Erste Parlamentarische Geschäftsführerin | Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rede zur Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes

Irene Mihalic im Plenum des Bundestages

Aus dem Protokoll vom 24.04.2015:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor drei Jahren hat die Bundeskanzlerin den Familien der NSU-Opfer versprochen, alle zuständigen Behörden in Bund und Ländern würden mit Hochdruck an der Aufklärung arbeiten. Heute wissen wir, wie dieser Hochdruck aussieht. Fast jeden Tag tauchen neue Fragen und Widersprüche auf, aber nicht etwa weil sie von den Sicherheitsbehörden aufgedeckt wurden, sondern weil sie durch Untersuchungsausschüsse und den unablässigen Einsatz von zivilgesellschaftlichen Initiativen, Journalisten, Wissenschaftlern und Vertretern der Nebenklage im Münchener NSU-Prozess aufgedeckt werden. Ihnen allen kann man gar nicht genug danken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber nicht nur bei der Aufklärung tritt die Bundesregierung auf der Stelle. Auch bei den Konsequenzen aus dem NSU-Skandal geht es einfach nicht voran. Deshalb waren wir alle sehr gespannt auf diese große Verfassungsschutzreform, die uns angekündigt wurde. Wir haben ja eigentlich nicht zu hoffen gewagt, dass Sie tatsächlich eine grundsätzliche Zäsur und einen Neustart wagen, so wie wir Grüne uns das eigentlich immer vorgestellt haben. Aber ein paar echte Reformanstöße hätte ich nach all den Erkenntnissen doch schon erwartet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN  Tankred Schipanski (CDU/CSU): Das steht aber nicht in Ihrem Antrag!)

Einer Ihrer wichtigsten Punkte ist die Stärkung der Zentralstellenfunktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Was Sie dabei von den Reformen in den Ländern halten, haben Sie schon deutlich gemacht  das machen Sie auch mit dem Gesetzentwurf allzu deutlich , nämlich gar nichts. Jedenfalls erschließt sich mir nicht, wie Sie die Länder für Ihren Ansatz gewinnen wollen. Inhaltlich finde ich es grundsätzlich richtig, dass der Bund versucht, das Handeln aller Verfassungsschutzämter, so gut es geht, zu koordinieren;

(Tankred Schipanski (CDU/CSU): Sehr richtig! Sehr richtig! Gut erkannt!)

denn der mangelnde Informationsaustausch war ja eines der zentralen Probleme beim NSU. Aber wenn ich nun in Gesprächen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz höre, dass zum Beispiel in Sachen V-Leute-Register  auch einer der Reformschritte  nicht vorgesehen ist, die Klarnamen der V-Leute zentral zu erfassen, um auszuschließen, dass diese in den Ländern oder beim Bund doppelt abkassieren, und dass es bei diesem Register eigentlich nur darum geht, Quellenlücken zu schließen, dann muss ich ganz klar feststellen: Ihnen fehlt dabei jegliches Problembewusstsein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN  Tankred Schipanski (CDU/CSU): Da müssen Sie genauer zuhören!)

Denn das Problem des V-Leute-Einsatzes rund um den NSU war ja nicht etwa die mangelnde Quellendichte  V-Leute gab es ja reichlich , sondern, dass dieser völlig aus dem Ruder gelaufen ist. Nur daraus ziehen Sie keinerlei Konsequenzen.

(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Herr Lischka, als Sie sich mit Frau Högl im Januar für eine echte Reform des Verfassungsschutzes ausgesprochen haben, hatte man noch etwas Anlass zur Hoffnung. Sie haben damals in Ihrem Papier immerhin ein paar ganz klare Kriterien für den V-Leute-Einsatz formuliert. Da Sie diese Regierung mittragen, habe ich gehofft, dass Sie die Erarbeitung dieses Gesetzentwurfs entsprechend beeinflussen werden. Doch offensichtlich hat sich der Bundesinnenminister für Ihr Papier überhaupt nicht interessiert; denn Regelungen für die Einsatzdauer von V-Leuten findet man im Gesetzentwurf zum Beispiel nicht. Kriterien zur Führung von V-Leuten?  Fehlanzeige! Regeln, die wirksam verhindern, dass schwere Straftäter eingesetzt werden?  Fehlanzeige! Denn im Zweifelsfall entscheidet eben der Behördenleiter, und es gilt auch nur grundsätzlich. Herr Mayer, auch wenn Sie hier gebetsmühlenartig wiederholen, wie „grundsätzlich“ zu verstehen ist: Es steht so nicht im Gesetz, und das ist der Fehler.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Da muss ich einfach feststellen: Die Bundesregierung hat offensichtlich gar nichts aus den Fehlern gelernt, die bei den Piattos und Tino Brandts dieser Welt sowie bei anderen V-Leuten gemacht wurden, und nicht verstanden, dass der Staat dadurch rechtsextreme Strukturen mindestens mitfinanziert und somit aufgebaut hat. Allen Kolleginnen und Kollegen hier im Haus, die intensiv an der NSU-Aufklärung mitgearbeitet haben und das noch heute tun, muss es doch in der Seele wehtun, dass die Bundesregierung an diesem Problem so völlig vorbeiläuft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tankred Schipanski (CDU/CSU): Ihr Antrag!)

Deshalb bitte ich Sie dringend, jetzt im Gesetzgebungsverfahren nicht lockerzulassen. Lassen Sie sich mit diesem Gesetzentwurf nicht abspeisen! Sorgen Sie mit uns gemeinsam dafür, dass eine echte Reform des Verfassungsschutzes auf den Weg gebracht wird.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)