Neustart beim Verfassungsschutz
Seit Wochen bestimmt das Thema Verfassungsschutz die innenpolitische Agenda. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) Hans-Georg-Maaßen persönlich wie auch die von ihm geleitete Behörde sieht sich mit einer immer länger werdenden Liste von Vorwürfen konfrontiert:
- Es ist der Eindruck entstanden, dass Maaßen, Politikerinnen und Politiker der AfD in diversen Treffen politisch mehr als andere Parteivertreterinnen und -vertreter beraten hat.
- Seit Monaten schwelt eine Debatte um die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz, die mehrere Landesämter für Verfassungsschutz befürworten, während das BfV dies trotz des immer stärker nach außen getragenen Zusammenschlusses von AfD und Rechtsextremen ablehnt. Es steht die Frage im Raum, ob die ablehnende Haltung des BfVs in irgendeinem Zusammenhang mit den Gesprächen von Präsident Maaßen mit Vertretern der AfD stehen könnte.
- Es wird dem BfV vorgeworfen, Informationen über die Existenz eines V-Mannes im direkten Umfeld des Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri vor der Öffentlichkeit verschwiegen und sogar gezielt unterdrückt zu haben und dafür anwaltliche Drohbriefe an Journalistinnen und Journalisten verschickt zu haben.
- Nach den rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz stellte Maaßen öffentlich ohne Nennung von Beweisen die Echtheit von Videos, die laut diverser fundierter unabhängiger Analysen Angriffe auf vermeintlich Nicht-Deutsche durch Rechtsradikale und Rassisten in Chemnitz zeigen, in Zweifel, und behauptete, bei den Medienberichten habe es sich womöglich um „gezielte Falschinformationen“ gehandelt.
Diese Vorwürfe gegenüber dem BfV-Präsidenten wiegen schwer. Und keiner davon ist bislang aufgeklärt und oder gar widerlegt. Das schadet dem Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern in die Sicherheitsbehörden und damit unserem Rechtsstaat und unserer Demokratie als Ganzes. Das Amt und dessen Leitung ist längst kein Garant mehr für die Sicherheit Deutschlands, sondern stellt ein weiteres Risiko dar. Wir wollen, dass Bundesinnenminister Seehofer und BfV-Präsident Maaßen im Innenausschuss des Bundestages Rede und Antwort stehen.
Neben einem personellen Neustart braucht es endlich eine strukturelle Reform des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das schon seit geraumer Zeit ein gefährliches Eigenleben entwickelt hat. Es mehren sich die Fälle, in denen das BfV reale Sicherheitsgefahren verkennt, darüber dem Bundestag nicht oder unwahr berichtetet. Und Bundesinnenminister Seehofer schreitet einfach nicht ein. Angesichts terroristischer Bedrohungen und einer immer stärkeren internationalen Vernetzung derjenigen, die unsere Freiheit bedrohen, brauchen wir zuverlässig arbeitende, der Rechtsstaatlichkeit verpflichtete Nachrichtendienste. Ihre Arbeit muss von der Bundesregierung, aber vor allem auch dem Parlament, effektiv kontrolliert werden.
Verfassungsschutzpräsident darf nicht politisch mitmischen
Der Präsident des Verfassungsschutzes ist Behördenleiter – und kein Politiker! Er wird nicht demokratisch gewählt, hat kein politisches Mandat inne. Es verbietet sich daher, dass Herr Maaßen sich in der geschehenen Art und Weise politisch betätigt und gezielt Verschwörungstheorien und rechte Programmatik fördert.
Wenn Herr Maaßen solche Behauptungen aufstellt, muss er sie zweifelsfrei und sofort belegen. Alles andere ist unverantwortlich und pure politische Agitation. Maaßen hat jedoch schlicht Behauptungen in den Raum gestellt und keine belastbaren Erkenntnisse für diese geliefert. Mit seinen unpräzisen Aussagen hinterlässt er den Eindruck, er wolle die Vorfälle in Chemnitz herunterspielen und vom Problem des Rechtsextremismus ablenken. Das ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die dort angegriffen wurden. Die unbelegten Mutmaßungen des Verfassungsschutzpräsidenten stärken Rechtsextremisten den Rücken.
Unter anderem die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hält das Video von einem Übergriff auf einen Migranten in Chemnitz für echt. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich um eine Fälschung handeln könnte.
Vertrauen in Verfassungsschutz endgültig verspielt
Hans-Georg Maaßen ist mit dem Versprechen zum Präsidenten des Bundesamts ernannt worden, nach der NSU-Mordserie verloren gegangenes Vertrauen wieder herzustellen. Aus heutiger Perspektive ist man mit diesem Versprechen und dem eigenem Anspruch gescheitert – und zwar auf ganzer Linie. Von Vertrauen in die Objektivität der Arbeit der Behörde ist man heute weiter entfernt denn je.
Das Agieren des Bundesamtes und seiner Leitung vor und nach dem schrecklichen Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz bleibt dubios. Es erinnert fatal an die Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex. Die Bundesregierung und Kanzlerin Merkel haben rückhaltlose Aufklärung versprochen, auch den Angehörigen der Opfer vom Breitscheidplatz. Statt dieses Versprechen einzulösen, hat man sich die Aussagen von Maaßen, das Bundesamts hätte in dem Fall keinerlei Rolle gespielt und es handele sich allein um eine Angelegenheit der Polizei der Länder, in Bezug auf jede unserer parlamentarischer Nachfragen zu Eigen gemacht. Das rächt sich nun. Denn das Parlament ist über die Existenz von V-Leuten im Umfeld von Anis Amri belogen worden.
Auch brauchen wir endlich Klarheit bezüglich der Frage, ob Hans-Georg Maaßen tatsächlich Presseberichte über V-Leute im Umfeld von Anis Amri anwaltlich unterdrücken ließ und selbst als vertraulich und geheim eingestufte Dokumente immer wieder bewusst durchstach, um die eigene politische Agenda voranzutreiben.
Nicht zuletzt die genauen Hintergründe der Treffen von Maaßen mit Vertreterinnen und Vertretern der AfD bedürfen der weiteren Aufklärung. Die bisherigen Aussagen des BfV-Chefs hierzu waren mehr als dünn.
Verfassungsschutz in Deutschland jetzt neu organisiere
All das macht deutlich: Es braucht endlich eine klare Zäsur und einen echten Neustart beim Verfassungsschutz. Und jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür. Die Bundesregierung muss verlorenes Vertrauen wieder herstellen. Mit einem Behördenchef, der es – statt seine Arbeit zu machen – vorzieht, sich nach Chemnitz zum Sprachrohr rechtsextremer Verschwörungstheorien zu machen, ist ein solcher Neustart nicht denkbar.
Deshalb fordern wir:
- Es muss ein personell und strukturell neues „Bundesamt zur Gefahrenerkennung und Spionageabwehr“ gegründet werden, das mit nachrichtendienstlichen Mitteln klar abgegrenzt von polizeilichen Aufgaben arbeitet.
- Um die Strukturen und genauen Zusammenhänge demokratie- und menschenfeindlicher Bestrebungen analysieren zu können, brauchen wir zudem ein unabhängiges Institut zum Schutz der Verfassung, das durch die wissenschaftlich fundierte Auswertung öffentlich zugänglicher Quellen eine zeitnahe Analyse aktueller Entwicklungen liefert. Die schnelle Mobilisierung in rechten Kreisen zu Chemnitz macht deutlich, wie wichtig dieses Wissen für die Sicherheitsbehörden und die Öffentlichkeit bereits heute ist.
Quelle: Grüne Bundestagsfraktion