Aus dem Protokoll vom 20.Februar 2014:
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Wie sind die Ereignisse in der Öffentlichkeit damals eigentlich angekommen? Am 4. November 2011 fahndete die Polizei in Eisenach nach Bankräubern, und sie fand die NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tot in ihrem Wohnmobil. Sie hatten vorher, unterstützt von Beate Zschäpe, bei 14 Raubüberfällen ins- gesamt 600 000 Euro erbeutet. Bis zu ihrem Tod konnten Böhnhardt und Mundlos nicht gestellt werden. Fast 13 Jahre blieben die NSU-Terroristen unentdeckt. Fast 13 Jahre konnten sie mit einfachen Mitteln ein unbehelligtes Leben führen, Freundschaften zu Nachbarn aufbauen, ja sogar Urlaub an der Ostsee machen. In 13 Jahren haben sie zehn Menschen kaltblütig exekutiert, unentdeckt, unbehelligt und völlig ungestört.
Die deutschen Sicherheitsbehörden haben angesichts des rechtsextremistischen Terrors dramatisch versagt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])
Der Verfassungsschutz konnte den Terror von rechts weder erkennen noch analysieren. Der NSU-Terror folgte eben nicht dem klassischen Muster mit Führungsspitze und Bekennerschreiben, welches man zum Beispiel von der RAF kannte. Durch das Denken in solchen Stereotypen war der Verfassungsschutz völlig blind für den Terror von rechts, und diese Blindheit, Herr Minister, lässt sich nicht wegreformieren. Deshalb muss der Verfas- sungsschutz in seiner heutigen Form aufgelöst werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Aber auch die Polizei hat schwere Fehler gemacht. Ein rechtsextremistischer Hintergrund wurde bei den Ermittlungen von vornherein stets ausgeschlossen.
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Auch in Köln!)
Stattdessen bestimmten allzu oft rassistische Vorurteile gegenüber den Opfern die Ermittlungsarbeit. Ein mafiöser Hintergrund bei so einem Mord – na klar! Ein Ehren- mord – immer vorstellbar im Migrantenmilieu! Das La- bel der Boulevardpresse war „Döner-Morde“. Aufklären sollte eine Soko „Bosporus“. Wenn der Fokus der Er- mittlungen allein auf den Opfern liegt, dann ist es kein Wunder, dass man die Täter nicht findet.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße sehr, dass wir hier heute noch einmal das interfraktionelle Er- gebnis des Parlamentarischen Untersuchungsausschus- ses zum NSU gemeinsam beschließen wollen. Damit setzen wir ein ganz wichtiges Zeichen, vor allem mit Blick auf die Familien der Opfer. Wir alle schämen uns dafür, dass die NSU-Morde lange Zeit so gravierend falsch eingeordnet wurden. Zu Recht fordern daher die Opferfamilien, dass nicht bereits zwei Jahre nach Aufde- ckung des NSU-Terrors das große Abhaken beginnt. Nein, wir stehen gerade erst am Anfang, und deshalb kann der gemeinsame Beschluss auch nur der erste Schritt sein. Wir müssen deutlich weiter gehen, wenn wir dem Rechtsextremismus den Nährboden für die Saat von Gewalt und Terror entziehen wollen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- KEN)
Dafür brauchen wir eine neue Polizei- und Behördenkultur. Allzu oft wurden gerade die Familien der Opfer mit ihren Anliegen nicht ernst genommen. Sie wurden verhöhnt und waren selbst übelsten Verdächtigungen ausgesetzt. Wir brauchen hier einen Neustart in den Strukturen und in der Ausbildung. Dort, wo personelles Versagen nachweisbar ist, muss es auch zu dienstlichen Konsequenzen kommen, in erster Linie natürlich bei denjenigen, die in leitenden Positionen standen und heute teilweise noch stehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Strukturen des Verfassungsschutzes haben die Aufdeckung des rechten Terrors vereitelt, weil sie den falschen Mustern gefolgt sind. Er muss daher in seiner heutigen Form aufgelöst werden. Wir brauchen stattdessen eine völlig neu strukturierte Inlandsaufklärung mit einer deutlich verbesserten parlamentarischen Kontrolle.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])
Der Einsatz von V-Leuten, gerade in der rechten Szene, muss ein für allemal beendet werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir haben dem Rechtsextremismus mit diesem Instrument sowohl Geld als auch Struktur gegeben, anstatt wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen. Auf der anderen Seite waren die letzten Regierungen – man muss es sagen – eher geizig, wenn es um die finanzielle Unterstüt- zung von Initiativen gegen rechts ging, insbesondere was die Verlässlichkeit einer Finanzierung anging. Wir fordern eine verbindliche Zusage des Bundes, diese Ini- tiativen mit jährlich mindestens 50 Millionen Euro zu unterstützen;
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
denn diese Mittel werden für Opferberatungsstellen, Ausstiegsprojekte und vieles mehr ganz dringend gebraucht.