
Zum Antrag der Fraktion DIE LINKE
Aus dem Protokoll vom 19.06.2015:
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Zu Beginn dieser Wahlperiode haben wir mit allen vier Fraktionen hier einen Antrag zu den Konsequenzen aus dem NSU-Terror beschlossen und darin ausdrücklich eine Fehlerkultur bei den Sicherheitsbehörden angemahnt. Doch leider, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, fehlt bis jetzt jegliche gesetzgeberische Initiative, um die institutionellen Voraussetzungen für das Entstehen einer solchen Fehlerkultur zu schaffen, zumindest an den Stellen, an denen der Bund in der Verantwortung steht. Dabei könnte man diese Voraussetzungen durch die Einrichtung der Stelle eines unabhängigen Polizeibeauftragten schaffen.
Herr Kollege Baumann, Sie haben diese Forderung damit zurückgewiesen, dass das Ausdruck einer Misstrauenskultur wäre. Ich frage mich allen Ernstes: Mit dem Wehrbeauftragten haben Sie doch auch nicht die geringsten Probleme; oder darf ich Ihrer Zustimmung entnehmen, dass Sie den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr misstrauen? Ich glaube nicht, dass das der Fall ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Stelle eines unabhängigen Polizeibeauftragten haben wir Grüne, unterstützt von den Linken, bereits in zwei Haushaltsberatungen beantragt. Dieser Forderung haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, stets die kalte Schulter gezeigt. Von Ihnen hieß es immer: Wozu brauchen wir denn noch einen Beauftragten? Er sei doch ohnehin nur für die Polizeibehörden des Bundes zuständig. Ja, und genau in diesen Zuständigkeitsbereich fallen die skandalösen Vorfälle bei der Bundespolizeidirektion Hannover, die jetzt bekannt geworden sind. Dort hat es in mindestens einer Dienstgruppe über Jahre hinweg eine scheinbar völlig undurchdringliche Struktur mit einem informellen Machtgefüge des Sich-gegenseitig-Schützens und des Schweigens gegeben. Folter, Nötigung und sogar Vergewaltigung stehen als Vorwürfe im Raum. Diese schlimmen Vorfälle auch das will ich hier in aller Deutlichkeit sagen betreffen selbstverständlich nicht die gesamte Polizei; aber weil solche Vorwürfe eben nicht nur in Hannover, sondern auch an anderer Stelle leider immer wieder auftauchen, müssen endlich Konsequenzen gezogen werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Einem Polizeibeauftragten hier beim Deutschen Bundestag könnten sowohl Bürgerinnen und Bürger als auch Beamtinnen und Beamte auf Wunsch anonym Hinweise geben. Das heißt, keiner, der hier sein Herz ausschüttet, müsste am Ende Angst davor haben, von den Kolleginnen und Kollegen als Nestbeschmutzer diffamiert zu werden. Hierin liegt der entscheidende Schwachpunkt beim sogenannten Vertrauensbüro, das Bundespolizeipräsident Romann jetzt als schnelle Konsequenz aus dem Skandal in Hannover präsentiert hat. Denn dieses Vertrauensbüro ist Teil der Polizeihierarchie und natürlich auch dem Legalitätsprinzip verpflichtet, strafrechtlich relevante Sachverhalte zu verfolgen. Das betrifft nicht nur die Beamten, die sich strafrechtlich relevant im Sinne der Vorfälle, die ich eben geschildert habe, verhalten haben, sondern auch die Beamten, die solche Vorfälle nicht sofort melden, sondern vielleicht zeitlich verzögert. Denn dann muss diese Vertrauensstelle sofort wegen Strafvereitelung ermitteln. Im Klartext: Das bringt überhaupt nichts. Solche Vorgänge wie in Hannover werden auch zukünftig viel zu spät bekannt oder vielleicht nur durch puren Zufall.
Leider ist der Antrag von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, bei der Frage der Unabhängigkeit sehr ungenau. Sie sagen, eine solche Stelle müsse räumlich von den Polizeidienststellen getrennt arbeiten und Mitarbeiter dürften in keinem institutionellen oder hierarchischen Verhältnis zum betroffenen Beamten stehen. Das reicht meiner Ansicht nach nicht aus.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen eine völlig autonome Stelle, am besten hier beim Parlament;
(Günter Baumann (CDU/CSU): Petitionsausschuss!)
denn es geht auch um die Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle. Die Unabhängigkeit ist ein zentraler und unverzichtbarer Bestandteil eines Polizeibeauftragten. Leider bleiben Sie mit der Forderung bei einer Beschwerdestelle stehen. Wir brauchen aber keinen Kummerkasten – entschuldigen Sie, wenn ich das so flapsig sage -, sondern ein echtes Rad im Getriebe der Sicherheitsarchitektur.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es ist natürlich gut, dass sich die Linken mit uns auf den Weg machen. Die zentrale Frage ist jetzt: Wo steht die SPD, wo stehen CDU/CSU? Der Vorschlag für einen Polizeibeauftragten trifft auf äußerst positive Resonanz, sowohl bei Bürgern als auch bei Experten jeglicher Couleur und auch bei immer mehr Polizeibeamten. Auch der ehemalige Wehrbeauftragte und Sozialdemokrat Reinhold Robbe, der nun nicht gerade bekannt dafür ist, ein ausgewiesener Grünenversteher zu sein, sagt: Wir brauchen einen unabhängigen Polizeibeauftragten beim Deutschen Bundestag. – Ich finde, das kann Sie jetzt nicht unbeeindruckt lassen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, geben Sie sich einen Ruck. Packen Sie endlich dieses wichtige Reformwerk mit uns gemeinsam an.
Herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)