Neue Perspektiven für den Katastrophenschutz
Autorinnenpapier von Katrin Göring-Eckardt MdB und Dr. Irene Mihalic MdB
Der Katastrophenschutz steht vor gewaltigen Umbrüchen. Die Klimakrise und die stark steigenden wetterbedingten Einsätze stellen die vornehmlich freiwillig engagierten Angehörigen der Hilfsorganisationen, Feuerwehren oder des Technischen Hilfswerks (THW) vor große Herausforderungen. Gleichzeitig setzen der demografische Wandel und veränderte Lebensentwürfe das Ehrenamt gewaltig unter Druck. Dazu kommen immer komplexere Anforderungen an die Ausbildung – zum Beispiel im medizinischen oder technischen Bereich. Gleichwohl stellen die rund 1,8 Millionen ehrenamtlich Engagierten ein ungeheures Potenzial dar, was es zu fördern und zu unterstützen gilt.
Den Katastrophenschutz für die Klimakrise fit machen
Die Verschärfung der Klimakrise und die damit einhergehenden Extremwettereignisse werden immer sichtbarer für die Gesellschaft. Ob Starkregenfälle und Überschwemmungen, Dürre, Waldbrände oder starke Stürme; Extremwettereignisse verursachten auch im Jahr 2019 enorme Schäden. Expertinnen und Experten erwarten, dass zukünftig mit einer weiteren Zunahme solcher Ereignisse zu rechnen ist. Neben umfassenden Schritten zur Reduktion von Treibhausgasen und wirksamen Maßnahmen gegen die Ursachen der Klimakrise gilt es auch, Mensch und Umwelt im Katastrophenfall konkret zu schützen. Daher brauchen wir eine Stärkung des Katastrophenschutzes, der zumindest helfen kann, Schäden zu verringern oder schneller zu beseitigen.
Die Hitzesommer 2018 und 2019 stellen in Deutschland einen Einschnitt dar. Verheerende Wald- und Flächenbrände haben deutlich gemacht, dass dringend eine bundesweite Konzeption zur Waldbrandbekämpfung aus der Luft benötigt wird. Vor allem Brände in dünnbesiedelten ländlichen Regionen mit hohem Nadelholzbestand oder mit munitionsbelasteten Böden stellen die Feuerwehren vor große Probleme. Der Bund muss zukünftig mit dafür sorgen, dass ausreichende Kapazitäten in Form von Fahrzeugen, Ausrüstungsgegenständen und Löschflugzeugen oder entsprechend ausgerüsteten Hubschraubern ausschließlich für die Aufgaben des Katastrophenschutzes zur Verfügung stehen. Dabei sollen Synergien mit unseren europäischen Nachbarstaaten genutzt werden. Neben Dürreperioden stellen Starkregenfälle eine besondere Herausforderung dar, die schlecht vorhersehbar ist und schnell zu Überschwemmungen führen kann. Hiervon sind insbesondere städtische Gebiete betroffen, die einen hohen Grad an Flächenversiegelung aufweisen. Neben präventiven Stadtentwicklungskonzepten sind Anpassungen im Katastrophenschutz notwendig. Dazu zählt eine verstärke Analyse von meteorologischen Daten und eine darauf abgestimmte Einsatzplanung, die schnelle Hilfe gewährleisten kann. Auch müssen die Feuerwehren und das THW sachgerecht und flächendeckend ausgerüstet sein, um auch eine Vielzahl plötzlich eintretender Einsätze schnell bearbeiten zu können.
Wir fordern darum
- Eine ambitionierte Klimapolitik, um die durch die Klimakrise verschärft auftretenden Extremwettereignisse zu reduzieren.
- Einsatzkonzeptionen, Ausbildung und Technik anzupassen.
- Löschflugzeuge oder Hubschrauber für die luftgestützte Waldbrandbekämpfung gemeinsam mit den Bundesländern und den EU-Nachbarn vorzuhalten.
Ehrenamtliches Engagement stärken
Das freiwillige Engagement ist das Rückgrat des Katastrophenschutzes, denn über 90% der Mitglieder der „Blaulichtorganisationen“ sind ehrenamtlich tätig. Sie übernehmen Aufgaben wie das Löschen von Bränden, das Versorgen von verletzten Personen oder sind im Einsatz gegen Hochwasser. Dieses Engagement ist vor allem in ländlichen Regionen unersetzlich, weil es eine schnelle Hilfe garantiert. Darüber hinaus ist eine engagierte Zivilgesellschaft ein wichtiger Baustein für eine lebendige Demokratie. Dieses Engagement muss gesichert und gestärkt werden.
Diese Stärkung fängt bei der Anerkennung dieser wichtigen Leistung an und das muss sich auf allen Ebenen widerspiegeln. Dazu zählt die Förderung einer Anerkennungs- und Wertschätzungskultur, der auch durch vermeintlich kleine Maßnahmen Ausdruck verliehen werden kann. Ein Beispiel hierfür ist die wechselseitige Anerkennung von Qualifikationen, die im Rahmen von Ausbildungen erlernt wurden. So könnten zum Beispiel für Technik- oder Führungslehrgänge Zertifikate ausgestellt werden, die für Berufsausbildungen anerkannt werden. Gleichzeitig müssen auch im Beruf erworbene Kenntnisse besser in den Organisationen einbringbar werden. Des Weiteren sollte eine langjährige aktive Mitgliedschaft als Wartesemester fürs Studium angerechnet werden. Nicht zuletzt wäre die Einführung einer bundesweit gültigen Ehrenamtskarte, die zum Beispiel Ermäßigungen für öffentliche Schwimmbäder oder beim Eintritt in Bundeseinrichtungen vorsieht, eine Möglichkeit das Engagement zu würdigen. Neue Formen des Engagements, wie zum Beispiel ungebundene Spontanhelferinnen und Spontanhelfer, müssen besser in die Strukturen eingebunden werden. Dabei können insbesondere digitale Plattformen und Vernetzungsmöglichkeiten eine Rolle spielen.
Ein attraktives Ehrenamt beginnt aber vor allem mit einer attraktiven Ausstattung und Ausrüstung. Hier muss der Bund seinen Teil tun und die Länder im Rahmen des ergänzenden Katastrophenschutzes zügig und verlässlich bei der Beschaffung von Fahrzeugen unterstützen.
Neben aktiven Förderungsinstrumenten müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die Diversität in den Organisationen zu erhöhen. Denn oftmals sind Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund unterrepräsentiert. Auch eine Öffnung der Organisationen für Menschen mit Behinderungen, die zum Beispiel Aufgaben in Leitstellen übernehmen können, wäre ein wichtiger Schritt. Hervorzuheben ist beispielsweise die Arbeit des THW, das sich frühzeitig mit entsprechenden Angeboten an Geflüchtete gewandt hat. Solche Ansätze müssen evaluiert werden, damit sie als „best practice“ von anderen Organisationen übernommen werden können.
Wir fordern darum
- Anerkennung und Wertschätzung für das Ehrenamt. Attraktive Rahmenbedingungen für Freiwillige schaffen und Qualifikationen anerkennen.
- Ausstattung und Ausrüstung der „Blaulichtorganisationen“ verbessern und Unterstützung für die Schaffung von digitalen Plattformen zur Einbindung von Spontanhelferinnen und –helfern geben.
- Diversität der Mitglieder im Katastrophenschutz fördern.
Europa – ein solidarischer und europäischer Ansatz für den Katastrophenschutz
Katastrophen machen nicht an Ländergrenzen halt. Große Schadenslagen können schnell mehrere Staaten betreffen oder einzelne Länder überfordern. Während im Jahr 2017 vor allem südliche EU-Mitgliedsstaaten, wie Griechenland und Portugal von einer extremem Dürre- und Trockenperiode gekennzeichnet waren, waren im Jahr 2018 vor allem mittel- und nordeuropäische Länder stark betroffen. In Folge dieser Wetterextreme kam es, neben massiven Schäden für die die Natur und Landwirtschaft, zu großflächigen Waldbränden. Die Waldbrandperiode 2017 war vor allem für Portugal eine Zäsur, der mindestens 65 Personen zum Opfer fielen. Diese Ereignisse haben deutlich gemacht, dass nationale Ressourcen schnell ausgeschöpft sein können und der europäische Katastrophenschutz gestärkt werden muss. Die Europäische Kommission hat aus diesem Grund den Aufbau gemeinsamer europäischer Reserven, der „rescEU“, vorgeschlagen, die zunächst von der Bundesregierung abgelehnt wurden. Die europäischen Reserven sollen unter anderem Löschflugzeuge für die Waldbrandbekämpfung aus der Luft umfassen und besonders betroffenen Ländern zur Verfügung stehen. Darüber hinaus sollen auch andere Spezialfähigkeiten, wie Hochleistungspumpen für Überschwemmungen oder spezielle Ausrüstungsgegenstände für Chemieunfälle, europäisch vorgehalten werden. Die Bundesregierung darf hier nicht länger blockieren, sondern muss nun intensiv prüfen, welche Fähigkeiten sie in diesem Rahmen einbringen kann und welche Kapazitäten in Deutschland zukünftig vorgehalten werden müssen. Denn die gegenseitige Unterstützung im Katastrophenfall ist gelebte Solidarität innerhalb der europäischen Familie.
Wir fordern darum
- Europäische Zusammenarbeit im Katastrophenschutz stärken und länderübergreifend zusammenarbeiten.
- Die europäische Katastrophenschutzreserve „rescEU“ ausbauen und zügig weiterentwickeln.
- Die Anschaffung von Löschflugzeugen, ggf. in Kooperation mit unseren EU-Nachbarn.
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe weiterentwickeln
In Deutschland liegt der Katastrophenschutz in der Verantwortung der Länder. Für die Feuerwehren sind die Kommunen zuständig. Nur im Verteidigungsfall wechselt die Zuständigkeit zum Bund. Katastrophen enden aber nicht an Verwaltungsgrenzen. Aufgrund der Komplexität der Katastrophenfälle brauchen wir darum eine Modernisierung dieses antiquierten Systems. Der Bund muss auch seinen Beitrag im Katastrophenschutz leisten können. Bereits jetzt leistet das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hervorragende Arbeit in der Analyse von Risiken und in der Vernetzung relevanter Akteure. Diese Funktion muss gestärkt und ausgebaut werden. Das BBK muss zukünftig eine Zentralstellenfunktion bekommen, wie wir sie zum Beispiel vom Bundeskriminalamt (BKA) kennen. Durch diese Funktion könnte es als Schnitt- und Vernetzungsstelle dienen, Kapazitäten bündeln und eine EU-weite oder länderübergreifende Zusammenarbeit im Schadensfall koordinieren. Dadurch könnte gewährleistet werden, dass die Hilfe schnell dort ankommt, wo sie benötigt wird. Das BBK muss bei besonders großen Schadenslagen auch unmittelbar diese Aufgabe übernehmen können. Der aktuelle Zustand, der Bürgermeister und Landräte bei der Bewältigung dieser Aufgabe alleine lässt, muss abgestellt werden.
Wir fordern darum
- Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit einer Zentralstellenfunktion und entsprechenden Kompetenzen für den Katastrophenschutz ausstatten.