Offene Fragen zu den Ermittlungen des Bundeskriminalamtes im Fall „Edathy“ vor allem unter dem Aspekt der Organisationsabläufe und Personalstrukturen
Kleine Anfrage der Abgeordneten Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Britta Haßelmann, Katja Keul, Renate Künast, Monika Lazar, Özcan Mutlu, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mit der Kleinen Anfrage wird eine weitere Aufklärung in der Affäre „Edathy“ angestrebt. Aus Sicht der Fragesteller sind auch nach den bisherigen tatsächlichen und rechtlichen Erhebungen zweier Sitzungen des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 19. Februar 2014 sowie am 21. Februar 2014 eine Reihe von Fragen offengeblieben oder zumindest nicht hinreichend präzise und umfassend beantwortet worden. Zudem haben sich aufgrund der Darstellungen in den Ausschusssitzungen weitere Fragen ergeben. So haben insbesondere die Ausführungen des Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, eine ganze Reihe neuer Fragen aufgeworfen. Unter anderem muss die lange Auswertungszeit des Projekts „Spade“ von zwei Jahren in einem so brisanten Bereich wie der Kinderpornographie kritisch hinterfragt werden.
Wir fragen die Bundesregierung:
1.Wann erfuhren Beamte des BKA erstmalig von Einzelheiten des Projekts „Spade“, insbesondere von der Anzahl möglicher bundesdeutscher Tatverdächtiger, und wann waren in welchem konkreten Umfang in die kanadischen Ermittlungen auch bundesdeutsche Ermittler mit einbezogen?
2.Zu welchem konkreten Datum Ende Oktober 2011 erfolgte die Übermittlung der sichergestellten Firmendaten der Azov Films durch INTERPOL an das BKA, und bestand die Möglichkeit der Kenntnisnahme der Namen von Verdächtigen durch die bearbeitenden INTERPOL-Mitarbeiter?
3.Kann die Bundesregierung ausschließen, dass bereits zu einem früheren Zeitpunkt als der Ende Oktober 2011 erfolgten Übermittlung der Festplatte an das BKA eine Kenntnisnahme hinsichtlich der Namen von verdächtigten Bundesbürgern durch in das Verfahren involvierte Personen erfolgte?
4.Gab es nach der Hausdurchsuchung bei Sebastian Edathy Presseanfragen beim Bundesministerium des Innern (BMI), beim Bundesminister des Innern, seinen Staatsekretären oder beim BKA direkt, ab wann das BMI, der Bundesinnenminister bzw. seine Staatsekretäre oder das BKA über Ermittlungen gegen Sebastian Edathy informiert waren, und wenn ja, wie wurde auf diese Anfrage daraufhin konkret geantwortet?
5.Hatte das BKA Kenntnis von der Kontaktaufnahme der Firma Azov Films zum Bayerischen Landeskriminalamt (LKA Bayern) im Jahr 2008, so wie im Fernsehmagazin „FAKT“ vom 25. Februar 2014 dargestellt, und wenn ja, warum hat das BKA nicht spätestens bei Übermittlung der Firmendaten der Firma Azov Films im Oktober 2011 auf eine deutliche Forcierung der Ermittlungen gedrängt und entsprechende Schritte eingeleitet?
6.Hat das LKA Bayern die Informationen zu dieser Kontaktaufnahme im Jahr 2008 (vergleiche Frage 5) spätestens dann an das BKA weitergegeben, als das BKA den Landeskriminalämtern die Daten zu „Spade“ weitergeleitet hat, und wenn nicht, ist das im Nachgang kritisch vom BKA beim LKA Bayern vermerkt worden?
7.Enthielten diese Ende Oktober 2011 übermittelten Firmendaten auf der Festplatte sämtliche für die Operation „Spade“ relevanten Ermittlungsansätze einschließlich der für Deutschland relevanten Personen aus der Kundendatei, IP-Logdateien, oder gab es zu irgendeinem anderen, möglicherweise auch bereits früheren Zeitpunkt relevante Datenübermittlungen (auch in Form von Schriftakten) mit Hinweisen zu möglichen Tatverdächtigen durch die kanadische Polizei bzw. INTERPOL?
8.Gab es in Zusammenhang mit der bereits im Mai 2011 erfolgten Sicherstellung der Kundendatei der Firma Azov Films eine Vorabinformation des BKA derjenigen Länder, aus denen die jeweiligen Verdächtigen stammen, und wenn nein, warum nicht?
9.Wurden die aus Kanada übermittelten Ermittlungsansätze zunächst vollständig liegengelassen und in keiner Weise angerührt, oder fand bereits vor dem Juli 2012 eine zumindest „nicht zielgerichtete“ Auswertung und Aufbereitung statt?
Wenn ja, auf welche Weise?
10.War innerhalb des von der kanadischen Polizei übermittelten Datenpakets eine eigene Namensdatei beigefügt, und wenn ja, wie viele konkrete Vor- und Zunamen von den insgesamt 800 bundesdeutschen Tatverdächtigen enthielt diese Datei?
11.War die Datei alphabetisch oder anderweitig sortiert, und enthielt diese Namensdatei auch den Klarnamen „Sebastian Edathy“?
12.Inwiefern werden bei der Sichtung der Datensätze von aus dem Ausland gereichten Datensätzen § 77 Absatz 2 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) sowie Nummer 13a der Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten (RiVASt) berücksichtigt, die beinhaltet, dass, wenn bei „Erledigung eines eingehenden Ersuchens ein Abgeordneter des Deutschen Bundestages […] betroffen [ist …] der obersten Justiz- oder Verwaltungsbehörde vorab zu berichten und deren Äußerung abzuwarten“?
13.Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Auswertung eingereichter Datensätze im Zusammenhang mit Internetkriminalität zeitlich besonders eilig ist, weil andernfalls mögliche weitere Ermittlungen, die an die Kenntnis der IP-Adresse anknüpfen, verhindert werden könnten?
14.Werden die Zugriffe auf die übermittelten Daten durch BKA-Mitarbeiter protokolliert, und wenn nein, warum nicht?
15.Wie viele Mitarbeiter innerhalb des BKA hatten eine Zugriffsmöglichkeit auf die Daten, und wie viele Mitarbeiter hatten konkret Zugriff auf die aus Kanada übermittelten Daten der Operation „Spade“?
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/713
16.Welche Rechtsauffassung besteht bei der Bundesregierung zu der Frage der Notwendigkeit einer Protokollierung des Zugriffes auf entsprechend digital vorliegende Ermittlungsunterlagen, und gibt es einen Vorgang beim behördlichen Datenschutzbeauftragten dazu, bzw. welche Position vertritt dieser zu der Frage?
17.Auf welche Weise erfolgte, unabhängig von der gängigen Vorgehensweise in vergleichbaren Fällen, die konkrete Aufarbeitung der aus der Operation „Spade“ übermittelten Daten und Unterlagen (auf wessen konkrete Anordnung, durch welches Referat, Anzahl der eingesetzten Mitarbeiter, in Zusammenarbeit mit welchen weiteren Stellen – bitte in chronologischer Reihenfolge einzelne Verfahrensschritte aufzeigen), und zu welchem Zeitpunkt (bitte konkretes Datum angeben) wurde dabei erstmalig auf die den Namen „Sebastian Edathy“ enthaltende Datei zugegriffen?
18.Worum handelte es sich bei dem zum Eingang der Daten aus Kanada im BKA bereits laufenden Verfahren „Tornado“, und wie lange hat die Bearbeitung aller ca. 1 000 Tatverdächtigen von der ersten Möglichkeit der Erfassung im BKA bis zur konkreten Aussendung der aufbereiteten Ermittlungsakten an die örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften im Durchschnitt gedauert?
19.Handelt es sich bei den für die Daten aus der Operation „Spade“ vom BKA in Anspruch genommenen zwei Jahren um die im Vergleich mit anderen Fällen der zurückliegenden Jahre typische Dauer der Aufbereitung der Daten von Verdächtigen der Kinderpornographie?
20.Musste das BKA nicht annehmen, dass bei Teilen der insgesamt 800 Tatverdächtigen Gefahr im Verzug war, so dass ein Sofort-Scan der Daten hätte erfolgen müssen, und wenn nein, warum nicht?
21.Hat es Bemühungen der Bundesregierung gegeben, letztlich mit dem Ziel der möglichen Verhinderung möglicher Tathandlungen gegenüber Kindern durch die bislang allein als Verdächtige geführten Personen, prioritäre und primär risikozentrierte Einstufungen und Auswertungen der übermittelten Materialien bereits ab Eingang durchzuführen, und wenn nein, warum nicht?
22.Wann wurde das nach Aussagen des BKA-Präsidenten (vgl. etwa Meldung dpa vom 15. Februar 2014) länger andauernde strukturelle Problem des Umfanges und der daraus resultierenden Dauer von Verfahren der Kinder-pornographie erstmalig mit der zuständigen Fachaufsichtsbehörde Bundesinnenministerium aufgenommen, welche konkreten Schritte hat das BMI daraufhin unternommen, um das Problem zu lösen, und wenn sie keine konkreten Schritte unternommen hat, weshalb nicht?
23.Welche fachaufsichtlichen, politischen, strafprozessualen und kriminalistischen Bewertungen und Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, dass die beim BKA eingehenden Verfahren in Bezug auf kinderpornographische Sachverhalte des Öfteren eine Verfahrensdauer von zwei Jahren bis zur Übermittlung an die zuständigen Staatsanwaltschaften beanspruchen?
24.Worum handelte es sich bei der vom Präsidenten des BKA, Jörg Ziercke, im Innenausschuss des Deutschen Bundestages erwähnten Operation „Downfall“ konkret, und in welcher Weise war diese Operation mitentscheidend dafür, dass es zu weiteren Verzögerungen bei der Bearbeitung der Informationen aus Kanada kam?
25.Inwieweit ist diese Verzögerung mit der Pflicht des BKA nach § 2 Ab- satz 1, 2 Nummer 1 und 2 des Bundeskriminalamtgesetzes, als Zentralstelle bei der Verhütung und Verfolgung von Straftaten mit länderübergreifender, internationaler oder erheblicher Bedeutung alle hierfür erforderlichen Informationen zu sammeln und auszuwerten sowie die Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Länder unverzüglich über die sie betreffenden Informationen und die in Erfahrung gebrachten Zusammenhänge von Straftaten zu unterrichten, vereinbar?
26.Auf welche Weise erfolgte konkret die Abstimmung mit der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main im Hinblick auf die Ergebnisse der Operation „Spade“, und hängen Verzögerungen bei der Bearbeitung letztlich maßgeblich von den bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main verfügbaren personellen Ressourcen ab?
27.Handelt es sich bei der Abstimmung mit der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main um die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT)?
Stand hier zur Diskussion, ob die ZIT als Task Force das Verfahren übernimmt?
28.Gibt es neben den gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich der Übermittlungspraxis von Daten durch das BKA als Zentralstelle an die Landeskriminalämter, wie sie am 2. November 2012 sowie 15. Oktober 2013 im Rahmen der Auswertung der Operation „Spade“ erfolgte, eine interne konkretisierende Vorgabe zur Beachtung des Datenschutzes, darunter insbesondere hinsichtlich des Erforderlichkeitsgrundsatzes?
Wurden die Weitergaben mit dem behördlichen Datenschutzbeauftragten abgestimmt, und wenn nein, warum nicht?
29.Wie ist die Mitarbeiterentwicklung beim BKA in den letzten zehn Jahren (bitte um tabellarische Darstellung nach Fachgebieten und Jahren)?
30.Wie viele Mitarbeiter stehen dem BKA insgesamt und ausschließlich als Sachbearbeiter für die Bearbeitung von Fällen der Kinderpornographie zur Verfügung, und wie hat sich die Zahl dieser Mitarbeiter in den letzten zehn Jahren verändert (bitte um tabellarische Auflistung nach Jahren)?
31.Welche Abteilungen/Referate des BKA waren mit den Informationsabläufen rund um den konkreten Fall „Edathy“ befasst, und um wie viele Mitarbeiter handelte es sich insgesamt?
32.Hat das BKA seit Oktober 2011 gemeldet, den Personalbedarf nicht intern decken zu können?
33.Auf welche Weise werden hausintern ressourcenmäßige Spitzen wie etwa der Eingang von Ermittlungsergebnissen der Operation „Tornado“ oder der Operation „Spade“ durch zusätzliche personelle Maßnahmen bewältigt?
34.Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass personelle Lücken im Bereich des BKA zur Bearbeitung von Fällen der Internetkriminalität, insbesondere der Kinderpornographie, bestehen?
Wenn ja, beabsichtigt die Bundesregierung, personelle Defizite im BKA im Haushalt zu berücksichtigen?
Wenn nein, wieso nicht, obwohl nach Angaben des BKA in der Veröffentlichung „Cybercrime. Bundeslagebild 2012“ folgende Aussage zu finden ist:„Die Zahl der in der PKS erfassten Fälle von Cybercrime, also aller Straftaten, die unter Ausnutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnik oder gegen diese begangen wurden, stieg im Jahr 2012 auf 63.959 Fälle. Dies entspricht einer Steigerung von 8 % gegenüber dem Vorjahr.“?
35.Handelte es sich nach Auffassung der Bundesregierung bei dem am 17. Oktober 2013 erfolgten Anruf des damaligen Parlamentarischen Geschäftsführers der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, Thomas Oppermann, beim Präsidenten des BKA um ein meldepflichtiges Ereignis im Sinne der für das BKA bestehenden Weisungs- und Erlasslage, und wenn nein, weshalb nicht?
36.Werden beim BKA üblicherweise Vermerke über Anrufe, wie den des damaligen Parlamentarischen Geschäftsführers der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, Thomas Oppermann, angelegt?
Wenn nein, warum nicht, und wenn ja, wieso in diesem Fall nicht?
37.Welche rechtlichen Vorgaben gelten für die Verpflichtung der Anfertigung von Vermerken innerhalb des BKA einschließlich des Präsidenten, und hält die Bundesregierung die Nichterstellung eines Vermerkes durch den Präsidenten hinsichtlich des Anrufes durch Thomas Oppermann für mit den bestehenden rechtlichen Vorgaben vereinbar?
38.Wie lautet der konkrete Inhalt des am 17. Oktober 2013 auf Anfrage des Staatssekretärs Klaus-Dieter Fritsche vom BKA für das BMI gefertigten schriftlichen Vermerkes in Sachen Sebastian Edathy?
39.Welche Mitglieder der Bundesregierung und welche ihrer Mitarbeiter erfuhren zu welchem konkreten Zeitpunkt erstmalig von dem Namen Sebastian Edathy im Zusammenhang mit möglichen polizeilichen/staatsanwaltlichen Ermittlungen und auf welchem konkreten Wege?
40.Handelt es sich nach Auffassung der Bundesregierung bei der Information zum Fall „Edathy“ in Gestalt der Meldung des BKA an das BMI nach Erlass- bzw. Weisungslage des Bundeskanzleramtes (bitte genaue Angabe der maßgeblichen Vorgaben machen) zugleich um einen Vorgang von grundsätzlicher politischer Bedeutung, der auch dem Bundeskanzleramt zur Kenntnis zu geben war, und wenn nein, warum nicht?
Berlin, den 28. Februar 2014
Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion