Newsletter Juli 2016
Liebe Leserinnen und Leser,
am Ende dieser Woche geht der Bundestag in die Sommerpause. Ferienstimmung kommt bei vielen von uns nur schwer auf. Denn die letzten Tage waren gerade international von Gewalt und Unsicherheit geprägt. Die Anschläge von Istanbul und Bagdad haben uns erneut die Schrecken des Terrorismus vor Augen geführt.
Viele Menschen in anderen Regionen der Welt sind dem hilflos ausgeliefert. Bei aller Vorsicht, die wir hier bei uns walten lassen müssen, dürfen wir nicht vergessen, dass Terror und Krieg an vielen Orten in der Welt blutiger Alltag ist. Und solange das der Fall ist, haben Menschen gute Gründe, aus ihrer Heimat zu fliehen. Damit müssen wir hier auf verantwortliche Weise umgehen.
Mich beunruhigt, dass Deutschland einen Innenminister hat, der dazu nicht in der Lage ist und Stimmung gegen Flüchtlinge macht. Mittlerweile sogar mit erfundenen Zahlen, mit denen er geflüchtete Menschen als Simulanten darstellt und dabei Ärzte in ihrem ganzen Berufsstand in Verruf bringt. Und es war nicht das erste Mal, dass Thomas de Maizière mit nicht belegbaren Aussagen über Flüchtlinge in der Gesellschaft zündelt. Dieser Innenminister ist seines Amtes nicht würdig! Er sollte schnellstmöglich zurücktreten.
Viel Spaß beim lesen dieses Newsletters.
Ich wünsche einen sonnigen und erholsamen Sommer.
Liebe Grüße
Irene Mihalic
NSU-Untersuchungsausschuss: „Panzerschrank-Affäre“ dokumentiert Maaßens Versagen als Verfassungsschutz-Präsident
Nachdem sich der Untersuchungsausschuss im Frühjahr intensiv mit dem Brand in der Frühlingstr. 26/Zwickau und der Auffindesituation des Wohnmobils in Eisenach befasst hat, nähern wir uns seitdem dem Kern unseres Auftrags: Der Klärung der Rolle des Bundesamtes für Verfassungsschutz und seiner V-Leute im Zusammenhang mit dem Netzwerks des NSU. Wie brisant diese Fragestellung ist, zeigte die neue Episode in der „Panzerschrank-Affäre“ rund um den verstorbenen V-Mann „Corelli“. Wiederholt tauchten im Bundesamt für Verfassungsschutz Handys und SIM-Karten auf, die der V-Mann in Gebrauch hatte. (Hier ein interessanter Bericht von netzpolitik.org dazu). Zudem stellte sich heraus, dass die anderen Handys bisher nicht oder nur völlig unzureichend ausgewertet wurden. Wie kann es da sein, dass das Bundesamt und sein Präsident Maaßen öffentlich immer erklärten, es gäbe keinen erkennbaren NSU-Bezug bei den Handys? Wir haben klipp und klar die Entlassung Maaßens gefordert, der eine ganze Serie von Pannen zu verantworten hat. Maaßen hat bei der Neuaufstellung seiner Behörde nach dem 4.11.2011 versagt. Wir werden den Corelli-Komplex im September behandeln und uns in dem Zusammenhang auch mit der weiterhin ungeklärten Todesursache des ehemaligen V-Manns befassen.
Begonnen haben wir im V-Mann-Komplex konsequenterweise mit dem V-Mann „Primus“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz, also mit Ralf Marschner aus Zwickau. Unsere Untersuchungen zur Rolle Marschners im NSU-Netzwerk laufen seit Anfang Juni und konnten schon bis zum heutigen Tag sehr deutlich zeigen, das Zwickau als braunes Soziotop ideale Bedingungen für ein unbehelligtes Leben des Trios im Untergrund geboten hat. Wir gewinnen zudem immer mehr Anhaltspunkte dafür, dass Marschner, der eine zentrale Rolle in der Zwickauer Nazi-Szene spielte, mindestens mit direkten Unterstützern des Trios wie Susann und Andre Eminger engen Kontakt hatte. Auch die Aussagen der Zeugen, die Uwe Mundlos auf einer Baustelle Marschners sowie Beate Zschäpe in einem seiner Szeneläden gesehen haben wollen, wirkten sehr glaubhaft und wir werden dem weiter nachgehen. Aus unserer Sicht lässt sich an der Causa Marschier herausarbeiten, dass das Trio nicht abgeschottet und allein agiert hat, sondern von einem Nazi-Netzwerk unterstützt wurde.
Der Untersuchungsausschuss hat in Sachen Marschner noch einen weiteren interessanten Aspekt herausgearbeitet. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat in diesem Jahr eine Anfrage zu nicht vollstreckten Haftbefehlen im Allgemeinen und zu quasi untergetauchten Neonazis im Speziellen gestellt. Generell ist die Zahl der nicht vollstreckten Haftbefehle bei Neonazis zwischen September 2015 und März 2016 noch einmal von 466 auf 576 (also um ca. 23% !) angestiegen. Zudem ist im Bereich Politisch Motivierte Kriminalität der Anteil nicht vollstreckter Haftbefehle „Rechts“ mit ca 42% sehr hoch (Vergleich „Links“: Ca. 11%). Das Vollzugsdefizit im rechtsextremen Bereich macht mir große Sorgen. Nun haben wir als Untersuchungsausschuss die Liste der Namen beantragt, die hinter den nicht vollstreckten Haftbefehlen stehen, um sie mit dem NSU-Umfeld abzugleichen. Und gleich die erste Akten-Lieferung aus Sachsen hat ergeben, dass auch Ralf Marschner unter dieses Namen zu finden ist Wir werden uns das detailliert angucken und ich werde Euch über die Ergebnisse auf dem Laufenden halten.
Gesetz zur Terrorismusbekämpfung: Ein Paket gefüllt mit heißer Luft
Gerade angesichts der angespannten Sicherheitslage und der konstant hohen Anschlagsgefahr ist es immer wieder ärgerlich, wenn die Große Koalition ihre mit heißer Nadel gestrickten symbolpolitischen Gesetzespakete präsentiert. Damit zeigen CDU/CSU und SPD, dass sie den Gefahren des Terrorismus nicht angemessen begegnen. So stehen die Dinge auch beim „Gesetz zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus“, das die Koalition Anfang Juni eingebracht hatte, um es dann in einem irren Tempo durch die Gremien zu peitschen. Das habe ich entsprechend auch im Bundestag und in einem Phönix-Interview kritisiert. Dieses Gesetz trägt rein gar nichts zur Terrorismusbekämpfung bei, greift aber gleichzeitig tief in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein Das Bundesamt für Verfassungsschutz mit immer mehr Kompetenzen ausgestattet, vor allem was den internationalen Datenaustausch angeht, aber auch bei der Überwachung Jugendlicher.
Es ist wirklich unsäglich, dass die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf im Windschatten der Fussball-EM ohne vernünftige Beratung durchgedrückt hat. Auch die Experten-Anhörung, bei der die Koalition die Chefs der Sicherheitsbehörden als Sachverständige benannte, statt auf unabhängige Expertise zu setzen geriet zur Farce. Das Ganze war aus parlamentarischer Sicht wirklich unwürdig und daher haben wir diese Anhörung unter Protest verlassen. Es ist wirklich gut, dass sich der Tag nähert, an dem sich die Möglichkeit ergibt, dieser Koalition ein Ende zu bereiten. Das wäre wirklich wichtig – auch im Sinne der parlamentarischen Demokratie. In unserem Fraktionspapier „Mehr Sicherheit durch Rechtstaatlichkeit“ haben wir übrigens dargelegt, wie wir als Grüne uns eine Politik der inneren Sicherheit vorstellen.
Erste Lesung: Gesetzentwurf zum Polizeibeauftragten
Anfang Juni war es soweit: Wir haben den Grünen Gesetzentwurf zum Polizeibeauftragten zum ersten Mal im Bundestag debattiert Das war eine insgesamt gute Debatte, in der sich alle Fraktionen mindestens konstruktiv-nachdenklich gezeigt haben. Neben der Linken hat sich vor allem auch die SPD – namentlich mein Kollege Wolfgang Gunkel – sehr positiv zum Gesetzentwurf geäußert. Wir waren uns darin einig, dass es für die Polizei des Bundes dringend einen unabhängigen Ansprechpartner geben muss, der Kritik und Eingaben sowohl von Bürger*innen als auch von Polizeibeamt*innen entgegennimmt und nachgeht. Wir werden jetzt im Herbst eine Expertenanhörung dazu machen und würden uns sehr freuen noch vor Abschluss der Legislaturperiode einen von allen Fraktionen getragenen Entwurf hinzubekommen. Ich werde Euch über den Fortgang der Debatte berichten.
Für eine schärfere EU-Schusswaffenrichtlinie und eine bessere Begrenzung und Kontrolle von Schusswaffen
Die EU-Kommission arbeitet daran Sicherheitslücken in der Richtlinie 2008/51 zu schließen. Aus sicherheitspolitischer Sicht halte ich es für sehr wichtig, dass dies gelingt. Die Attentäter von Paris haben ihre Waffen in der EU legal als deaktivierte Deko-Waffen erworben und dann wieder schussfähig gemacht. Der dazu notwendige Aufwand hängt heute davon ab, nach welchem nationalen Recht die Deaktivierung erfolgt ist. Hier wird es künftig einheitliche EU-Vorgaben geben. Doch es gibt weitere wichtige Punkte für die wir uns einsetzen müssen:
Die mit Feuerwaffen begangenen Verbrechen in Orlando, Paris und Utøya haben – wie andere Taten auch – die besondere Gefährlichkeit bestimmter halbautomatischer Schusswaffen gezeigt. Auch hier sollte es daher strenge Regelungen geben. Ein weiteres Problem betrifft die Lagerung von Schusswaffen und Munition in Privathaushalten, denn Waffen und Munition an einem Ort schafft Tatgelegenheiten mit nicht selten tödlichen Folgen. Hinzu kommt, dass viele Waffenschränke in Deutschland nur unzureichend gesichert sind. Hier ist eine Änderung des Waffengesetzes dringend geboten. Auch sollte die Zuverlässigkeit der Waffenbesitzer besser und öfter überprüft werden.
Antrag: Mehr öffentliche Sicherheit – Für eine bessere Begrenzung und Kontrolle von Schusswaffen
Das Konzept Wachpolizei lehnen wir ab!
Bestrebung, Menschen ohne richtige Ausbildung aber mit einer Waffe als sogenannte Wachpolizei auf die Straße zu schicken, gab es zuletzt wieder einige. Wie bereits zuvor habe ich mich dagegen ausgesprochen, weil ich es für unverantwortlich halte. Der Polizeiberuf ist in seiner Komplexität sehr anspruchsvoll und die Bewältigung polizeilicher Aufgaben ist nicht in wenigen Wochen zu erlernen. Gerade beim Thema Wohnungseinbrüche ist es aber auch das falsche Mittel: Wir brauchen mehr Einbruchsprävention und qualifizierte Ermittlungsarbeit. Helfen würde daher z. B. die bekannten Defizite in der Zusammenarbeit zwischen den Polizeien von Bund und Land und den Ländern untereinander anzugehen. (Dazu gleich mehr unter „Polizeiliche Datenverarbeitung im Föderalismus“.) Aus sicherheitspolitischer Sicht wäre außerdem wichtig, dass auch die Türen einkommensschwacher Mieter besser gegen Einbrüche gesichert werden. Die Einführung einer Wachpolizei ist demgegenüber nur ein Etikettenschwindel.
Fragen zur polizeilichen Zusammenarbeit mit Ägypten
Die Situation in Ägypten ist weiterhin höchst problematisch: Zivilgesellschaftliche Organisationen (wie Human Rights Watch und Amnesty International) dokumentieren seit Jahren Fälle von Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen. Gegen Hunderte Personen ergingen nach übereinstimmend als grob unfair bezeichneten Gerichtsverfahren Gefängnisstrafen oder Todesurteile. Zudem werden das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit immer stärker eingeschränkt. Dabei geraten inzwischen auch Menschenrechtsorganisationen selbst zunehmend unter Druck. Zuletzt sorgte die Ermordung eines italienischen Studenten für Aufsehen, der mutmaßlich von ägyptischen Sicherheitskräften zu Tode gefoltert wurde.
Vor diesem Hintergrund ist mir unverständlich, wie die Bundesregierung gleichzeitig auf diplomatischem Wege Menschenrechte einfordern und polizeilich mit ägyptischen Sicherheitsbehörden wie dem NSS zusammenarbeiten kann. Daran haben auch die Antworten der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage nichts geändert. Im Gegenteil.
Polizeiliche Datenverarbeitung im Föderalismus
Der Ruf nach besserer polizeilicher Zusammenarbeit ertönt nach jedem Anschlag und wann immer ein Kriminalitätsfeld in der öffentlichen Diskussion besondere Bedeutung erlangt. Das gilt für das Bekanntwerden des NSU und die Diskussion um steigende Einbruchszahlen gleichermaßen. Und ja: Die Welt ist vernetzt und das schließt auch schwere und schwerste Kriminalität ein. Die Polizei ist es aber – auch auf nationaler Ebene – eben nur teilweise, wie unsere Kleine Anfrage gezeigt hat. Die Folge davon ist, dass Einbruchs- oder Mordserien, die sich über mehrere Bundesländer erstrecken, lange unentdeckt bleiben können, oder Fälle schlicht deshalb nicht aufgeklärt werden, weil die Zusammenhänge nicht erkannt werden. Dieser Umstand ist dabei schon lange bekannt. Um so unverständlicher finde ich es daher, dass die Antworten der Bundesregierung den Eindruck vermitteln, sie habe inzwischen aufgegeben, daran etwas ändern zu wollen.