Aus dem Protokoll vom 30.Januar 2014
Herr Präsident! Herr Minister! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
„Wir wollen einen Staat, der Freiheit und Sicherheit für die Menschen überall gewährleistet.“ So heißt es in Ihrem Koalitionsvertrag. Doch „Freiheit“ sucht (C) man in Ihrem innenpolitischen Programm leider vergebens, und das ist fatal; denn Sicherheit steht im Dienste der Frei- heit und nicht umgekehrt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Das sind Ihre Worte, Herr Minister de Maizière. Sie selbst haben es vorhin noch einmal in mehreren Zusam- menhängen betont. Selbst in Ihrer ersten Rede als Innen- minister in der Aussprache zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin 2009 haben Sie gesagt, dass die „Frei- heitssicherung der eigentliche Kern der staatlichen Zu- ständigkeit für öffentliche Sicherheit“ ist. Recht haben Sie! Denn Sicherheit ist eben kein vorrangiges Super- grundrecht, auch wenn Ihr Nachfolger und zugleich Vor- gänger im Amt, Hans-Peter Friedrich, sie eigenmächtig dazu auserkoren hat, und Freiheit ist kein Grundrecht zweiter Klasse.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD])
Es kann nicht unsere Pflicht als Opposition sein, im- mer wieder zusammen mit dem Bundesverfassungsge- richt als Korrektiv dafür zu sorgen, dass die Verfas- sungsordnung von Freiheit und Sicherheit wieder ins rechte Lot gebracht wird. Die Wahrung der Verfassung ist die elementarste Aufgabe des Bundesinnenministers.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dass Sicherheit nicht absolut gewährleistet werden (D) kann, das hat uns allen auf sehr grausame Art und Weise die Terrorserie des NSU vor Augen geführt. So etwas darf in unserem Land nie wieder geschehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abge- ordneten der CDU/CSU)
Gerade deshalb ist es höchst bedauerlich, dass die Große Koalition mit ihrer so großen Mehrheit die Steilvorlage der gemeinsamen Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses verschenkt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, von Ihrem 30-Seiten-Sonder- votum – lieber Kollege Hartmann, Sie haben das vorhin noch einmal angesprochen – ist im Koalitionsvertrag rein gar nichts mehr übrig geblieben.
(Beifall des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Das stimmt nicht!)
Löblich ist zwar, dass Ihre Ankündigung, den gemeinsamen Konsens umsetzen zu wollen, darin enthal- ten ist; doch gerade diesen Konsens durchlöchern Sie, indem Sie einzelne Reformpunkte nochmals gesondert aufgreifen. Ich jedenfalls kann Ihnen versichern, dass wir konkrete Schritte einfordern werden, damit Sie we- nigstens Ihre Minimalversprechen auf diesem Gebiet einlösen werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Für die hohen Güter „Freiheit“ und „Sicherheit“ treten tagtäglich Polizistinnen und Polizisten mit großem Engagement ein. Nach 20 Dienstjahren als Polizeibeamtin bin ich persönlich ziemlich erschrocken darüber, wie wenige Ideen Sie für unsere Polizei entwickeln. Ein Weiter-so verdienen weder meine Kolleginnen und Kollegen im Dienst noch die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes. Ja, wo ist denn der Schritt hin zu einer echten Bürgerpolizei, einer Polizei aus Bürgerinnen und Bürgern und für Bürgerinnen und Bürger?
Sie haben vorhin die Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten angesprochen und Solidarität angemahnt, Herr Minister. Aber was ist zum Beispiel mit der Beamtin der Bundespolizei, die sich im Dienst verletzt hat und danach wochenlang auf die Erstattung ihrer Kosten durch die Beihilfe warten muss? Wo ist denn da die Solidarität?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Oder was ist mit dem Ad-hoc-Aufruf des Bundespolizeipräsidiums an Vollzugsbeamte, ihre Dienstzeit zu verlängern? Das ist doch der Offenbarungseid einer fal- schen Personalpolitik!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Als damaliger Bundesinnenminister waren Sie Dienst- herr, Herr de Maizière. Sie tragen die Verantwortung da- für, in den Jahren 2010 und 2011 zu wenige Dienstan- fänger eingestellt zu haben, und das rächt sich jetzt; denn es zeigt sich, dass der Einsatz von Videotechnik, wie Sie in der Koalition ihn ja so favorisieren, die Polizei vor Ort eben nicht ersetzen kann.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Wohl wahr!)
Polizistinnen und Polizisten sind keine Übermenschen. Sie machen natürlich, wie jeder andere in seinem Beruf, auch einmal Fehler. Was wir aber brauchen, ist endlich ein offener und konstruktiver Umgang mit die- sem Fehlverhalten, und dazu bedarf es beispielsweise auch im Bund einer unabhängigen Beschwerdestelle. Diese muss für die Menschen von außen genauso ansprechbar sein wie für die Beamtinnen und Beamten von innen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE])
Der hoch geschätzte und unermüdliche Kämpfer für den verantwortungsvollen und freiheitlichen Rechtsstaat, Winfried Hassemer,
(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Ein Sozialdemokrat!)
der leider kürzlich verstorben ist, hat einmal kritisiert: Eine Schippe Sicherheit passt immer noch in den mit Kontrollen und Sanktionen schon prall gefüllten Sack. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem prall gefüllten Sack darf aber die Freiheit nicht ersticken. Dafür zu (C) sorgen, ist unsere gemeinsame Aufgabe.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)