Auszug aus der Niederschrift vom 16.01.2020
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor ungefähr zwei Monaten hatten wir hier schon einmal eine Aktuelle Stunde zum Thema Hassrede und Hasskriminalität. Anlass waren damals unter anderem die Morddrohungen gegen zwei Mitglieder des Deutschen Bundestages. Gestern wurde unser Kollege Dr. Karamba Diaby, der gleich noch sprechen wird, durch Schüsse auf sein Bürgerbüro Opfer eines perfiden Einschüchterungsversuchs. Solche Angriffe sind direkte Angriffe auf unsere Demokratie, und dem müssen wir uns entschlossen entgegenstellen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der AfD)
Aber Hass und Gewalt treffen vor allem diejenigen, die sich vor Ort, in den Kommunen für das Gemeinwohl engagieren. Ich möchte dabei auch an den schrecklichen Mord an Walter Lübcke und an die anderen Anschlagsversuche gegen Henriette Reker und weitere Personen erinnern. Denn eines ist ganz klar: Es ging bei all diesen Taten darum, ein Exempel zu statuieren. Wer sich wahrnehmbar für einen humanitären, menschenrechtsorientierten Umgang mit Geflüchteten ausspricht, der muss mit dem Schlimmsten rechnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen uns davon nicht einschüchtern lassen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Wir, die Fraktionen des Verfassungsbogens von der Linken bis hin zur CDU/CSU, müssen zusammenstehen und alles tun, um engagierte Menschen in der Zivilgesellschaft, in der Kommunalpolitik, in den Verwaltungen und Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, besser zu schützen, und das ist bitter nötig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Laut einer Umfrage des Magazins „Kommunal“ vom Juni letzten Jahres haben 40 Prozent der Rathäuser schon mit Stalking, Beschimpfungen und Drohungen zu tun gehabt. In jeder zwölften Kommune wurden entweder die Bürgermeister, Verwaltungsmitarbeiter oder Mitglieder des Rates angegriffen. Das sind unhaltbare Zustände. Die Kommunalpolitik, das zivilgesellschaftliche Engagement in den Regionen sind das Rückgrat unserer Demokratie.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Eines ist dabei auch klar: Nötigung ist Nötigung, Drohung ist Drohung, Gewalt ist Gewalt, und Mord ist Mord, egal aus welchen politischen Motiven heraus sie begangen oder wie auch immer sie begründet werden. Das müssen wir auch so klar benennen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN und der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP))
Die Zahlen aus der genannten Umfrage sagen uns aber auch, dass die Welle aus Hass und Gewalt zu einem großen Teil rechtsextrem motiviert ist. Über 40 Prozent der Anfeindungen und Taten stehen eindeutig im Zusammenhang mit flüchtlingsfeindlichen Motiven; das ist kein Zufall. Rechtsextreme Strategien und Kampagnen mit ihren Resonanzböden im Internet und auch in den Parlamenten wollen diese Verrohung. Sie wollen diese Gewalt. Aus Worten sollen Taten werden. Es soll ein Klima der Verunsicherung ins Land getragen werden, das eben diejenigen zermürbt, die sich positiv für unsere Gesellschaft engagieren: Menschen wie der Polizeipräsident von Oldenburg, der dem braunen Geist in der AfD mit klarer rechtsstaatlicher Kante begegnet, oder auch Menschen wie der ehemalige Präsident des Feuerwehrverbands, Hartmut Ziebs, der vor der rechten Gefahr gewarnt hat. Solche Menschen werden angefeindet und erhalten sogar Morddrohungen. Das darf nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Diese Menschen haben unseren Dank und unseren Respekt verdient.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)
Daher ist es richtig, dass diese Aktuelle Stunde auch Berufsgruppen wie Rettungskräfte und die Polizei zum Thema hat.
Wir dürfen allerdings auch andere Berufsgruppen und Personenkreise nicht vergessen. Was ist mit den Sozialarbeitern, was ist mit den Lehrern, was ist mit den Menschen, die sich für Minderheiten einsetzen, in den Kirchen, Vereinen und Initiativen? Diese Aufzählung ließe sich mühelos fortsetzen. All diese Menschen brauchen ganz dringend ein besseres Schutzniveau, und politische Maßnahmen müssen sich eben auch daran messen lassen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb werden wir uns Ihre Vorschläge, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wenn sie denn mal konkret auf dem Tisch liegen, auch ganz genau anschauen. Bei manchen Dingen schießen Sie nämlich auch meilenweit am Ziel vorbei. So wäre zum Beispiel die Klarnamenpflicht doch das genaue Gegenteil dessen, was von Hass und Hetze Verfolgte brauchen.
Was wir stattdessen brauchen, ist eine echte Reform zum Beispiel des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, sind ein verändertes Melderecht und damit ein viel besserer Schutz auch von Privatadressen. Wir brauchen eine Stärkung der Extremismusprävention und Demokratieförderung vor Ort. Es muss endlich Schluss damit sein, dass über allen wichtigen Initiativen das Damoklesschwert der Mittelstreichung schwebt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Außerdem brauchen wir endlich eine Taskforce Rechtsextremismus beim Bundesinnenministerium als Anlaufstelle für die vielen 10 000 Menschen, die auf sogenannten Feindeslisten stehen, die im Alltag bedroht werden, die ganz dringend unseren Schutz brauchen, weil sie sich anders nicht helfen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die vielen engagierten Menschen in unserer Gesellschaft erwarten, dass wir dem Hass, den Einschüchterungen, den Drohungen und der Gewalt entschieden und vor allen Dingen auch wirksam begegnen. Als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen treten wir dafür ein, die konkreten Vorschläge in einem guten, konsensorientierten Geist zu diskutieren. Lassen Sie uns das bitte gemeinsam tun und damit auch glaubwürdig für einen anderen Stil der Auseinandersetzung in unserer Gesellschaft werben.
Herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)