Erste Parlamentarische Geschäftsführerin | Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Haushaltsdebatte 2020

Niederschrift vom 1. Oktober 2020

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Haushaltsplan des Innenministeriums sagt wirklich viel über Ihre aktuelle Innenpolitik aus: 18,3 Milliarden Euro, Herr Minister. Da ist ganz viel Luft – nach oben sowieso, aber leider eben auch in Ihren Buchungen. Jährlich pumpen Sie die Zahlen auf nach dem Motto: Der Rest erledigt sich irgendwie von selbst. – So könnte man ungefähr sagen: „Das bisschen Haushalt macht sich von allein“, sagt der Horst. – Ja, aber das stimmt leider nicht, Herr Minister.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): War aber lustig!)

Ihr alljährliches Spiel mit Luftbuchungen – darauf hat der Kollege Meyer eben hingewiesen – schadet dem Ruf der Innenpolitik, von der sich die Bürgerinnen und Bürger zu Recht ein Höchstmaß an Seriosität erwarten. Die Menschen wollen, dass Sie ganz konkret Antworten auf die Fragestellungen der Gegenwart geben, zum Beispiel beim Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Dazu findet sich auf den ersten Blick erst einmal nicht wahnsinnig viel in Ihrem Haushalt. Wir wissen alle, dass rechtsextreme Strukturen über Jahrzehnte nicht richtig analysiert worden sind, Anschläge wurden reflexhaft Einzeltätern zugerechnet, und zwar trotz der Erfahrungen mit dem NSU-Komplex.

(Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, genau!)

Nun scheint sich in diesem Bereich im Haushalt zaghaft etwas zu tun, vor allen Dingen beim BKA; aber das darf eben nicht in Ansätzen stecken bleiben. Wir müssen rechtsextreme Strukturen besser analysieren, um sie nachhaltig zu zerschlagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Und: Wir dürfen eben auch nicht die Augen vor verfassungsfeindlichen Tendenzen innerhalb unserer Sicherheitsbehörden verschließen. Da verstehe ich nicht, Herr Seehofer, warum Sie weiterhin eine wissenschaftliche Analyse in diesem Bereich blockieren, obwohl quasi im Wochentakt neue Fälle an die Oberfläche gespült werden. Wie man eine solche Wissenschaftsfeindlichkeit an den Tag legen kann, ist mir wirklich schleierhaft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Damit schaden Sie vor allen den vielen Beamtinnen und Beamten, die mit beiden Beinen wirklich fest auf dem Boden unseres Grundgesetzes stehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden eine solche Studie im Haushaltsverfahren beantragen, um das Ausmaß, aber auch die Ursachen verfassungsfeindlicher Tendenzen in den Sicherheitsbehörden wissenschaftlich untersuchen zu lassen. Liebe SPD, wir rechnen nach all euren Ankündigungen wirklich fest damit, dass ihr uns in dieser wichtigen Frage eben nicht hängen lasst, sondern ganz klar zeigt: Wir brauchen eine solche wissenschaftliche Studie, und zwar jetzt. Die Fakten müssen auf den Tisch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Es ist doch auch ein völlig falsches Verständnis von Wertschätzung, wenn man sagt: Liebe Polizei, weil wir euch so toll finden, schauen wir nicht ganz so genau hin, wenn mal irgendetwas nicht richtig läuft. – Nein, das ist Nachgiebigkeit gegenüber den Nestbeschmutzern, aber nicht Wertschätzung für die Polizei. Wenn es Ihnen bei diesem Thema nicht nur um Lippenbekenntnisse, sondern um tatsächliche Wertschätzung geht, meine Damen und Herren, dann sollten Sie mal konkret werden: bei den Arbeitsbedingungen, bei der Gewährleistung professioneller Hilfe in Stresssituationen, aber eben auch bei der Ruhegehaltfähigkeit der Polizeizulage, die wir auch in diesem Jahr wieder beantragen werden. Denn da, wo es konkret wird, tun Sie nichts.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und überhaupt: die Personalpolitik. Seit einigen Jahren versuchen Sie, den Stellenabbau, der jahrzehntelang stattgefunden hat, durch die Schaffung weiterer Stellenaufwüchse zu kaschieren. Wir haben dem wirklich immer zugestimmt, vor allen Dingen in der Hoffnung, dass Sie mal eine Idee entwickeln, wie Sie die vielen neuen Stellen tatsächlich mit Menschen besetzen können. Doch das ist bisher wirklich ein großer Flop. Über 10 000 offene Stellen bei Bundeskriminalamt und Bundespolizei, und es fehlt jeder realistische Ansatz, um diese Stellen zu besetzen: keine Ausbildungsoffensive, gar nichts. Ihre Personalpolitik ist pure Augenwischerei, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Beim Thema Migration und Integration hingegen, da investieren Sie ja noch nicht einmal auf dem Papier spürbar etwas. Beim BAMF wird ja sogar noch gekürzt, und dabei wissen Sie sehr genau, dass „Wir schaffen das!“ eben nicht reicht, wenn man das nicht auch mit konkreten Maßnahmen unterfüttert.

Dann ist da noch die gewissermaßen vergessene Sicherheitsbehörde – so will ich sie mal nennen -: das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Sowohl die Coronapandemie als auch die unmittelbaren Folgen des Klimawandels machen den Katastrophenschutz zu einem zentralen Sicherheitsthema.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Aber ein Strukturwandel auf Bundesebene wurde in den letzten Jahren völlig verschlafen. Und da ist es nicht hilfreich, Herr Minister, wenn Sie nach den Ergebnissen des Warntages den Präsidenten des BBK vor die Tür setzen, dessen Behörde Sie seit Jahren stiefmütterlich behandeln und nie unterstützt haben.

(Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr richtig!)

Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Herrn Schuster als neuem BBK-Präsidenten. Aber ich bin auch sehr gespannt, ob über diesen Wechsel hinaus auch endlich mal konkrete Konzepte umgesetzt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Wir brauchen im Bund einen handlungsfähigen Bevölkerungs- und Katastrophenschutz mit einer Zentralstellenkompetenz, wie sie das BKA bei der Polizei hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir werden uns intensiv in diese Haushaltsberatungen einbringen; das sind Sie ja auch so von uns gewohnt.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das finde ich auch gut!)

Wir hoffen, dass auch Sie beratungsoffen sind. Denn es geht um nichts weniger als um die Sicherheit und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU))