Rechtsextremistischen Tendenzen auch in der Polizei umfassend entgegentreten
Die Innenpolitikerinnen und -politiker der Bundestagsfraktion und der Landtagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen erklären auf ihrem Bund- Länder-Treffen vom 28. Juni 2019:
Wir sind ganz sicher: Die große Mehrheit der Polizeibeamtinnen und –beamten steht fest und mit beiden Beinen auf dem Boden von Grundgesetz und Rechtsstaat. Jedoch besorgt es uns auch im Lichte der aktuellen Entwicklungen zutiefst, wenn wir auch aus den Reihen der Polizei selber hören, dass vermehrt rechtsextreme Tendenzen in den Dienststellen registriert werden. Hinzu kommen die vielen entsprechenden Medienberichte, zum Beispiel über 38 rechtsextremistische Verdachtsfälle bei der hessischen Polizei und Drohbriefe an die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yildiz, unterschrieben mit „NSU 2.0“, die mutmaßlich unterZuhilfenahme von Polizeidaten und eventuell sogar direkt von Polizistinnen und Polizisten verfasst und versendet wurden; außerdem das Bekanntwerden des Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts auf die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat u.a. gegen einen Polizisten in Mecklenburg-Vorpommern und die massiven Funde von Waffen und Munition bei aktuellen wie ehemaligen SEK-Polizisten ebenfalls in Mecklenburg- Vorpommern. Wo Polizistinnen und Polizisten als Träger des staatlichen Gewaltmonopols die freiheitlich demokratische Grundordnung von innen heraus angreifen, ist der demokratische Rechtsstaat in Gefahr. Wir müssen diese Entwicklungen scharfen Auges beobachten, auch um das Vertrauen in die Polizeibehörden zu sichern und in Teilen wieder herzustellen.
Wie fordern daher die Innenminister in Bund und Ländern auf, spätestens bis zur nächsten Innenministerkonferenz ein Konzept vorzulegen, um Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in unseren Polizeibehörden zu begegnen.
Folgende Aspekte soll dieses Konzept umfassen:
1. Wissenschaftliche Analyse zur Häufigkeit verfassungsfeindlicher Einstellungsmuster bei der Polizei einführen
Die einen sprechen von Einzelfällen, die anderen behaupten, es gäbe ein strukturelles Problem. Wir möchten es genau wissen und wollen ein Gesamtbild: Um Klarheit über das reale Ausmaß verfassungsfeindlicher Tendenzen in der Polizei zu bekommen, ist es notwendig, dass wissenschaftlich untersucht wird, wie verbreitet extremistische Einstellungen bei Beamtinnen und Beamten bundesweit sind. Wir fordern daher die Innenministerkonferenz auf, eine dementsprechende regelmäßig fortlaufende wissenschaftliche Studie einzuführen. Dabei kann auf die von der Polizei-Führungsakademie (heute DHPol) in den 1990er Jahren in Auftrag gegebenen Studien als Vorbild zurückgegriffen werden.
2. Verfassungsfeindliche Verstöße erfassen
Transparenz geht mit Vertrauen einher. Verstöße, wie z.B. menschenfeindliche Äußerungen in Chatgruppen, das Tragen extremistischer Abzeichen an der Uniform oder Hetze gegen Geflüchtete gegenüber Kolleginnen und Kollegen sollten deshalb kontinuierlich erfasst und dokumentiert werden. Wir fordern die Innenminister auf, absolute Zahlen sowohl von Extremismus-Verdachtsfällen wie auch von Disziplinar- und Strafverfahren im Kontext Extremismus bei den Polizeien von Bund und Ländern statistisch zu erfassen und zu veröffentlichen. Auch das Dunkelfeld muss bundesweit aufgehellt werden.
3. Polizeibeauftragte in Bund und Ländern schaffen
Wir fordern die Schaffung von unabhängigen Polizeibeauftragten beim Deutschen Bundestag und auch in den Landtagen, wie bereits in einigen Bundesländern geschehen. Die neu zu schaffenden Stellen sollen Menschen innerhalb und außerhalb der Polizei wie auch Bürger- und Menschenrechtsorganisationen als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Sie sollen die Möglichkeit bieten, Missstände, strukturelle Mängel und Fehler im Hinblick auf die Arbeit der Polizei mitzuteilen, ohne Sanktionen oder berufliche Nachteile fürchten zu müssen.
4. Durch nachhaltige Personalpolitik Bürgernähe der Polizei weiter gewährleisten
Über Jahre hinweg wurde das Personal bei Bundes- und Landespolizeien in unverantwortlicher Weise reduziert. Der Rückzug des Staates hat sich auch im Bereich der Sicherheitsbehörden negativ bemerkbar gemacht. Wir begrüßen ausdrücklich, dass dieser Negativtrend auch durch den Druck Grüner Innenpolitik nun gestoppt wurde und man erkannt hat, wie wichtig personell gut ausgestattete Polizeibehörden sind. Der Personalaufwuchs der Polizeibehörden muss nun nachhaltig gestaltet und mit entsprechenden Ausbildungskapazitäten unterfüttert werden. Die Arbeitsbedingungen müssen optimiert und Überstundenberge abgebaut werden. Die vielen engagierten Polizistinnen und Polizisten brauchen unsere volle Rückendeckung.
Unternzeichner*innen:
- Britta Haßelmann, Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion
- Dr. Konstantin von Notz, Stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion
- Dr. Irene Mihalic, Sprecherin für Innenpolitik der Bundestagsfraktion
- Monika Lazar, Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus der Bundestagsfraktion
- Uli Sckerl, parlamentarischer Geschäftsführer und Sprecher für Innenpolitik der Fraktion im Landtag Baden-Württemberg
- Katharina Schulze, Vorsitzende und Sprecherin für Innenpolitik der Landtagsfraktion Bayern
- Benedikt Lux, Sprecher für Innenpolitik der Fraktion im Abgeordnetenhaus Berlin
- Ursula Nonnemacher, Vorsitzende der Fraktion im Brandenburger Landtag
- Björn Fecker, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Sprecher für Innen- und Sicherheitspolitik der Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft
- Eva Goldbach, stellvertretende Vorsitzende und Sprecherin für Innenpolitik der Fraktion im Hessischen Landtag
- Helge Limburg, Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion im Landtag Niedersachsen Belit Onay, Sprecher für Innenpolitik der Fraktion im Landtag Niedersachsen
- Verena Schäffer, Parlamentarische Geschäftsführerin und Sprecherin für Innenpolitik und Strategien gegen Rechtsextremismus der Fraktion im Landtag Nordrhein-Westfalen
- Pia Schellhammer, Parlamentarische Geschäftsführerin und Sprecherin für Innenpolitik der Fraktion im Landtag Rheinland-Pfalz
- Valentin Lippmann, Parlamentarischer Geschäftsführer und Sprecher für Innenpolitik der Fraktion im sächsischen Landtag
- Sebastian Striegel, Parlamentarischer Geschäftsführer und Sprecher für Innenpolitik der Fraktion in Sachsen-Anhalt
- Burkhard Peters, Sprecher für Innenpolitik der Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Dirk Adams, Vorsitzender und Sprecher für Innenpolitik der Landtagsfraktion in Thüringen
- Dirk Adams, Vorsitzender und Sprecher für Innenpolitik der Landtagsfraktion in Thüringen