Rechtslage hinsichtlich der Weitergabe von personenbezogenen Daten im Fall „Edathy“
Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Renate Künast, Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, Britta Haßelmann, Katja Keul, Monika Lazar, Özcan Mutlu, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mit der Kleinen Anfrage wird eine weitere Aufklärung in der Affäre „Edathy“ angestrebt. Aus Sicht der Fragesteller sind auch in den Sitzungen des Innenausschusses des Deutschen Bundestages bisher eine Reihe von Fragen offengeblieben oder zumindest nicht hinreichend präzise und umfassend beantwortet worden.
Dies gilt zunächst für die Rechtsgrundlagen der Datenübermittlung vom Bundeskriminalamt (BKA) an das Bundesministerium des Innern (BMI). Die Bundesregierung hat hier bisher nur pauschal auf ihre verfassungsrechtlich ableitbare Aufsichts- und Kontrollfunktion (Artikel 20, 65, 87 des Grundgesetzes – GG) und einen Erlass verwiesen. Letzterer sieht – ohne vom Wortlaut her eindeutig auch personenbezogene Daten zu erfassen – im hier relevanten Kern vor, dass der nachgeordnete Bereich „unverzüglich“ über „alle Informationen, Erkenntnisse, Vorgänge und Ereignisse von grundsätzlicher politischer Bedeutung“ zu informieren hat. Angesichts der hohen Sensibilität personenbezogener Daten ist diese Auffassung von der Bundesregierung näher zu erläutern. Insbesondere ist zur Frage Stellung zu nehmen, ob diese Auffassung in dieser Pauschalität mit den Grundrechten vereinbar sein kann.
Im Bereich der Datenübermittlung vom Bundesminister des Innern a. D. Dr. Hans-Peter Friedrich an Funktionsträger der SPD fragen die Fragesteller ausdrücklich nicht nach einer strafrechtlichen Bewertung des konkreten Verhaltens des Bundesministers (Fragen 21 bis 25). Diese Bewertung bleibt – gerade auch angesichts der Unschuldsvermutung – einem möglichen Strafverfahren vorbehalten. Die Fragesteller können jedoch in einer Situation wie der vorliegenden nicht darauf verzichten, abstrakt zu klären, welche äußersten – vom Strafrecht markierten – Grenzen die Bundesregierung für Informationsweitergaben der Bundesminister sieht. Speziell für die abweichend konkret auf den Fall bezogene Frage 24 weisen die Fragesteller darauf hin, dass dort – machte sich die Bundesregierung die in Frage stehende Auffassung zu eigen – auch eine Verletzung ihrer (Organ-)Rechte vorliegen könnte.
Den Fragestellern ist bewusst, dass sie mit vielen Fragen eine (rechtliche) Bewertung der Bundesregierung fordern. Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit im Bereich des Interpellationsrechtes bisweilen eine Bewertung verweigert, weil Bewertungen der Bundesregierung offenbar nach ihrer Meinung auch im Rahmen des Interpellationsrechtes nicht zwingenden abgegeben werden müssen. Die Fragesteller weisen daher darauf hin, dass sie diese Auffassung grundsätzlich nicht teilen. Überdies wäre eine Antwortverweigerung hier schlicht politisch nicht tragbar.
Schließlich wird angemerkt, dass die Frist zur Beantwortung (§104 Absatz 2 erster Halbsatz der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages) in vorliegendem Fall nicht ausgeschöpft werden sollte. Der Bundesregierung muss eine unmittelbare Beantwortung der Fragen angesichts ihres aufgrund des langen Vorlaufs zu erwartenden Kenntnisstandes kurzfristig möglich sein. Politisch geboten ist daher, dass sie kurzfristig zur Aufklärung beiträgt und die Fragen zeitnah beantwortet.
Wir fragen die Bundesregierung:
I. Zur Datenübermittlung vom BKA an das BMI
1.Was ist die Rechtsgrundlage für die Übermittlung von personenbezogenen Informationen über Sebastian Edathy aus dem BKA an das BMI?
2.Wie und warum rechtfertigen im Einzelnen die Artikel 20, 65 und 87 GG die Datenweitergabe aus dem BKA an das BMI?
3.Rechtfertigen nach Auffassung der Bundesregierung verfassungsrechtlich hergeleitete „Aufsichts- und Kontrollbefugnisse“ Übermittlungen jedweder personenbezogener Daten zu beliebigen politischen Zwecken aus dem nachgeordneten Bereich an das vorgesetzte Bundesministerium immer dann, wenn der Sachverhalt einen irgendwie gearteten „politischen Bezug“ aufweist?
4.Falls die Frage 3 mit nein beantwortet wird, wie muss dieser Kontroll- und Aufsichtszusammenhang konkret beschaffen sein?
5.Hat das BMI im Fall „Edathy“, nachdem die Information übermittelt war, konkrete fach-, dienst- oder rechtsaufsichtliche Prüfungen des Handelns des BKA im Fall „Edathy“ vorgenommen, und wenn ja, welche?
6.Was genau war der Anlass dafür, dass das BMI (erstmals?) am 8. November 2010 durch den Erlass (WELT am SONNTAG vom 2. März 2014) eine Berichtspflicht für nachgeordnete Behörden zu „wichtigen Ereignissen“ verfügt hat?
Und gehört dazu eine Pflicht, den Vorgang per Vermerk zu dokumentieren?
7.Von welcher Ebene (Bundesminister, Staatsekretär etc.) wurde dieser in Frage 6 thematisierte Erlass veranlasst und/oder gegebenenfalls gebilligt?
8.Ist im Verfahren des in Frage 6 thematisierten Erlasses berücksichtigt worden, dass diese Informationspflicht
●personenbezogene Informationen umfassen kann,
●Schranken aus den Grundrechten (insbesondere dem informationellen Selbstbestimmungsrecht und dem Persönlichkeitsrecht) zu Folge haben kann und
●die Integrität des Strafverfahrens und die Immunität von Abgeordneten (Artikel 46 GG, Nummer 191 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren) berühren kann sowie
●Beschränkungen auf einen engen Personenkreis als Adressat erfordert?
9.Falls die Frage 8 mit ja beantwortet wird, was genau waren die Überlegungen, und warum findet sich dann im Erlass keine Aussage zu personenbezogenen Daten und zu Daten im Zusammenhang mit strafrechtlichen Ermittlungen?
10.Falls die Frage 8 mit nein beantwortet wird, wer trug hierfür die Verantwortung, und was waren die Abwägungsgründe?
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/731
11.Warum wurde dieser Erlass – anders als 1312 andere vergleichbare Verfügungen des BMI (Stand 20. Februar 2014) – nicht in das Informationssystem juris eingespeist?
12.Erwägt die Bundesregierung, diesen Erlass zurückzuziehen?
13.Stimmt die Bundesregierung zu, dass auch bei verfassungsrechtlich fundierten Aufsichts- und Kontrollrechten Schranken für ihre Ausübung insbesondere in Hinblick auf die Grundrechte (siehe auch Frage 8 zweiter Punkt) und/oder die Integrität des Strafverfahrens (vgl. auch § 10 Absatz 2 des Bundeskriminalamtgesetzes: „Zwecke des Strafverfahrens nicht entgegenstehen“) bestehen können?
14.Stimmt die Bundesregierung zu, dass
●es sich bei personenbezogenen Informationen zu Telekommunikationsvorgängen (seien es Inhalts- oder Verkehrsdaten) um in hohem Maße – auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – schutzbedürftige Daten handelt und/oder
●sich die Schutzbedürftigkeit dieser Daten vor der Kenntnisnahme durch dritte Personen (ausgenommen diejenigen Personen, die diese Daten notwendigerweise im Rahmen der Strafverfolgung kennen müssen) in Hinblick auf die Unschuldsvermutung noch erhöht?
15.Spricht nach Auffassung der Bundesregierung nicht insbesondere die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1999 (1 BvR 2226/94; im Folgenden zitiert nach juris) – nach der sogar im Bereich des BND, dessen unmittelbare Funktion die Informationsbeschaffung für die Bundesregierung ist, die Datenweitergabe an die Bundesregierung einen schwerwiegenden Eingriff darstellt (vgl. Rn. 192), der konkrete gesetzliche Eingrenzungen erfordert (vgl. Rn. 258) – dafür, dass in der vorliegenden Konstellation nicht pauschal auf Aufsichts- und Kontrollrechte verwiesen werden darf, sondern spezifische gesetzliche Sicherungen auch für Datenweitergaben an die Bundesregierung erforderlich wären?
16.Falls die Frage 15 mit nein beantwortet wird, warum nicht?
17.Sprechen nach Auffassung der Bundesregierung nicht zumindest rechtspolitisch die Regelungen im Bereich des Bundesnachrichtendienstes (§ 12 des Gesetzes über den Bundesnachrichtendienst – BNDG) und des Bundesverfassungsschutzes (§ 16 des Bundesverfassungsschutzgesetzes – BVerfSchG) dafür, dass spezifische gesetzliche Eingrenzungen auch für Informationsweitergaben personenbezogener Daten vom BKA an das BMI notwendig sein könnten?
18.Falls die Frage 17 mit nein beantwortet wird, warum nicht?
II. Zur Datenübermittlung des BMI an Funktionsträger der SPD
19.Was ist die Rechtsgrundlage für die Übermittlung von personenbezogenen Informationen des Bundesministers des Innern a. D. Dr. Hans-Peter Friedrich an den SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel?
20.Ist der Bundesregierung bekannt (etwa aus Gesprächen der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, sonstiger im Kanzleramt tätiger Personen oder anderen Personals aus dem Bereich der Bundesregierung), mit welcher Zielrichtung der Bundesminister des Innern a. D. Dr. Hans-Peter Friedrich die Information an Funktionsträger der SPD weitergab, und welche war diese gegebenenfalls im Einzelnen?
21.Können Erkenntnisse über eine Person, die nicht öffentlich bekannt sind und die ein Bundesminister in dieser Funktion aus der Aufsichts- und Kontrollfunktion seines Ressorts erlangt hat, ein Geheimnis im Sinne der §§ 203, 353b des Strafgesetzbuchs (StGB) darstellen?
22.Ist ein Bundesminister, der die Informationen, wie in Frage 21 dargestellt, erlangt hat, Amtsträger im Sinne der dort genannten Bestimmungen?
23.Ist aus Sicht der Bundesregierung die Mitteilung der in Frage 21 genannten Informationen an Dritte (auch einzelne herausgehobene Bundestagsabgeordnete oder Parteifunktionäre) in der Regel unbefugt, wenn nicht diejenige Person, die das Geheimnis betrifft, eingewilligt hat oder eine besondere gesetzliche Ermächtigung besteht?
24.Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass das Interpellationsrecht auch deshalb Spontanübermittlungen an einzelne Abgeordnete nicht legalisieren kann, weil dadurch die Gleicheit aller Abgeordneten und Chancengleichheit der politischen Richtungen gefährdet werden würde?
25.Stimmt die Bundesregierung zu, dass eine Gefährdung „wichtige[r] öffentliche[r] Interessen“ im Sinne des § 353b StGB vorliegen kann, wenn eine Information über eine mögliche Strafverfolgung aus dem Bereich der Strafverfolgung (auch Aufsichts- und Kontrollbehörde) an Parteifreunde des möglichen Straftäters weitergegeben wird?
Gilt dies nach Auffassung der Bundesregierung auch, wenn nicht feststeht, ob der Geheimnisbruch im Einzelfall dazu führen könnte, eine Person der Bestrafung zu entziehen (vgl. BGHSt 10, 276, 277)?
26.Wer ist in dem Fall, in dem ein Bundesminister der Bundesregierung Täter eines Delikts nach § 353b Absatz 1 StGB ist, die zuständige Stelle, um die Strafverfolgungsbehörden zur Verfolgung der Tat zu ermächtigen (§ 353b Absatz 4 StGB)?
Berlin, den 28. Februar 2014
Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion