Aus dem Protokoll vom 5.11.2014:
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Gemeinsam erinnern wir uns heute an die Aufdeckung der grausamen Terrorserie des NSU. Die Familien und Freunde der Opfer – das haben heute schon viele völlig zutreffend beschrieben – werden das sicherlich niemals verwinden können. Auch drei Jahre danach stehen wir tief in der Verantwortung, wirklich rückhaltlos aufzuklären, wie es zu diesem eklatanten Versagen der Sicherheitsbehörden kommen konnte.
Einige Details sind mittlerweile bekannt. Andere dagegen wurden hemmungslos geschreddert. Die unvollständige Aufarbeitung ist ein unfassbarer Skandal, der mit jedem weiteren Tag größer und größer wird. Genau an diesem Punkt würde ich mir wünschen, dass die Bundeskanzlerin – sie ist leider heute nicht anwesend – die Aufarbeitung bei den Behörden höchstpersönlich einfordert. Frau Merkel hat und das war vollkommen richtig den Familien der Opfer im Februar 2012 rückhaltlose Aufklärung versprochen. Sie steht dafür persönlich im Wort und damit auch in der Verantwortung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb hätte ich auch gerne gewusst, wie das alles heute aus ihrer Sicht zu bewerten ist. Hat das Bundesamt für Verfassungsschutz bisher wirklich alles getan, um die Aufklärung im Parlament nach Kräften zu unterstützen? Was ist zum Beispiel mit der Frage, ob der Begriff NSU dort früher schon bekannt gewesen ist? Was ist mit den V-Leuten oder mit der jetzt aufgetauchten NSU-CD, die seit Jahren beim Bundesamt für Verfassungsschutz irgendwo herumgelegen hat? Kann das alles so richtig sein?
Wenn die Integrationsbeauftragte – sie wird gleich auch noch in dieser Debatte sprechen – diese Meinung zu haben scheint und sagt, dass die Behörden bereits auf die Fehler von damals reagiert hätten, dann kann ich nur sagen – und ich werde es nicht so diplomatisch ausdrücken wie die Kollegin Pau -: Die Reaktion der Behörden, die ich wahrnehme, ist vor allem Mauern, Vernebeln und Vertuschen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das hat mit proaktiver Aufklärung nicht das Geringste zu tun.
Auch bei den Ermittlungen des Generalbundesanwalts und des Bundeskriminalamts habe ich persönlich große Zweifel, was die Festlegung angeht, dass das Trio Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt alleine gehandelt hat. Wie können wir denn sicher sein, dass der NSU nur aus drei Leuten bestand? Wenn die wahre Dimension des Rechtsterrorismus nicht erkannt wird, wäre das furchtbar für die Familien der Opfer und eine große Gefahr für das Erkennen solcher Strukturen in der Zukunft. Dass so etwas nicht erkannt wird, darf in Deutschland nie wieder passieren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Politisch und in der öffentlichen Debatte müssen wir dem Rechtsterrorismus den Boden entziehen. Das bringt mich zu einem letzten Punkt, bei dem ich insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der Union ansprechen möchte. Ich persönlich finde es unerträglich, wenn angesichts der aktuellen terroristischen Bedrohung durch Islamisten Mitglieder Ihrer Partei wieder allzu leicht Menschen mit Migrationshintergrund, die hier in Deutschland aufgewachsen und zum Teil auch hier geboren worden sind, als „Fremde“ oder als „Gäste“ bezeichnen, die man in ihre Heimatländer abschieben solle, so die Autoren eines Positionspapieres aus Ihrer Fraktion.
(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): In welchem Zusammenhang denn?)
Ich sage Ihnen ganz deutlich: Bei aller Notwendigkeit, dem ISIS-Terror mit Maßnahmen, die auch greifen, zu begegnen, möchte ich die Saat solcher ausgrenzenden Äußerungen nicht aufgehen sehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Ich fordere Sie auf – das gilt auch für Herrn Kauder -, sich von einem solchen Sprachgebrauch ganz klar zu distanzieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin – vielleicht hört sie uns irgendwo zu -, rückhaltlose Aufklärung ist mehr als nur eine Redewendung. Es geht um Verantwortung für das eigene Handeln, um Verantwortung für die Sicherheitsbehörden und um Verantwortung für unbedachte Äußerungen. Drei Jahre sind schon vergangen, Frau Merkel. Lösen Sie Ihr Versprechen ein!
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)