingewiesen: Eigentlich wissen wir noch viel zu wenig über Interaktionen zwischen Rockerbanden und der international organisierten Kriminalität oder der rechten Szene. Das ist ja auch eine Frage, mit der wir uns im NSU-Untersuchungsausschuss auseinandersetzen: Welche Bezüge gibt es eigentlich? Das könnte zum Beispiel auch den illegalen Waffenhandel betreffen.
Es gibt viele offene Fragen in diesem Bereich, zum Beispiel die Frage: Rüsten Rockerbanden auf? Gibt es Verbindungen in andere Szenen hinein? Wie sind eigentlich die internationalen Zusammenhänge? Gibt es Überschneidungen mit rechtsextremistischen Strukturen? Es wäre gut, wenn die Bundesregierung, wenn das Bundesinnenministerium die Öffentlichkeit und uns hier im Parlament über solche Entwicklungen umfassender informieren würde, damit wir sehen, welche Handlungsbedarfe es über Symbolverbote hinaus noch gibt.
Herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Wolfgang Gunkel (SPD))